Während sich Staatsoberhäupter und Anarchisten-Bräute ihren Kick am G20-Gipfel holen, herrscht in Zürich bünzlige Idylle und ich geh zwanzig Gipfel holen.
Dennis aus Kassel, reiches Elternhaus, reist nach Hamburg, um dort mit drei Kumpels einen Molotow-Cocktail in die Windschutzscheibe eines schwarzen Mercedes-Benz zu werfen. Sie gehören nicht zum Schwarzen Block, sind aber auf dem Hinweg schwarz gefahren, haben Lil Yachty gehört und eine Flasche Absolut Vodka geleert, die später spritgefüllt auf die Windschutzscheibe des besagten Mercedes fliegt.
Das falsche Ziel für Flammen
Der Mercedes wiederum gehört einem türkischen Migranten, der es in Hamburg dank Fleiss, Familienzusammenhalt und Geschäftssinn in die obere Mittelklasse geschafft hat und nun seine Kinder morgens in einer A-Klasse in die Schule fährt.
Eine Gruppe linker Aktivistinnen ist Zeuge der Szene und empört sich über das falsche Ziel des Brandanschlags. Wenn überhaupt, dann haben die Flammen den dicken weissen Rassisten in ihren Luxuskarren zu gelten, nicht wehrlosen Migrantinnen.
Der Mercedes-Besitzer allerdings ist alles andere als wehrlos. Damals in der Türkei war er ein feuriger Nationalist, der sich regelmässig an Aktionen gegen die kurdische Minderheit beteiligte. Hier in Deutschland macht er keinen Hehl aus seiner Erdogan-Bewunderung und ist ausserdem Turbokapitalist, der seinen Angestellten einen Hungerlohn bezahlt.
Angriff der Max-Havelaar-Bananen
Weiter vorne macht ein Dude ein Foto von einem anderen Dude, der ein Selfie von sich und dem brennenden Chaos schiesst. Das Bild geht viral und wird zum Symbol der Doppelmoral der Anti-Kapitalisten.
Dass es sich beim Selfie-Dude um einen hippen Velokurier handeln könnte, der nur deshalb aussieht wie ein Aktivist, weil er sich immer nach dem neusten Trend kleidet und sich die Modeindustrie den Aktivisten-Style längst einverleibt hat, geht im allgemeinen Radau unter.
Dann plündern weitere Vermummte einen Rewe, das deutsche Äquivalent zum Denner. Einen sieht man mit einem Bund Bananen aus dem demolierten Geschäft stolzieren. Später merkt er, dass es keine Max-Havelaar-Bananen sind, und wirft sie in Mariokart’scher Manier auf die Strasse. Eine ältere Dame rutscht darauf aus. Einer filmt die Szene, und auch dieses Video geht unter dem Titel «Police Brutality against old Lady at G20» viral.
Die Zeitungen drucken alles, was brennt, weint und Steine wirft, und sprechen von Krieg im Schanzenviertel.
Zecke hat herausgefunden, dass sich Damenunterwäsche ganz gut als Lendenschutz und zum Unterbringen verschiedener Demo-bedingter Gegenstände eignet. Blöd nur, dass diese von Calvin Klein ist und Zecke damit gross auf den Titelseiten der Boulevard-Zeitungen landet.
Diese Zeitungen drucken alles, was brennt, weint und Steine wirft, und sprechen von Krieg im Schanzenviertel, währenddem ein dreijähriges Kind im total zerstörten Aleppo in einem Leichenhaufen das verzerrte Gesicht seines Vaters erblickt.
Die Volksseele erzürnt sich mehr über ein paar leere brennende Autos als über die 200 Brandanschläge auf Asylzentren letztes Jahr. Rechts von links aussen stellt sich niemand mehr hinter die Demonstranten und man vergisst die Zehntausenden, die friedlich gegen ein ungerechtes System demonstriert haben und gegen die tatsächliche Polizeigewalt.
Verschmelzung von Publikum und Star
In der Schweiz kriegt man ausserhalb vertwitterter Meldungen und zerknitterter Zeitungen wenig von diesem Rummel mit. Die hiesige Jugend frönt dem Open Air Frauenfeld. 70’000 Handys schauen sich mit ihren Besitzern im Schlepptau die Shows von Rapstars an.
Wobei die eigentliche Show neben der Bühne abläuft. In Dutzenden Slow-Mo-Videos zelebrieren Plattformen die modischen Plattitüden dieser Selbstdarsteller, die man nicht mehr Zuschauer nennen kann. Nirgends zeigt sich die Verschmelzung von Publikum und Star besser als an solchen Events.
Die Show muss abgebrochen werden. Aber «the show must go on».
Am Schönsten zeigt sich das, als ein Rapper namens Desiigner ein paar Fans auf die Bühne holt. Diese übernehmen sofort mit ihren Handys die Show, und nach fünf Minuten sind Dutzende live-streamender Fashion-Victims auf der Bühne. Viele vergessen, wer denn da überhaupt gerade am Performen war. Die Show muss abgebrochen werden. Aber «the show must go on».
Das dachte sich auch Wolfgang Sahli, Präsident und Mehrheitsaktionär des Open Airs, als er dieses neulich an den US-Konzern Live-Nation verkaufte. So hätte man leichteren Zugang zu den ganz grossen Stars. Das macht mich doch sehr zuversichtlich. Bis jetzt mussten wir uns mit Newcomern wie Jay-Z, Lauryn Hill und Kendrick Lamar begnügen.
Danke für deinen Altruismus, Wolfi. Würden sich nur die G20-Demonstranten ein Vorbild an dir nehmen. Wobei, wäre ich ein Luxuswagen-Händler wie du, Wolfi, dann würde ich die eher meiden.
Trüffel-Salami, Weisswein und Magensäure
Ich persönlich war weder am G20-Gipfel noch am Frauenfeld. Ich durfte dank RedBull das Chalet von Claude Nobs besichtigen. Hoch über dem Genfer See ein Chalet-Komplex mit Lift, vollgestopft mit musikgeschichtsträchtigen Objekten.
Als wir ankommen, ist der Ort allerdings vom Fussvolke in Form von Montreux-Jazz-Sponsoren irgendeiner grossen Versicherung überlaufen. Vor allem Männer, die ihre Camp-David-Shirts und ihre bunten Kordhosen für einen peppigen Look halten und deren Atem nach einer Mischung aus Trüffel-Salami, lokalem Weisswein und Magensäure riecht, verleihen dem Chalet etwas unerträglich Bünzliges.
Ich will schon einen Stein werfen, da betreten The Roots, meine absoluten Jugendhelden, die Szenerie und halten ihrerseits alles mit ihren Handys fest. Ich bin hin und weg und ruhe mich auf Michael Jacksons Sofa aus.
Liegend erspähe ich neben Freddie Mercurys Flügel ein edles Schachbrett. Die schwarzen Bauern scheinen die weisse Aristokratie anzugreifen. Mitten auf dem Feld sitzt seelenruhig ein grosser Heugümper. Ich nenne ihn Claude Hopps und entgleite in wirre Träume.