Das Bundesempfangszentrum für Asylsuchende beim Zoll Otterbach platzt aus allen Nähten, Zwischenfälle häufen sich. Die Suche nach Lösungen gestaltet sich schwierig.
Am äussersten Rand von Basel, zwischen den Langen Erlen und dem Zoll Otterbach, steht das Bundesempfangs- und Verfahrenszentrum für Asylsuchende. Es ist eines von insgesamt fünf Empfangszentren im Land, sie unterstehen der Verantwortung des Bundesamtes für Migration. Wer in der Schweiz Asyl beantragen möchte, muss sich zuallererst bei einem der Empfangszentren registrieren und vor Ort warten, bis sein Asylgesuch geprüft worden ist. Im Anschluss werden die Asylsuchenden an einen Kanton weitergeleitet oder abgewiesen.
Das Empfangszentrum Basel steht im Niemandsland. Vor dem Eingang rauschen Autos in Richtung Deutschland, wenige Hundert Meter weiter markiert eine Zollstation den Grenzübertritt. Nebenan steht grau und wuchtig das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut. Auf dem Hof des Empfangszentrums spielen Kinder aus allen Ecken der Welt auf einem farbigen Plastikgerüst. Ringsum meterhohe Sichtbetonmauern, zur Strasse hin ein gesichertes Tor. Stacheldrahtrollen erinnern daran, dass die erhoffte Freiheit noch weit entfernt ist.
Maximal acht Stunden täglich dürfen die Bewohner das Zentrum verlassen, wer zu spät kommt, muss draussen bleiben. Zurzeit leben bis zu 500 Asylsuchende in der Anlage – für 320 Personen ist das Zentrum theoretisch eingerichtet. Vor dem Eingang verbringt ein Sicherheitsangestellter seine Mittagspause. «Das Zentrum platzt aus allen Nähten, es ist nicht mehr schön.» Seinen Namen will er nicht geschrieben sehen, denn offiziell darf er keine Auskunft zu seiner Arbeit geben. Doch sein Ärger ist offensichtlich. «Es muss etwas geschehen, so kann es nicht weitergehen.» Beauftragt für die Sicherheit im Bundesempfangszentrum ist die private Sicherheitsfirma Securitas.
Ausraster wegen Überforderung
Ein paar Schritte neben dem Empfangszentrum stehen einige Baucontainer – die Aussenstelle der Beratungsstelle für Asylsuchende (BAS). Zu den Öffnungszeiten warten hier Dutzende von Personen für ein Gespräch. Die Mitarbeiter der BAS bieten juristische Unterstützung und versuchen die vielen Fragen der Asylsuchenden zu beantworten. Zwischen den Schreibtischen stehen Plastiksäcke mit gebrauchten Kleidern bereit. Auch David Ventura, Leiter der Aussenstelle, blickt besorgt auf die Situation in der benachbarten Unterkunft. «Das Zentrum ist grundsätzlich gut geführt, strukturell aber überfordert.» Als Folge hätten sich in den vergangenen Wochen die Zwischenfälle gehäuft. Bei der Beratungsstelle haben sich mehrere Asylsuchende mit leichten Verletzungen gemeldet. Meist Schürfwunden und Blessuren, einmal auch ein verschobener Kiefer. Die Asylsuchenden machten die Sicherheitsangestellten für die Verletzungen verantwortlich.
Zwei Personen mussten behandelt werden, nachdem sie von einem Diensthund gebissen wurden. «Es handelt sich um Bagatellverletzungen», sagt Roger Lang, der Leiter des Empfangszentrums auf Anfrage. «Es kam praktisch ausschliesslich zu Zwischenfällen unter den Asylsuchenden.» Die Diensthunde hätten zugeschnappt, weil die Hundeführer angegriffen worden seien. Die Mitarbeiter der BAS haben in der Vergangenheit mehrere Male beim Sicherheitspersonal interveniert. Zu einer Anzeige ist es bisher nicht gekommen, denn die Asylsuchenden fürchteten negative Auswirkungen auf ihr Asylverfahren, sagt eine Mitarbeiterin der BAS. «Die Ausraster sind nicht entschuldbar, aber sie erklären sich aus der Situation», sagt David Ventura von der BAS. «Die Mitarbeiter sind überfordert.»
