«Mit öpperem Sex ha isch wie mit öpperem e Kaffi trinke»

Junge Frauen haben keine Lust mehr, die Erwartungen anderer zu bedienen. In der Produktion «Flex» im Jungen Theater Basel hauen sie uns witzig und temporeich Vorurteile und Realitäten vom Mann- und Frausein um die Ohren – und halten damit nicht nur den Jugendlichen einen Spiegel vor.

Starke Individuen auf der Bühne des Jungen Theater Basel in der neuen Produktion «Flex»

(Bild: Junges Theater Basel)

Junge Frauen haben keine Lust mehr, die Erwartungen anderer zu bedienen. In der Produktion «Flex» im Jungen Theater Basel hauen sie uns witzig und temporeich Vorurteile und Realitäten vom Mann- und Frausein um die Ohren – und halten damit nicht nur den Jugendlichen einen Spiegel vor.

Wir glotzen einander an. Sechs junge Frauen lümmeln auf ihren Stühlen, starren dabei ins Publikum. Oder flirten mit den jungen Männern in der ersten Reihe. Oder äffen unsere Sitzhaltungen nach. Hinter ihnen eine Spiegelwand, in der das Publikum sich selbst beim zurückglotzen beobachten kann.

Wir glauben, es gibt eine Trennung zwischen Fiktion und Realität, zwischen Darstellerinnen und Publikum, zwischen Jung und Alt. Doch die Themen, die hier verhandelt werden, gehen uns alle an: Selbstbestimmung versus Erwartungshaltung, Individualität oder Konditionierung.

«Es lauft öbbis schief»

Es ist die zweite Aufführung von «Flex», der neusten Produktion des Jungen Theater Basel, und damit der erste Härtetest. Nicht das Premierenpublikum mit den Fachexperten und familiären Angehörigen schaut zu, sondern die Zielgruppe: Schulklassen.

Um ihre Themen geht es, und die haben die Darstellerinnen in Interviews mit Gleichaltrigen herausgearbeitet. Als Diskussionsbasis dienten Texte der Feministin Laurie Penny, die sich mit modernem Feminismus auseinandersetzt. Doch wenn sich Laurie Penny aus dem fernen Boston via Twitter über Arbeitskämpfe, Reproduktionsmedizin, Cybersexismus und Überwachung auslässt, dann trägt der mediale Schallschutz zu einer gewissen Distanz bei – die in der Kaserne lautstark heruntergeschrien wird. Die sechs Basler Darstellerinnen knallen uns ganz direkt um die Ohren: «Es lauft öppis schief!»

Junge Frauen sind mutiger

Los geht es mit dem Körper, der plötzlich an allen Enden und Ecken spriesst und zum Hauptthema wird. Sie sind «Mainstreammeitli», sie sind die mit «de Titte oder mit de Muggestich», sie machen eine revolutionäre Mutprobe ab – «Kumm, mir rasiere uns eifach mol nüm!» – und halten nicht durch, sie gehen seit Jahren nicht schwimmen, weil sie Bikinis hassen, sie werden ungeschminkt für krank, mit Wimperntusche für gesund gehalten, und sie regen sich über den Sexualkundeunterricht auf, der Mädchen nur beibringt, «Nein!» zu sagen – und dabei ganz vergisst, dass auch junge Frauen lernen dürfen und sollen, «Ja!» zu sagen zu ihrem Körper mit all seinen Facetten und Funktionen.

Doch es geht hier nicht um eine Abrechnung. Es geht um eine Auseinandersetzung mit dem Hineinwachsen in eine Welt, die andere geprägt haben. Vielleicht sind junge Frauen dabei mutiger, den Mund aufzumachen und auch die Männer aufzufordern, selbst an ihrem Image zu arbeiten. Auch Männer dürfen «Nein!» sagen, wenn Frauen angegrabscht, abgeschleppt oder gar vergewaltigt werden.

Witzig und schlagfertig

Selbst die Erklärungen, wie das geht, sind gleichermassen komisch wie schlagfertig: «Mit öpperem Sex ha isch wie mit öpperem e Kaffi trinke.» Wir alle sagen klar, ob wir einen Kaffee trinken möchten. Wir alle akzeptieren problemlos, wenn unser Gegenüber keinen Kaffee trinken möchte. Wir zwingen heute niemandem zum Kaffee trinken, der gestern einen Kaffee mit uns trank. Wir geben keinem Bewusstlosen einen Kaffee, und leeren einem Schlafenden keinen Kaffee in den Mund. Wir verstehen, dass es total daneben ist, wenn man jemanden dazu zwingt, Kaffee zu trinken, wenn er oder sie nicht möchte. «Wieso ischs denn so schwierig das z verstoo, wenns um Sex goht?»

Dass all diese Themen nie mit dem moralischen Zeigefinger, sondern lustvoll, wortgewaltig, temporeich und oft ungemein witzig daherkommen, ist nicht nur der 29-jährigen, vom Berliner Maxim Gorki-Theater re-importierten Regisseurin Suna Gürler und dem Dramaturgen Uwe Heinrich zu verdanken, sondern auch den sechs Darstellerinnen. Lea Agnetti, Anna Lena Bucher, Alina Immoos, Anh Nguyen, Noemi Steuerwald und Antoinette Ullrich sind starke Individuen, die ganz nebenbei auch die gängigen Stereotypen bedienen. Und so finden sich nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene darin wieder, sich zu fragen, ob der Rasier- und Gutaussehzwang, der Geldverdien- und Positionenerreichzwang etwas mit Selbstbestimmung oder Erwartungshaltung anderer zu tun hat. Ein Stück, das jeder gesehen haben sollte.
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«Flex», Junges Theater Basel, 10. Dezember bis 5. Februar, 20 Uhr.

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