Die Stimmung bei Haenowitz & Page (H&P) ist zuversichtlich nervös. Heute wird eine neue Bohne getestet. Eigentlich ein Routine-Anlass für die kleine Rösterei in der Aktienmühle. Aber der heutige Test entscheidet über den Erfolg von zwei Jahren Entwicklungsprojekt.
Dabei geht es um die Zukunft von rund 60 jungen Kaffeebauern im abgelegenen Amazonas-Tiefland Perus. Sie haben in den vergangenen Jahren gelernt, Kaffeebohnen nach hiesigen Qualitätsstandards anzubauen, um sie jetzt nach Basel exportieren zu können.
Die Rösterei Haenowitz & Page arbeitet dafür mit Terre des Hommes Schweiz zusammen und darf sich nun offiziell «Partner von Terres des Hommes Schweiz» nennen. Für die Non-Profit-Organisation ist es das erste Co-Branding-Produkt mit einer Firma aus der Privatwirtschaft.
Das sorgt nicht nur für Jubel in der Szene: «Für viele Non-Profit-Organisationen ist so eine enge Zusammenarbeit umstritten», sagt die Baslerin Sarah Kreis, die bei Terre des Hommes Schweiz verantwortlich für Unternehmenskooperationen ist. Kreis hat sich gegen die kritischen Stimmen durchgesetzt.
Bei der Rösterei waren dagegen alle von Anfang an begeistert. Es gehört zu ihrer Geschäftsstrategie, regelmässigen Kontakt zu den Kaffeeproduzenten zu pflegen und sie zu besuchen. Das ist nicht nur gut für den ethischen Anspruch und die Kaffeequalität – sondern auch wirtschaftlich von Vorteil.
Denn weltweit buhlen je länger je mehr Konkurrenten um Qualitätsbohnen. Seit die Asiaten den Kaffee entdeckt haben, explodieren die Preise. Und gegen wirtschaftliche Giganten wie das japanische Mitsubishi-Unternehmen sind lokale Kleinströstereien im Kampf um die besten Bohnen natürlich machtlos. Enge Bindungen zu den Bauern helfen.
Diesen Frühling besuchte Sarah Kreis von Terre des Hommes Schweiz zusammen mit H&P-Mitgründerin Dina Horowitz ein Kaffeeanbauprojekt in den Ostflanken der peruanischen Anden. Die abgelegenen Fincas im Departement Pasco sind zehn Fahrstunden von Lima und je nach Zustand der Holperpisten eine bis drei weitere von der Provinzhauptstadt entfernt. Das Gebiet gehört bisher nicht zu den bekannten Kaffeeanbaugebieten des Landes, die weiter im Norden liegen.
Peruanische Bauern können bis zu dreimal mehr verdienen
Das will Terre des Hommes ändern, denn, wie Kreis erklärt: «Die Höhenlagen zwischen 1000 und 1500 Metern bieten ein günstiges Klima für den Kaffeeanbau, doch fehlte den Kleinbauern bisher das Know-how, um die Qualität auf das nötige Level für internationale Exporte zu bringen.»
Die Organisation engagiert sich mit der lokalen NGO Cedepas (Centro ecuménico de Promoción y Acción social) seit sechs Jahren für ein Anbauprojekt mit jungen Bauern. Sie vermitteln elementares Wissen zur Verbesserung der Pflanzenpflege, der Ernte und vor allem dem schonenden Trocknen der Bohnen.
Zwar ergeben diese Erntemethoden am Ende unter dem Strich mehr Arbeit für weniger Bohnen. Aber es lohnt sich. So sagt Horowitz: «Auf dem lokalen Markt bekommen sie für ein Kilo umgerechnet 1.45 Franken. Stimmt die Qualität, bekommen sie dank Export sieben bis acht Franken.»
Viel Aroma, garniert mit hoffnungsvollen Augen
Wenn man die Transportkosten dazurechnet, können die rund 60 jugendlichen Bauern dank der Kooperation mit der Schweiz ihren Gewinn verdoppeln bis verdreifachen. Bei einem Potenzial von 30’000 Kilo könnte das der Kooperative dieser Region einiges an neuem Einkommen bringen. Und Jugendliche in der Gegend halten. Derzeit suchen viele anderswo Arbeit und stranden in den Slums der Grossstädte.
Bis jetzt sieht es gut aus, wie Horowitz bei ihrem Besuch feststellte. Die Bauern konnten sich mit Hilfe der lokalen Cedepas-Mitarbeiter das nötige Know-how aneignen und ihr während des Besuchs die erste frisch geröstete Tasse Kaffee nach den neuen Qualitätskriterien reichen. Horowitz war sehr hibbelig, als sie davon kostete: «Man sah die Hoffnung in den Augen der Bäuerinnen und Bauern.»
Und ihr Verdikt war positiv: «Zum Glück überraschte mich die Tasse mit einem voluminösen Aroma.» Und das, obwohl die beste Erntezeit damals noch Wochen entfernt lag.