Das Zentrum kann den Ansturm der Asylsuchenden auch räumlich kaum mehr auffangen. Während den vergangenen Monaten waren oft alle Kajütenbetten belegt. Neuankömmlinge wurden angewiesen, sich in einigen Tagen wieder zu melden. Pro Nacht mussten bis zu dreissig Personen einen anderen Schlafplatz finden. Sandra Staudacher, juristische Mitarbeiterin bei der Beratungsstelle, schickte mehrere Asylsuchende in die Notschlafstelle, die Rechnungen von knapp zweitausend Franken bezahlte die BAS. «Andere schliefen in Telefonkabinen und Hauseingängen, bis sie von der Polizei weggeschickt wurden.» Zu jener Zeit seien in der Stadt ausserdem mehrere Schrebergärten aufgebrochen worden, merkt Staudacher vorsichtig an.
Vereinzelt weist das Empfangszentrum noch immer Personen ab. Der Leiter Roger Lang bestätigt: «In Einzelfällen sind Personen provisorisch aufgenommen und auf ein späteres Eintrittsdatum verwiesen worden. Momentan wenden wir unsere gesetzlichen Öffnungszeiten strikte an, da wir keine personellen Ressourcen haben, um rund um die Uhr Asylsuchende aufnehmen zu können. Dies wird aber mit Augenmass umgesetzt.»
Anderes berichtet die BAS. Auch ein aids- und hepatitiskranker Mann sei weggeschickt worden, ebenso eine Familie mit Kindern. Momentan finden die meisten Neuankömmlinge wieder einen Platz, die Zahl der Personen im Empfangszentrum Basel hat wieder leicht abgenommen. Das Bundesamt für Migration rechnet für die kommenden Monate jedoch mit keinem Rückgang der Gesuche und spricht von «weiterhin grossem Migrationsdruck».
Lösungssuche am runden Tisch
Den lauter werdenden Rufen nach Lösungen können die Verantwortlichen nur wenig entgegensetzen. Eine erste Konsequenz hat das Bundesamt für Migration allerdings bereits im Herbst ergriffen. Im Oktober wurden alle Sicherheitsangestellten aus den Empfangszentren nach Zürich zu einer Weiterbildung eingeladen. Geleitet wurde die Schulung von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, auf dem Lernplan standen interkulturelle Kompetenzen und Konfliktmanagement.
Ein Flüchtling erzählte vor versammelter Runde seine Geschichte – Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe erklärten, weshalb eine traumatisierte Person möglicherweise stärker auf eine Uniform reagiere als andere. Die Reaktionen auf die Weiterbildung seien positiv gewesen. «Wir merkten ausserdem, dass viele Securitas sehr wenig über die Asylverfahren wissen», sagt eine Mitarbeiterin der Flüchtlingshilfe.
In der Zwischenzeit hat auch das Empfangszentrum in Basel Massnahmen ergriffen. Gemeinsam mit verschiedenen Institutionen aus dem Asylbereich wurde ein runder Tisch gegründet, um die Situation zu verbessern. Nachgedacht wird unter anderem über Informationsveranstaltungen für Asylsuchende, in denen sie über das Asylverfahren und die gesellschaftlichen Regeln in der Schweiz informiert werden sollen. Oft könnten die Gesuchsteller die Abläufe nicht nachvollziehen, weil ihnen das Wissen dafür fehle, sagt Sandra Staudacher von der BAS. Das stärke das Frustpotenzial. Diese gut gemeinten Lösungsansätze greifen aber zu wenig weit.
Auch Kleinhüningen ausgelastet
«Es müssten insgesamt mehr Kapazitäten geschaffen werden», findet Renata Gäumann, die Asylkoordinatorin Basel-Stadt. Dasselbe fordert auch Daniel Ventura von der BAS. Zurzeit klopft das Bundesamt bei sämtlichen Kantonen an und bittet um weitere Unterkünfte. Der Kanton hat dem Bund vor mehreren Monaten eine Zivilschutzanlage in Kleinhüningen als Erweiterung der Empfangsstelle zur Verfügung gestellt, mit hundert Personen ist jedoch auch diese Kapazität faktisch ausgelastet. «Wir haben klar gesagt, mehr gibt es nicht», sagt Gäumann. Sie erwartet vom Bund konkrete Gegenleistungsvorschläge. Diese fehlten bisher. Eine nachhaltige Entschärfung der Situation scheint nicht in Sicht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16/12/11