Mein Freund Jesus

Zu Tausenden strömten Jugendliche ans «Praise Camp» in Basel. Sie suchen Antworten auf Sinnfragen und wollen Teil sein von Gottes Königreich. Die poppigen Inszenierungen der Freikirchen bieten auf dem Marktplatz der Sinnstiftung ein Angebot, das den Landeskirchen die jungen Schäfchen abspenstig macht.

Gemeinsamkeit wird in freikirchlichen Kreisen grossgeschrieben, Gottesdienste werden so zum euphorisierenden Massenerlebnis. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Zu Tausenden strömten Jugendliche ans «Praise Camp» in Basel. Sie suchen Antworten auf Sinnfragen und wollen Teil sein von Gottes Königreich. Die poppigen Inszenierungen der Freikirchen bieten auf dem Marktplatz der Sinnstiftung ein Angebot, das den Landeskirchen die jungen Schäfchen abspenstig macht.

Für die Basler Messe sind die jungen Christen ein Geschenk des Himmels. Nach Weihnachten haben sie sich eine Woche lang in den sonst zu dieser Jahreszeit leeren Hallen eingemietet. 6400 Jugendliche, rund 20’000 Mahlzeiten am Tag, die das Messe-Catering verkauft. Es ist «Praise Camp» in Basel, ein grosses Geschäft für die Messe, doch drinnen merken die Teilnehmer nichts davon, sollen sie auch nicht – im Gegenteil: Von ihnen wird Verzicht erwartet.

Lukas Herzog führt durch die Halle 1, er wickelt die Medienbesuche ab. Er deutet auf einen grossen Stapel roter Schüsseln, die vor einem Stand stehen, der Entwicklungsarbeit irgendwo im Süden dieser Erde bewirbt. Herzog erzählt die Geschichte hinter den roten Schüsseln: Man habe den Jugendlichen die Wahl gelassen, entweder sie nehmen Polenta mit Fleisch oder sie lassen das Fleisch weg. Das so eingesparte Geld geht an das Drittweltprojekt.

Herzog lächelt, sein Blick sucht beim Gegenüber nach dem Eindruck, den die kleine Geschichte hinterlassen hat. Verzichten müssen die Jugendlichen auch auf Nikotin und Alkohol, das Camp wird «suchtmittelfrei» durchgeführt und verläuft auch darum «ohne nennenswerte Zwischenfälle», wie es in der Medienmitteilung heisst.

Aussen, an den Fassaden der Messehallen, wandert ein Schriftzug auf den Laufanzeigen von links nach rechts. «Kingdom Culture», dazu eine Krone, das Symbol des Mega-Events. Eine Kultur schaffen, die dem König gerecht wird, ein Leben führen, wie er sich das wünscht.



Am «Praise Camp» gab es Alltagstipps vom Hipstermädchen, …

Am «Praise Camp» gab es Alltagstipps vom Hipstermädchen, … (Bild: Hans-Jörg Walter)

Sinnsuche auf dem Hallenboden

Drinnen erklärt Andreas Fürbringer, der für die evangelikale Missions- und Schulungsbewegung Campus für Christus arbeitet, wie das gemeint ist, so zu leben wie der König. Jeden Nachmittag finden im «Praise Camp» Workshops statt. Über Sexualität, über Übernatürliches, über Menschenhandel – Fürbringer unterrichtet in Lebensführung. In seinen Workshops geht es darum, die eigene Berufung finden zu lernen oder wie sich der Basler Organisationsberater ausdrückt: «Wie leben wir so, wie Gott sich das für uns ausgedacht hat?»

Die Prämisse seines Ansatzes: Um glücklich zu werden braucht man ein Ziel im Leben. Vor ihm sitzen vielleicht 200 Jugendliche im Kreis auf dem nackten Hallenboden. Die rasende Ungewissheit, Privileg und Fluch der Adoleszenz, lässt sie konzentriert zuhören. Vom Workshop nebenan, durch eine Trennwand abgeschirmt, dröhnen laute Stimmen in die Runde, dort wird das Übernatürliche verhandelt.

Fürbringer unterscheidet vier Typen von Jugendlichen: die Unbeteiligten, die «gerne chillen und sich für nichts interessieren»; die Träumer, die Fussballprofis werden wollen; solche, die zumindest versucht haben, ein zielbewusstes Leben zu führen – und solche, die es bereits tun. Welche Kategorie die einzige glückselig machende ist, darüber lässt Fürbringer keine Zweifel: «Wo kein Ziel vorhanden ist, treten psychische Beschwerden auf, Depressionen, Ängste.»



… Verkleiderlis im Namen des Herrn, …

… Verkleiderlis im Namen des Herrn, … (Bild: Hans-Jörg Walter)

Im Berufungsdreieck

Ein Medizinstudent tritt vor die Gruppe. Es beelende ihn, dass in den Spitälern nur körperliche Leiden behandelt würden und das Geistige völlig vergessen gehe. «Das will ich ändern.» Applaus. Eine junge Frau erzählt, wie gerne sie sich um ihre Oma kümmert und jetzt «etwas mit Alten machen will». Applaus.

