Pavan Devi Kunar sitzt hinter der Ladentheke auf einem Plastikstuhl, ihre kleinen Füsse baumeln über dem Boden. Sie tupft sich den Schweiss von der Stirn. Draussen herrschen Temperaturen «wie in Indien», dort, wo Devi her kommt. Sie ist nicht viel grösser als einen Meter fünzig, ihr dünnes, dunkles Haar hat sie zu einem Dutt gebunden. Sie schaltet die Bollywood-Serie aus, die im Fernseher über dem Kühlschrank läuft, und hilft den Mitarbeitern beim Regale einräumen, Milch, Kaffee, Chips, Müesli.
Seit 15 Jahren betreibt Devi das Egg-Lädeli im Kleinbasel, dort, wo die Oetlingerstrasse auf die Breisacherstrasse trifft. Jeder im Quartier kennt sie, die Nachbarn sagen «Hallo Devi» oder «Hallo Mama India». «Eigentlich nennen mich alle nur Mama India», sagt Devi und freut sich darüber.
Kein Curry, sondern Masala
Ihr Egg-Lädeli ist eines dieser Lokale, die das Abendessen retten, wenn man mal wieder die offiziellen Geschäftsöffnungszeiten verpasst hat, oder das Bier für den Ausklang am Rheinufer liefern. Aber nicht nur das. Im Egg-Lädeli gibt es auch indische Spezialitäten nach dem Rezept von Devis Grossmutter. Im Angebot: Vegi-Masala und Chicken-Masala. «Nicht Currys, wie die meisten Europäer denken», betont Devi, sondern eben Masalas aus einer typisch indischen Gewürzmischung.
Ein Menü kostet zehn beziehungsweise elf Franken, Samosa gibt es für drei, Pakora für zwei Franken fünfzig. Zubereitet wird alles auf dem kleinen Gasherd im hinteren Teil des Ladens. Jeden Abend sitzt Devi ab 18 Uhr draussen auf dem zu hohen Plastikstuhl und schöpft an guten Tagen bis zu 25 Menüs. «Am meisten ist im Frühling los», sagt sie. «Jetzt ist es zu heiss.» Unterstützung bekommt sie vom Bruder, der Schwägerin, der Tochter oder dem ältesten Enkel. «Wir sind ein Familienbetrieb.»
Doch schon bald wird es Mama Indias Laden nicht mehr geben. «Am 15. Dezember 2017 haben wir zum letzten Mal geöffnet», sagt Devi, als zähle sie bereits die Tage. Unglücklich ist sie schon jetzt. Vor zwei Jahren starb die Hausbesitzerin, die Liegenschaft ging in andere Hände und nun will die neue Verwaltung die Räumlichkeit übernehmen.
Devi, geboren in eine einfache Bauernfamilie im nordindischen Bundesstaat Punjab, war 18-jährig, als sie 1976 ihrem damaligen Mann in die Schweiz folgte. «Ich denke nicht gerne an die Zeit zurück», sagt sie. Der Mann habe sie schlecht behandelt und sei schliesslich mit einer anderen Frau auf und davon, Devi blieb mit ihren zwei Kindern zurück.
Sie begann, halbtags in einem Hotel zu putzen, bis sie 1993 erstmals ihre Masalas an einem Marktstand verkaufte. Dann eröffnete sie ihren ersten kleinen Laden im Kleinbasel, zog in einen anderen um, bis sie vor 15 Jahren mit ihrem zweiten Mann das Egg-Lädeli übernahm. Auch dieser Mann ist gegangen, Devi blieb.
Es gibt viele Einwohner im Quartier, die der baldigen Schliessung des Ladens wehmütig entgegensehen. Andererseits: Gehört es nicht zum natürlichen Lauf der Zeit, dass Lokale schliessen und Neues entsteht? Vielleicht findet sich an der Ecke irgendwann eine Gelateria mit hausgemachtem Glace, ein veganer Döner-Laden oder eine Bierbrauerei.
Wird dann noch jemand nach Mama India fragen, der kleinen Frau, die Tag für Tag Masalas in Styroporboxen schöpfte und den hungrigen Passanten den Abend am Rheinufer verschönerte? Wird wirklich jemand die Winnetou-Glacen und die Stalden-Crèmes vermissen, die es in ihrem Laden zu kaufen gibt?
Vielleicht kommt ja alles ganz anders. Noch hat die bald 60-Jährige die Hoffnung nicht ganz aufgegeben. «Ich suche eine neue Lokalität in diesem Quartier», sagt sie. Bisher wurde sie nicht fündig, die Mieten sind teurer geworden und indisches Essen gibt es in Basel immer mehr. Letztes Jahr hat ihre Tochter auf dem Hafen-Areal einen indischen Imbiss eröffnet.
Eine Rückkehr nach Indien ist keine Option für Devi, obwohl sie ihre Heimat jedes Jahr mindestens einmal besucht. «Ich habe sehr oft sehr starkes Heimweh», sagt sie, «aber meine Wurzeln sind hier.»