Menschen, Biester, Abnormitäten

Manege frei für das bitterböse Figurenspiel des erbärmlichen Lebens: Ronny Jakubaschk krempelt auf der Kleinen Bühne des Theater Basel Heinrich von Kleists Lustspiel «Der zerbrochene Krug» durch die masslose Karikierung der Figuren zur schaurigen Tragödie um. 

Zirkus Krug nach Kleist mit Gerichtsrat Walter (Lorenz Nufer) und Richter Adam (Andrea Bettini) (Bild: Foto: Simon Hallström)

Hereinspaziert in den Zirkus der Monstrositäten: Mit dem Holzhammer wuchtet Ronny Jakubaschk den Figuren aus Heinrich von Kleists «Der zerbrochene Krug» die menschliche Seele aus dem Körper und dreht so das Lustspiel zur tragischen Farce.

Statt dem Gerichtssaal in Huisum sehen wir uns einer Zirkusmanege gegenüber, die – fast wie im richtigen Zirkus – vorne und hinten von Zuschauerreihen gesäumt ist (Bühne und Kostüme: Matthias Koch). In der Manege bereiten sich die Clowns in grellbund-gestreiften Kostümen, mit entstellend geschminkten Gesichtern, geschienten, langgezogenen, eingezwängten oder verkrüppelten Körperteilen und schauderhaften Frisuren zwischen blau-roten Podesten auf die Vorstellung vor. Ein mit einem verzerrten Sternbanner und Schweizerkreuzen bemalter Gazevorhang trennt die Manege von den Zuschauerreihen, als wäre er ein Schutzgitter gegen das unberechenbare Raubtier Mensch. Und fast etwas verwundert nimmt man zur Kenntnis, dass diese entstellten und wie Gliederpuppen zappelnden Clowns die beispiellos feingeschliffene Sprache Kleists sprechen.

Unberechenbar? Eigentlich sind die Figuren in Heinrich von Kleists unsterblichem Lustspiel «Der zerbrochene Krug» durch und durch berechenbar. Natürlich wissen wir, dass der verschlagene Dorfrichter Adam, der Gericht halten muss über eben diesen zerbrochenen Krug, nichts anderes ist als der, über den er richten soll (und falls es tatsächlich jemanden geben sollte, der diesen Klassiker das erste mal erlebt, erfährt man es sehr bald schon). Natürlich merken wir sogleich, dass die junge Eve, der Adam an die Wäsche wollte, die Wahrheit nur solange zurückhält, weil sie ihren Verlobten schützen möchte, dass dem Gerichtsrat Walter die Veruntreuungen und sonstigen Verfehlungen der Huisumer Gerichtsbehörden nicht verborgen bleiben werden – das Allzumenschliche offenbart sich in Kleists Dorfgemeinschaft als bitterbös-komisches Spiel.

Nicht viel Menschliches geblieben

Den Figuren auf der Kleinen Bühne ist nicht viel Menschliches geblieben, sie alle könnten einem irrwitzigen Cartoon entliehen sein. Der klumpfüssige Dorfrichter Adam (ein virtuoses Kabinettstück von Andrea Bettini) scheint dem Höllenreich selbst entsprungen zu sein. Die sprachlichen Verrenkungen, mit denen er sich aus dem Schlamassel herauszuwinden versucht, übertragen sich auf seine Bewegungen. Das Opfer Eve (Hanna Eichel) ist als geschändete junge Frau gefangen in einer Spieldosenpuppen-Hülle. Wenn der riesenhafte Gerichtsrat Walter (Lorenz Nufer) mit seinen überlangen Beinen auf den Boden stampft, bebt die Erde, während Schreiber Licht (Max von Mühlen) als Zeichen seiner Untertänigkeit in eine Art Zwangsjacke steckt. Nicht gar soweit in die  Karikatur getrieben werden die Klägerin Marthe (Claudia Jahn) und der Beschuldigte Ruprecht (Benjamin Kempf).

Das Erstaunliche an diesem Abend ist, dass sich die Lächerlichkeit der bis ins Letzte verzerrte Figuren nicht negativ auf den Gesamteindruck überträgt, den der Abend hinterlässt. Das mag daran liegen, dass Ronny Jakubaschk das Geschehen präzise und praktisch ohne Durchhänger durchchoreografiert hat (einzig am Ende lässt die Spannung etwas nach). Das liegt sicher daran, dass die wunderbare Sprache, die das Lustspiel zum Meisterwerk erhebt, ihre faszinierende Bildhaftigkeit behält. Und gerade durch die gnadenlose Überzeichnung der Figuren wird aus dem sprachlich kunstvoll gesponnenen Lustspiel eine bittere Tragödie. Zu Lachen gibt es während den gut anderthalb Stunden nur wenig – etwas gar wenig.

Aktualitätsbezüge bleiben verborgen

Und doch ist letztlich nicht klar, was der Regisseur mit diesem Zerrbild ausdrücken möchte. In der Monatszeitung des Theater Basel spricht Jakubaschk viel von «Gegenwartsbezügen». Von der Euro-Krise ist die Rede, von Griechenland, den unsauberen Geschäften von Schweizer Banken, von den Fällen Kachelmann und Strauss-Kahn. Davon ist, abgesehen vom Goldlametta, das herumgewirbelt wird, und vom Sternenbanner auf dem Gazevorhang, auf der Bühne nun aber rein gar nichts zu spüren.

 

«Der zerbrochene Krug»

Von Heinrich von Kleist

Regie: Ronny Jakubaschk; Bühne und Kostüme: Matthias Koch; Musik: Johannes Hofmann; Dramaturgie: Martin Wigger

Mit: Andrea Bettini, Max von Mühlen, Claudia Jahn, Hanna Eichel, Benjamin Kempf, Lorenz Nufer

Weitere Vorstellungen:

12.12., 19.12., 29.12., 31.12.2011, 16.01. (mit Einführung), 29.01.2012

Auf der Kleinen Bühne des Theater Basel.

 

Artikelgeschichte

Änderung am 10.12.11: Zwei «letztlich» auf Anregung von Leser Jürg gestrichen.

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