Seit drei Monaten wird der Lehrplan 21 in Basel-Stadt praktiziert. Bis zur vollständigen Umsetzung ist es noch ein weiter Weg. Die vier grössten Baustellen.
Lehrerinnen und Lehrer haben es in Basel derzeit schwer. Die Primar- und Sekundarschulen werden an allen Ecken und Enden reformiert. Hinzu kommt, dass sie den Lehrplan 21 umsetzen müssen, der ab dem laufenden Schuljahr gilt.
Während das Bildungswerk in den einen Kantonen, etwa im Baselbiet, noch heiss diskutiert wird, praktiziert Basel-Stadt den Lehrplan 21 bereits seit drei Monaten. Es ist die schweizweit grösste Reform im Schulwesen. Kein Wunder ächzt und knarrt es noch an manchen Stellen. Für die vollständige Umstellung auf den neuen Lehrplan geben sich die baselstädtischen Schulen bis 2021 Zeit – Zeit, sich um die momentanen Baustellen zu kümmern.
1. Sammelfächer
Die grösste Änderung des Lehrplan 21 betrifft die Sammelfächer, die in der Sekundarschule unterrichtet werden. Aus den Fächern Geschichte und Geografie wurde «Räume, Zeiten, Gesellschaften» (RZG), aus Biologie, Chemie und Physik «Natur und Technik» (NT).
Somit kann es sein, dass ein Lehrer plötzlich ein Fach unterrichten muss, das er gar nicht studierte, und praktisch nur aus Lehrbüchern kennt. Zwar können die Lehrerinnen und Lehrer theoretisch die Sammelfächer so aufteilen, dass eine Person zum Beispiel Chemie und Physik unterrichtet, eine andere nur Biologie. Doch wie Gaby Hintermann, Sekundarlehrerin und Leiterin der kantonalen Schulkonferenz in Basel-Stadt, sagt, kämen in der Praxis Lehrerinnen und Lehrer auch in die Position, dass sie ein Fach unterrichten müssten, wofür sie keine fachspezifische Ausbildung hätten.
Bei NT sei der Spagat zwischen den Fächern nochmals ein anderer als bei RZG, wo ein naturwissenschaftliches Fach (Geografie) und ein geisteswissenschaftliches (Geschichte) zusammenkommen, so Hintermann. Wenn ein Physiklehrer nun auch Chemie unterrichte, könne es sein, dass er sich auch auf reinen Theorieunterricht beschränke, statt chemische Experimente zu veranstalten, die ausser Kontrolle geraten könnten.
Die Umstellung auf «Kombinationsfächer» – wie RZG und NT offiziell genannt werden – bereitet den Sekundarlehrerinnen und -lehrern momentan die grössten Sorgen. Grund dafür sind auch fehlende Lehrmittel.
2. Lehrmittel
Für die Fächer Deutsch, Französisch, Englisch und Mathematik gibt es bereits Lehrbücher, die Lehrplan 21 konform sind. Das heisst, sie sind auf kompetenzorientiertes Lernen ausgerichtet – das Credo, des neuen Lehrplans.
Für die Sammelfächer fehlen noch entsprechende Lehrmittel. «Solche Lehrmittel wären eine grosse Hilfe für Lehrerinnen und Lehrer», sagt Regina Kuratle vom Erziehungsdepartement, die die Lehrplan-Einführung koordiniert.
Für NT stehen die Lehrmittel ab dem Schuljahr 2016/17 bereit. In RZG ist noch nicht absehbar, wann die Lehrbuch-Verlage neue Lehrmittel drucken. Dazu haben die Verlage keinen Anreiz, solange nur Basel-Stadt den Lehrplan umsetzt. Die Nachfrage sei erst gross genug, wenn noch andere grosse Kantone in der Deutschschweiz wie Bern oder Zürich den neuen Lehrplan umsetzen würden, sagt Kuratle.
Als Übergangslösung empfiehlt das Erziehungsdepartement deshalb die alten Lehrmittel der Einzelfächer. Nur: Manche Lehrpersonen und Schulklassen verfügen gar nicht über Chemie-, Physik- oder Geschichtsbücher. Nämlich diejenigen, die von der angepassten Schulstruktur betroffen sind.
