Hat sich die Prattler Lehrerin strafbar gemacht, wenn sie ein Verhältnis mit einem Schüler einging? Ganz eindeutig, lautet der Tenor in der Berichterstattung. Sehr unwahrscheinlich, sagen Gesetz und Gerichtspraxis.
Der Fall der Prattler Lehrerin, die mit einem 17-jährigen Schüler Sex gehabt haben soll, zog eine grenzwertige, enthemmte Berichterstattung nach sich. Doch nicht nur aus berufsethischer Sicht haben sich mehrere lokale Medien vergriffen, fast alle Titel, die über den Fall berichteten, stellten in ihrer Berichterstattung auf falsche Behauptungen ab.
- Diese Behauptungen stellen die Lokalmedien auf
- So ist die Rechtslage wirklich
- «Ein Verfahren würde mich erstaunen» – so schätzt Strafverteidiger Christian von Wartburg die Lage ein
Liest man die Artikel in der «Basler Zeitung» und der «Basellandschaftlichen Zeitung», hört man den Beitrag auf «Radio Basilisk» zur Affäre, muss man zum Schluss kommen, dass die Frau eine Straftat begangen hat, sollte sie mit ihrem Schüler geschlafen haben. Nur unter dieser Voraussetzung gibt es eine (dünne) Grundlage, die Geschichte überhaupt öffentlich auszuwalzen.
So schreibt die «Basler Zeitung» am Montag, 17. November:
«Sexuelle Kontakte mit Jugendlichen zwischen 16 und 18 sind verboten. Laut Strafgesetzbuch droht der Frau bei einem Schuldspruch eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren.»
Und verschärft die Behauptung am Mittwoch, 19. November:
«Fakt ist: Von Gesetzes wegen wäre der Sex zwischen den beiden ein Offizialdelikt.»
Auch die «Basellandschaftliche Zeitung» irrt sich fundamental, als sie am Dienstag, 18. November die Geschichte gross aufmacht:
«Bei pädagogischen Abhängigkeiten gilt in der Schweiz ein erhöhtes Schutzalter von 18 Jahren. Die Frau hätte sich demnach – sollte der Verdacht zutreffen – strafbar gemacht.»
Empört, aber genauso falsch gewickelt, ist «Radio Basilisk» am Montag, 17. November:
«Laut Gesetz ist es verboten, dass eine Lehrerin mit einem minderjährigen Schüler Sex hat, und trotzdem darf sie weiter unterrichten.»
Einzig der Urheber der Story, die «Schweiz am Sonntag» (und kurz darauf die Pendlerzeitung «20 Minuten») geben die Gesetzeslage grösstenteils korrekt wieder:
«Bei pädagogischen Abhängigkeiten gilt das Schutzalter 18. Sexuelle Kontakte mit Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren sind verboten. Mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren kann gemäss Strafgesetzbuch allerdings nur bestraft werden, wer eine sexuelle Handlung vornimmt, ‹indem er diese Abhängigkeit ausnützt›. Der Schüler hat seine Schulzeit mittlerweile beendet und ist 18-jährig geworden.»
Die ersten beiden Sätze aus der zitierten Passage in der «Schweiz am Sonntag» sind wiederum falsch, nur die anschliessende Relativierung entspricht tatsächlich dem Strafgesetz. Warum auch das Rechercheblatt den Gesetzesartikel nicht korrekt wiedergibt, ist unverständlich. Dabei wäre das gar nicht so schwer gewesen.
Unter Artikel 188, Absatz 1 des Strafgesetzes steht geschrieben:
«Wer mit einer minderjährigen Person von mehr als 16 Jahren, die von ihm durch ein Erziehungs-, Betreuungs- oder Arbeitsverhältnis oder auf andere Weise abhängig ist, eine sexuelle Handlung vornimmt, indem er diese Abhängigkeit ausnützt,
wer eine solche Person unter Ausnützung ihrer Abhängigkeit zu einer sexuellen Handlung verleitet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
Auch bei sexuellen Handlungen in einem Abhängigkeitsverhältnis gilt grundsätzlich das Schutzalter 16. Allein dann, wenn die Lehrerin den Schüler unter Druck gesetzt hätte, gelangt der Paragraph zur Anwendung. Nur wenn sie das Abhängigkeitsverhältnis – das unbestritten bestand, sollte sie seine Klassenlehrerin gewesen sein – ausgenützt hat, droht ihr eine strafrechtliche Verfolgung.
Kommentar zum Gesetz ist eindeutig
Ja, gut, mag man da einwerfen, wie jedes Gesetz bedarf auch dieser Paragraph einer Auslegung. «Unter Druck setzen» kann schliesslich alles mögliche bedeuten.
Ein Blick in den Basler Kommentar zum Strafrecht (online nicht verfügbar), an dem sich auch die Gerichte orientieren, dürfte die letzten Zweifel ausräumen:
«Von einer Ausnutzung ist dann auszugehen, wenn zwischen der Abhängigkeit des Opfers und der sexuellen Handlung insofern ein Motivationszusammenhang besteht, als das Opfer dem Ansinnen des Täters zwar ablehnend gegenübersteht, doch aufgrund seiner Unterlegenheit nicht zu widersprechen wagt. […] Wenn der Täter weder offen noch verdeckt die Abhängigkeit als Druckmittel eingesetzt hat und das Opfer die Initiative ergreift, so ist eine Ausnutzung zu verneinen.»
Dem Schüler muss es also widerstrebt haben, mit der Lehrerin eine Affäre einzugehen, damit das Gesetz greift. Die Lehrerin muss beispielsweise mit schlechten Noten drohen, sollte er nicht mitmachen – sonst liegt gar nichts vor.
Auch der grosse Altersunterschied ist juristisch betrachtet vollkommen Wurst. Weiter im Basler Kommentar zu Artikel 188.
«Ein ungewöhnlich grosser Altersunterschied zwischen zwei Partnern erlaubt für sich allein noch nicht den Schluss, dass die Abhängigkeit des Jüngeren ausgenutzt wird, so lange dieser dem sexuellen Kontakt nicht abgeneigt ist.»
Eindeutig ist auch die Gerichtspraxis
Auch die Gerichtspraxis sei eindeutig, sagt Christian von Wartburg, SP-Grossrat und Strafverteidiger. Von Wartburg hat kürzlich vor dem Basler Appellationsgericht einen ähnlich gelagerten Fall vertreten.
Er sagt: «Sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und abhängigen Jugendlichen führen auch vor Gericht nur zu Verurteilungen, wenn der Täter das Abhängigkeitsverhältnis ausgenützt hat. Dass die sexuelle Selbstbestimmung des unmündigen Jugendlichen verletzt worden ist, folgt nicht bereits aus dem Abhängigkeitsverhältnis, da das Gesetz sexuelle Handlungen innerhalb eines Abhängigkeitsverhältnisses nicht grundsätzlich unter Strafe stellt.»
«Es würde mich erstaunen, wenn die Staatsanwaltschaft überhaupt ein Verfahren einleitet», sagt von Wartburg. Nur wenn eine Lehrerin ihre Autoritätsrolle ausspielt und sich dann ein Jugendlicher, «der eigentlich nicht will», sich nicht zu widersetzen wagt, müsste geprüft werden, ob ein «Ausnützen» und somit ein strafbares Verhalten vorliegt.
War es ein Verhältnis, das beide wollten, «dann geht das die Justiz gar nichts an», sagt von Wartburg.