Ein erfülltes Leben nach Fürbringer spielt sich in einem «Berufungsdreieck» ab und pendelt zwischen der Selbstliebe, der Liebe zu anderen und der Liebe zu Gott. In diesem Dreieck ist auch das «Praise Camp», hinter dem 50 evangelikale Freikirchen und landeskirchliche Gruppierungen stehen, zu Hause. Die Höhepunkte der Veranstaltung bilden jeweils die Abendevents. Aus allen Winkeln des Komplexes strömen nach dem Abendessen Tausende Teenager in die Konzerthalle. Dort wird erst der Selbstliebe gefrönt, was gar nicht so einfach ist, weil die Eventprediger auf der Bühne es schaffen müssen, dass das kleine Ich nicht in der grossen Masse untergeht.

Also werden von der Bühne aus, die an den WG-Stil des Musiksenders «Joiz» erinnert, Riesenselfies gemacht, Geburtstage unterm Lichtkegel ausgerufen, Teilnehmer dürfen schildern, wie sie mit Jesus Kontakt aufnehmen konnten und wie sich das angefühlt hat. Jeder Moment ist unvergesslich, jede Anekdote einzigartig. Auf jede Ansage folgt frenetischer Jubel.



… und Gitarrenmusik in Stadionatmosphäre.

… und Gitarrenmusik in Stadionatmosphäre. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die 6'400 Teilnehmer des Camps verspeisten hier 20'000 Mahlzeiten am Tag …

Wichtiger noch sind die Aktivitäten, die Geister anbietet. Er setzt auf Trendsportarten wie Parkour oder Freerun als erste Anlaufstellen; statt nur gemeinsam einer Predigt zu folgen spielt man Lasertag oder geht abends Pizza essen, das macht es Teilnehmern einfacher, Kollegen mitzunehmen. Etwas, das man sich von den Freikirchen abgeschaut hat. «Der Fokus geht in die Richtung, dass wir das anbieten, was die Jugendlichen anspricht», sagt Geister. Beim organisierten Glauben spielt die Marktlogik.



Ein Selfie, um Gott zu gefallen. Das «Praise Camp» bedient sich modernster Technik und zeitgemässer Formate.

Ein Selfie, um Gott zu gefallen. Das «Praise Camp» bedient sich modernster Technik und zeitgemässer Formate. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Noch eine weitere Trennung hat die Gellertkirche aufgehoben, diejenige zwischen Glaubensvermittlung und sozialer Arbeit. Geister betreibt ein Mentoring-Programm, das die Jugendlichen im Alltag begleitet. Welche Lehre soll ich machen? Soll ich mit dem Freund Schluss machen? Fragen, mit denen die Teenager zu ihm kommen. «Doch Antworten», versichert Geister, «gebe ich nicht.» Auch wenn oft der Wunsch da sei nach klaren Ansagen, «da hat man eine Verantwortung, niemanden fremdzusteuern oder zu manipulieren».

Er verstehe seine Aufgabe so, dass er die Jugendlichen dazu bringe, bei sich selbst die Antwort auf die Fragen zu suchen. Bei sich und in der Bibel. «Jugendliche stehen oft unter dem sozialen Druck ihres Umfelds, sei es beim Kiffen, beim Sex oder auch bei Mobbing», so Geister. Christliche Jugendliche seien da keine Ausnahme. «Klar muss man als Teenager Sachen ausprobieren, aber man sollte nur das tun, was einem auch guttut.»

Mehr zum Thema: Interview mit ICF-Jugendpastor / Vom Lager in die Kirche: Kinder im Fokus der Freikirchen

Und darauf erhalten die Jugendlichen im «Praise Camp» Antworten: Jeder für sich und alle miteinander. Das ist «krass», wie ein Teilnehmer im Video zum Anlass erklärt. Dort spüren die Teilnehmer Liebe «nicht nur von Gott, sondern auch unter den Menschen». Und so weichen Einsamkeit und Verunsicherung der Gewissheit, nicht allein, sondern aufgehoben zu sein unter Gleichgesinnten und einen megastarken Partner an seiner Seite zu wissen: deinen Freund Jesus.

«Praise Camp»

Das «Praise Camp 2014» war die sechste Ausgabe des gemäss Veranstaltern «grössten christlichen Jugendcamps der Schweiz». Hinter dem «Praise Camp» stehen vier Trägerorganisationen und über 40 «befreundete Organisationen» aus dem evangelisch-reformierten Umfeld. Im Zweijahresrhythmus treffen dort mehrere Tausend Jugendliche und junge Erwachsene zusammen. Aus Platzgründen fand die letzte Veranstaltung in der Messe Basel statt und nicht mehr in den Olma-Hallen in St. Gallen.

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Literaturhinweis: «Phänomen Freikirche – Analyse eines wettbewerbsstarken Millieus», 2014, Theologischer Verlag Zürich

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