Mach’s gut, Muhammad Ali

In seinem Wohnzimmer hängt ein Bild von Muhammad Ali. Nicht nur deswegen: Der Basler Boxtrainer Angelo Gallina mit einem Nachruf zum Ausnahmetalent.

Er hatte auch Humor: Ali mit Sportkommentator Howard Cosell im Jahr 1972, vor den Olympischen Spielen.

(Bild: Keystone)

In seinem Wohnzimmer hängt ein Bild von Muhammad Ali. Nicht nur deswegen: Der Basler Boxtrainer Angelo Gallina mit einem Nachruf zum Ausnahmetalent.

Darf ich überhaupt einen Nachruf schreiben? Diese Frage habe ich mir zuerst gestellt, als ich angefragt wurde. Ich muss gestehen, dass ich dies mit einem mulmigen Gefühl im Magen mache. Die allermeisten jungen Erwachsenen, die bei uns trainieren, haben keinen Bezug mehr zu Muhammad Ali. Wieso auch, seine grosse Zeit liegt bald schon 50 Jahre zurück, sein letzter Kampf war 1981.

Und trotzdem, er war die bedeutendste Persönlichkeit der ganzen Sportgeschichte. Er war nicht nur einzigartig mit den Fäusten, seine Worte waren es ebenso. Schnell, kurz und treffsicher. Er hat sich allen gestellt und auch allen ausgeteilt. Gegnern, Publikum, Rassisten und allen, die sich ihm in den Weg gestellt haben, und zuletzt auch seiner Krankheit. Ich finde, man kann nicht müde werden, seine Geschichten zu wiederholen und aufleben zu lassen. Ihm hier in ein paar Zeilen gerecht zu werden, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Boxer wegen Fahrradklau

Als Amateur gewann Ali vor seiner Profikarriere alle nationalen Titel und an den Olympischen Spielen in Rom die Goldene Medaille. Diese soll er, infolge rassistischer Beschimpfungen, später in einen Fluss geworfen haben. Sie wurde ihm viel später wieder ersetzt. Die rassistischen Beschimpfungen sind heute noch an der Tagesordnung.

Auslöser seiner sportlichen Laufbahn war die Tatsache, dass ihm sein Fahrrad gestohlen wurde. Würden alle heute in Basel nach einem Fahrradklau zu uns in den Boxkeller flüchten, wäre keine Halle in der Region genug gross, um jeden aufzunehmen. Ali wurde nicht als Champion geboren, er hat hart, endlos und unermüdlich dafür gearbeitet. Geholfen haben ihm dabei ein paar ältere Herren (darunter auch weisse Geschäftsleute), die seine Profikarriere – zumindest am Anfang – fein und säuberlich geplant und auch stark finanziert haben. Man vergisst heute noch gerne, dass selbst beim Profiboxen ohne Investition nicht einmal ein Sparringspartner die Boxhandschuhe anzieht.



Wumm! Joe Frazier muss 1975 einstecken.

Wumm! Joe Frazier muss 1975 einstecken. (Bild: Keystone)

Bemerkenswert war Alis Zusammenarbeit mit dem Trainer Angelo Dundee. Diese war gekennzeichnet von Respekt, vielen gemeinsamen und langfristigen Projekten. Zu seiner besten Zeit als Profi ist Ali jeweils morgens um 5.30 Uhr aufgestanden. Dann lief er 40 Minuten und trainierte 3 Stunden – und das sechs Tage in der Woche.

Kaum jemand kann nachvollziehen, wieviel Trainingsaufwand ein Boxer aufbringen muss, um eingermassen drei Geraden zu schlagen, und die allerwenigsten wissen, wie es einem ergeht, wenn man eine aufs Kinn gepfeffert kriegt. Das konnte ich auch aus den Kommentaren ableiten, die uns nach dem Kampf von Arnold Gjergjaj gegen Haye in London nachgeworfen wurden. Wo einige – das vermute ich stark – nicht dem Bruchteil einer geschlagenen Omaohrfeige standhalten würden.

Ali hat viel eingesteckt. Zu viel, sagen einige, andere behaupten felsenfest, dass seine Parkinsonkrankheit eine Boxerkrankheit ist. Was auch nicht korrekt ist. Mein Hausmeister hatte Parkinson, und dieser hatte noch nie im Boxring gestanden oder andere Handschuhe als seine Gartenhandschuhe an. Klar ist: Boxen ist und bleibt ungesund. An dem gibt es nichts zu rütteln. Jede Hirnerschütterung hinterlässt irreparable Schäden – egal, wodurch sie entsteht.

