Knackeboul zieht dem Bären die Hosen runter

Achtung, Ketzerei! Denkt Knackeboul über Russland nach, wird er zum Freund der USA. Bei der Wahl zwischen oben ohne auf Bären reiten und einem Albtraum aus Benzin wählt er dann aber doch lieber den europäischen Weg.

Nackt auf Bären reiten ist kein Vertrauen schaffender Regierungsstil, findet Knackeboul.

Hört mir auf mit Russland! Immer wieder entdecke ich in meiner Timeline Videos von Putin, der etwas Kluges sagt. Geteilt von Bekannten, die finden, unsere Medien würden einseitig schlecht über ihn berichten und man müsse dem jetzt auch mal zuhören. Europa solle sich ohnehin mehr nach Russland orientieren als nach Amerika.

Putin die Hand reichen. Mir wird schlecht. Und ja, ich weiss, dass ganze Armeen von Trolls und Bots den Westen mit Russlandpropaganda und Verschwörungstheorien überschütten, aber die wirkliche Gefahr scheint offenbar die verklärte Sicht auf den Osten zu sein. 

Einmal mehr treffen sich hier links und rechts auf fatale Weise. Die Rechten, die sich nach der massregelnden Hand des starken Mannes sehnen – Trump, Blocher, Erdogan, Putin – und erschreckend viele Linke mit ihrer Russlandromantik. Beide in ihrem Antiamerikanismus.

Wer Merkel mit Putin vergleicht, ist etwa so verrückt wie jener selbst. 

Lasst es mich mal milde ausdrücken: Putin ist ein grössenwahnsinniger, homophober Oligarch, der seine Gegner verhaften und vergiften lässt. Er bietet alles, was dem Vernunfts-Junkie widerstrebt: Kriegsrhetorik, Macho-Gehabe, Gegner werden (mund-)tot gemacht.

Wenn in einer Kirche in Berlin ein paar Punk-Frauen Gott beleidigten, würde man sich vielleicht fragen, ob das ein Workshop für moderne Nonnen sei. Passiert das Gleiche in Russland, sind die Frauen Staatsfeinde, werden eingesperrt und können froh sein, wenn sie überleben. Wer Merkel mit Putin vergleicht, ist etwa so verrückt wie jener selbst.

Auch die USA sind nicht nur toll, aber…

Es folgt eine Ketzerei: Da lob ich mir die USA. Die USA sind für mich gleichzeitig das rückständigste und das fortschrittlichste Land der Welt. Je nach Regierung tritt das eine oder andere stärker zu Tage. In Amerika darf man im Spagat zwei SUV gleichzeitig steuern und dazu mit einer Schnellfeuerwaffe in die Luft schiessen, während man sich einen BigMac mit einem Liter Cola Zero runterspült, inklusive gratis Refill.

Wenn du Glück hast, geben sie deinen verzweifelten Rufen nach Luft nach, wenn du schwarz bist, bist du tot. 

Wehe aber, wenn man es wagt, ein kleines Feierabendbier vor seinem Haus zu zwitschern. Die Nachbarn rufen sofort die Polizei, und ehe man sich versieht, braust ein SWAT-Team um die Ecke und ein Dude mit Megafon sagt dir, du sollst das Teufelsgebräu sofort fallen lassen, während du längst getasert unter vier übergewichtigen Officers auf dem Boden liegst. Wenn du Glück hast, geben sie deinen verzweifelten Rufen nach Luft nach, wenn du schwarz bist, bist du tot. 

Ein Land, das Menschen staatlich hinrichtet und seine übergriffige Polizeiarbeit immer wieder auch international anwenden will. Aber, und das wollen viele jetzt wieder nicht hören, die USA haben auch Potenzial. Ignoriert man mal die Biblebelt-Prolls, die eher jungen Frauen die Pille verbieten würden als grenzdebilen Vorbestraften den Kauf einer Schnellfeuerwaffe, gibt es in den USA seit eh und je positive Tendenzen. 

Im Tütü durch Moskau?

Schaut man sich beispielsweise grosse Städte wie Los Angeles oder New York an, erkennt man da ganz klar fortschrittliche, gerechte, moderne Politik, die in den letzten Jahrzehnten gerade für dunkelhäutige Menschen, Frauen und Homosexuelle erhebliche Verbesserungen gebracht hat. Natürlich kann man jetzt sagen, dass das ein Stadt-Land-Phänomen sei und dass es in allen Metropolen der Welt offener zu und her gehe. 

Wenn man aber beim Thema dieses Textes bleibt und zum Beispiel New York mit Moskau vergleicht, ist der Fall klar. So könnte mein tamilischer Kumpel jederzeit in einem rosa Tütü durch New York tänzeln, während er auf einem Moskautrip permanent beäugt und schlecht behandelt wurde – auch ohne Tütü.

Was ich damit sagen will: Die momentan grösste Gefahr für den Weltfrieden sind nicht die USA, sondern das heutige Russland und ein destabilisiertes Europa. Aufgeklärte Menschen mit Hirn und Herz müssen einsehen, dass neben tausend Dingen, die der Westen falsch macht – wie die Ausbeutung anderer Länder, Kriegsgeschäfte oder Europas opportunistisches Verhalten in der Flüchtlingskrise –, viel Grundlegendes richtig läuft. 

Europa hätte das Potenzial, die Welt zu retten. Oder ihr zumindest ein Vorbild zu sein.

Die Einhaltung der Menschenrechte, die Gleichstellung von Mann und Frau, von schwul und hetero, die Akzeptanz der Wissenschaft, die Dominanz von Fakten gegenüber der Fiktion sind Symptome einer funktionierenden Gesellschaft. Und sie sind die Bedingung, dank der alle anderen Missstände erst effizient bekämpft werden können. Unter diesem Gesichtspunkt haben die heutigen USA Potenzial, sich nach dem Schrecken des wieder auf die – und jetzt sage ich es – westlichen Werte zu besinnen. Schaue ich mir das heutige Russland an, sehe ich dieses Potenzial nicht. Von China ganz zu schweigen.

Optimismus muss sein

Oder wie wärs mit Europa? Wem der Oben-ohne-auf-Bären-reiten-Regierungsstil Putins oder der zucker- und benzingeschwängerte amerikanische Albtraum nicht zusagt, der könnte sich ja auf die gesündere Mitte besinnen. Europa hätte das Potenzial, die Welt zu retten. Oder ihr zumindest ein Vorbild zu sein. Dank Bildung und moderner Politik, die die Gleichberechtigung aller Menschen in den letzten Jahrzehnten vorangetrieben haben. Diese modernen europäischen Länder verbünden sich, etablieren einzuhaltende Standards in Bildung, Wohlstandsverteilung und Menschenrechten und machen sie zum Aufnahmekriterium. 

Diese Auslegungen kommen wie immer mit einer grossen Prise Optimismus daher, und mir ist bewusst, dass auch die EU an vielen Orten leckt. Trotzdem: Ich bin in einem armen europäischen Land vor dessen Beitritt zur EU aufgewachsen und ich bin permanent auf Reisen um die ganze Welt. Nirgends ist es sicherer und angenehmer zu leben als im modernen Europa. Diese Lebensqualität wurde durch Einsicht, Innovation und Weltoffenheit erreicht, nicht durch Repression, Verschlossenheit oder die starke Hand irgdendwelcher alten Männer.

Nächster Artikel