Lehrerinnen und Lehrer, die früher an Orientierungsschulen (OS) und Weiterbildungsschulen (WBS) unterrichteten und neu an Sekundarschulen lehren, verfügen häufig nicht über passende Lehrmittel. Das sei ein Problem, da es sich meist nicht lohne, die Schulen komplett mit alten Lehrmitteln auszurüsten, wenn bald neue erwartet würden, erklärt Kuratle. Im Übrigen gelte es zu improvisieren, Lehrmittel aus anderen Klassen zu organisieren und zu tauschen.
Die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer seien in Basel-Stadt allerdings sehr kooperativ und würden sich für die Umstellung engagieren, sagt Kuratle. Man könne auch nicht alles auf einmal umstellen – «wir gehen bei der Lehrplan-Umsetzung Schritt für Schritt voran».
3. Stundentafeln
Mit dem Lehrplan 21 wurden auch die Stundentafeln angepasst. Das heisst: Die Anzahl Stunden, die Schülerinnen und Schüler pro Fach besuchen, wurde mit Baselland vereinheitlicht – vom Kindergarten bis zum Gymnasium.
So wurde zum Beispiel die Klassenstunde im Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 praktisch abgeschafft – eine Stunde, die dafür reserviert war, über Organisatorisches oder Dinge zu sprechen, die die Schülerinnen und Schüler gerade beschäftigten. Mit dem Lehrplan 21 erledigt man solches nun im Fach «Ethik, Religionen und Gemeinschaft», in welches die abgeschaffte Klassenstunde integriert wird.
In der Praxis funktioniere das aber nur sehr bedingt, sagt Gaby Hintermann. «Neben dem Fachlichen, das der Lehrplan 21 vorsieht, gibt es wenig Raum für die Angelegenheiten der Schülerinnen und Schüler – der Lehrplan 21 lässt momentan wenig Luft für Ausserplanmässiges.»
Regina Kuratle sagt, das Zeitgefäss mit der integrierten Klassenstunde könne nicht angepasst werden. «Es kann nicht mehr als eine Stunde in diesem Fach geben; darin muss die Klassenstunde enthalten sein.»
Bei den Fächern Medien und Informatik, die derzeit innerhalb der Fächer NT und RZG unterrichtet werden, bestehe ein ähnliches Problem, sagt Kuratle. Es werde sich zeigen, ob diese Einteilung Sinn mache oder ob Medien und Informatik als eigenes Fach behandelt werden müssten.
4. Studiengänge
Mit der Umstellung auf den Lehrplan 21 müssen auch Lehrpersonen anders ausgebildet werden. Die Pädagogische Hochschule der FHNW ist daran, die Studiengänge für angehende Lehrpersonen zu überarbeiten.
Anpassungen sind insbesondere für das Unterrichten der Sammelfächer nötig. Alexander Hofmann, Vizedirektor der Pädagogischen Hochschule erklärt, das Studium eines Sammelfachs wie NT sei «von der Konzeption her nicht die Addition der drei Einzelfächer», also beispielsweise Physik plus Chemie plus Biologie. Das Studium folge «einer eigenen Fachlogik», die nun zu entwickeln sei.
Hofmann lässt offen, wie viel Studienpunkte ein künftiger NT-Lehrer in den einzelnen Fachbereichen erwerben muss. Die Details seien noch in Erarbeitung. Für die Lehrerbildung sei die Umstellung jedoch «kein grundsätzlicher Paradigmenwechsel».
Die Kritik am Lehrplan 21 zielt häufig auf den Punkt der Lehrerausbildung. Ein Lehrer, der Sammelfächer unterrichte, verfüge nicht über die nötige Ausbildung in den Einzelbereichen, so die Meinung der Lehrplan-Gegner. Der Landrat Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige) spricht in diesem Zusammenhang häufig von Bildungsabbau.
Wie die neuen Studiengänge im Detail aussehen werden, wird deshalb mit Spannung erwartet. 2017 werden die angehenden Lehrerinnen und Lehrer erstmals in den angepassten Studiengängen studieren können.