Ali konnte und wollte sich lange nicht mit seiner Krankheit auseinandersetzen und kämpfte auch gegen den Willen seines Umfeldes und der Ärzte ein paar weitere Kämpfe, was ihm gesundheitlich und auch sportlich nachweislich geschadet hat. Mich haben seine letzen Kämpfe zum Weinen gerührt, menschlich wie sportlich. Seine ganze Geschichte habe ich auch erst viel später wahrgenommen. Zu wenig wurde damals über die Nebenschauplätze berichtet, auch gab es keine Tweets oder Onlinenews.

Eine Reizfigur aus verschiedenen Gründen

Ali war auch eine Reizfigur, dies vorallen auch durch seine Auftritte und Ansagen. Das Ansagen hat er zu Beginn seiner Karriere dem Wrestler Gorgeous George abgekupfert, da dieser mehr Aufmerksamkeit erheischte als alle anderen und diese perfektionierte, bis zum Status als «erster Weltmeister des Rap», wie er im gleichnamigen Buch 2006 von George Lois beschrieben wurde.

Bis zum heutigen Tage unvorstellbar war Alis Beitrag zum Vietnamkrieg. Er verweigerte den Wehrdienst und wurde deshalb für drei Jahre gesperrt – dies zu einem Zeitpunkt, wo er auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Laufbahn war. Welcher Spitzenfussballer oder Tennisspieler würde heute zu irgendeinem Krieg Stellung nehmen oder gleich drei Jahre auf seine Karriere verzichten?

Für viele war wohl der oscarpreisgekrönte Film «When we were Kings» von Leon Gast der erste Anlass, Mohammad Ali in einem anderen Licht zu sehen, ausserhalb des Boxrings. Ein Schulterklopferl und Wiedergutmachungsfilm mit fast 30 Jahren Verspätung. Mir persönlich war der Film von William Klein, «Muhammad Ali, the Greatest» (1974), wesentlich sympathischer, auch authentischer und vor allem auch zeitnaher. Mir gefiel auch, wie Norman Mailer in seinem Buch «The Fight» boxerisch sicher in die Tasten schlug. Unzählige weitere Künstler haben Ali Tribut gezollt. Andy Warhol’s Ali-Bild hat es als Poster bis zu mir in die Wohnstube geschafft.

Ali im halbleeren Hallenstadion

Anders war damals die öffentliche Wahrnehmung vom Boxer Muhammed Ali, der noch zuvor als Cassius Clay agierte. Man mochte Ali nicht so richtig zu seiner besten Zeit des Wirkens, oder zumindest gab man das nicht offen zu. Anders konnte ich mir diese Nichtbeachtung zur damaligen Zeit nicht erklären.

Zu dieser Wahrnehmung passt auch die Tatsache, dass Ali 1971 in der Schweiz im halbleeren Hallenstadion geboxt hat. Es kamen an die 6300 Zuschauer. Sein Gegner war der deutsche Metzgersohn Jürgen Blin, den ich letztes Jahr in Zürich bei einer Buchvernissage, welche über diesen Kampf Bilder zeigte, getroffen habe. Der damalige Veranstalter, Hans-Ruedi Jaggi, machte mehr als 800’000 Franken Schulden, welche später ein deutscher Grossindustrieller diskret beglich.

Auf Promo-Tour zu diesem Kampf besuchte Ali nebst einem Einkaufszentrum in Spreitenbach auch eines in Basel. Mehr wollten ihn nicht haben. Er gab Autogrammstunden in der Manor im Kleinbasel, was ich auch in einem Filmbeitrag zu sehen bekam. Dieser Film wurde dem Ali-Museum verkauft und ist heute noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Schade eigentlich, denn er zeigt wundervolle Bilder, auf denen Ali im Wald bei Schnee den Reportern davon rennt oder auch den Umgang mit seinen Kindern. Er war ja auch in dieser Hinsicht sehr sportlich – mit neun Kindern und vier Hochzeiten liegt er weit über dem üblichen Durchschnitt.



Louisville trauert um Muhammed Ali.

Louisville trauert um Muhammed Ali. (Bild: Keystone)

Wenn man über Ali redet oder schreibt, kommt man auch nicht darum herum, über seine Konvertierung zum Islam zu berichten. Viele nahmen ihm das übel, aber ebenso viele wiederum begrüssten es. Mir persönlich spielt die Religion im Sport keine Rolle, und Ali konnte dorthin beten, wohin er wollte, ich mochte ihn so oder so.

Seine späteren Auftritte waren gekennzeichnet von seiner fortschreitenden Krankheit, welche mir bei jedem Anblick weh tat. So auch, als er sich in Teheran für die Befreiung von Geiseln einsetzte und unzählige mit in die USA bringen konnte. Oder 1996 in Atlanta, wo er mit seiner zittrigen Hand das Olympische Feuer entfachte. Seine Kämpfe bleiben Kunstwerke und Unikate eines edlen Handwerks, welches nur noch ganz wenige beherrschen.

Deshalb danke, Muhammad Ali, für das, was du für den Sport, für die Unterhaltung und für das Weltkulturerbe hinterlassen hast.

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