Richtig ernst wirds aber erst jetzt in Basel. Anfang Semptember ist die erste Testlieferung angekommen. Ein Kilogramm grüner Bohnen. «Die Kooperative in Peru bombardiert mich schon ungeduldig mit Mails. Sie wollen wissen, was beim Cupping herauskam», berichtet Kreis von Terres des Hommes Schweiz.
Denn es gibt keine Absatzgarantie: Nur wenn der Test positiv rauskommt, plant Haenowitz & Page erstmals ein bis zwei Säcke à 69 Kilo Bohnen zu bestellen. Mehr liegt am Anfang nicht drin, wer weiss, ob die geforderte Qualität langfristig erreicht wird.
Das Bohnenbild ist sauber
Das Testteam besteht aus drei Personen: Horowitz, Röster Reto Häner und Spitzen-Barista Michael Aeschbacher. Der rangierte bei den Schweizermeisterschaften mit Röstungen von H&P über vier Jahre in den obersten Plätzen und betreibt heute in Aarwangen selbst eine Rösterei.
Er erklärt, wie so ein Testschlürfen funktioniert: «Ob es persönlich schmeckt, ist keine primäre Qualität für den Sieg bei Wettkämpfen oder dem Cupping neuer Kaffees.» Vielmehr gehe es darum, das Potenzial der Bohne herauszuschmecken. Optimal muss sie 8 bis 24 Stunden nach dem Rösten gemahlen und gekostet werden. Häner hat drei verschiedene Röstgrade gemacht, um die verschiedenen Charaktere und Möglichkeiten der Bohne auszuloten.
Doch erst wird der Rohkaffee, die grünen Bohnen, optisch begutachtet: Farbe, Geruch, Fehler, Schädlingsspuren, Rückstände und Fremdgegenstände. Einstimmiges Votum: Das Bohnenbild ist sauber.
Das grosse Schlürfen
Beim anschliessenden Cupping des Röstkaffees wird es dann komplexer. Drei Gläser pro Röststufe werden aufgegossen wie Türkischer Kaffee. Nach drei Minuten Ziehen geht das grosse Schlürfen los. Die vier rotieren um den Tisch, tauchen ihre bauchigen Speziallöffel in jedes Glas, um Fehler ausschliessen zu können. Laute Schlürf- und Spucklaute untermalen das Szenario.
Aeschbacher entfährt nach dem ersten Sip der zweiten Röstung ein «Yeah». Eigentlich ein absolutes No-Go. Solche Tests sollten in absoluter Ruhe über die Runde gehen, um Beeinflussungen auszuschliessen. Die beste Tageszeit ist der Morgen, wenn die Geschmacksknospen noch frisch und unbelastet sind. Und man könnte auch nach offiziellen Bögen mit vielen Punkten vorgehen.
Doch das Test-Ambiente heute bleibt näher am Genussmittel, niemand driftet in zu nerdige Wissenschaftlichkeit ab. Das ist angenehm: So trauen sich Journalist und Fotograf auch, ihre Löffel in die Becher zu tauchen. Bei der abschliessenden Auswertung fühlen wir uns, ebenso wie Sarah Kreis, dennoch als Aussenseiter. Nicht nur schmeckte uns Röstung drei am besten, welche die Kenner als «Witz», «nicht wertbaren Grenzversuch» und «total totgeröstet» bezeichnen.
Kaufen? Kaufen! Und zwar alle Bohnen.
Auch das Vokabular für die Bezeichnung der anderen Röstungen kann der Schreiber nur wiedergeben. Das Spektrum reichte von «schöne, fruchtige Süsse vom Apfel, aber nichts Beeriges oder Exotisches», zu «brutal sauber und gleichmässige Tasse mit Apfel, Traube, und warmem Honig im Gaumen». Kreis will es konkreter wissen und fragte die Kaffee-Experten: «Und jetzt, was heisst das? Kaufen?»
Ja, kaufen: Röster Häner will sogar mehr als die zwei angedachten Säcke, da die Qualität bestens zum H&P-Sortiment passt. Allerdings lasse sich mit weiteren Röstungen ein noch optimaleres Resultat herausholen, ist er überzeugt. Es sei ausserdem gut möglich, dass weitere Röstereien an der Bohne Interesse zeigten und H&P die Rolle als Steigbügelhalter übernehme. Aeschbacher nickt nachdrücklich.
Doch Horowitz rudert «bei aller Freude über diese Bohnen» zurück: «Jetzt prüfen wir erstmal, ob sie dieses Jahr schon zwei Säcke dieser Qualität liefern können. Dann stehen auch noch Preisverhandlungen an und das besprechen wir dann erstmal intern.»
Die Antworten gefallen Kreis: «Nun bin ich euphorisch – nicht nur wegen dem Koffein!», lautet ihr Fazit des Tages.
Der Koffein-Kick hat das Urteil der Kaffeekenner scheinbar nicht nur kurzfristig hochgepusht. Das Peru-Projekt hat langfristig angeregt. Denn beim Schreiben dieser Zeilen kommt per SMS die intern ausgewogene Mitteilung: «Kleines Update: H&P nimmt alle 9 Säcke, die sie in Peru haben – überzeugt ist überzeugt :)».