Die Baselbieter Bildungsdirektorin Monica Gschwind wollte die Umsetzung des Lehrplans 21 schon vor ihrem Amtsantritt bremsen. Am Sonntag stimmt das Baselbiet über zwei wichtige bildungspolitische Vorlagen ab.
Frau Gschwind, als Sie Ende Februar 2015 Ihr Amt übernahmen, verordneten Sie als Erstes einen Marschhalt in der Baselbieter Bildungspolitik. Das sollte Ruhe bringen in die Flut von Bildungsinitiativen. Nächstes Wochenende stehen nun zwei kantonale Bildungsvorlagen zur Abstimmung, das Komitee «Starke Schule» hat wohl noch viele weitere Initiativen im Köcher. Es scheint Unruhe zu herrschen: Kann man so überhaupt noch seriöse Bildungspolitik betreiben?
Ja natürlich können wir das. Gerade der Marschhalt war dafür sehr wichtig: Damit konnte ich eine Übergangslösung erwirken, die den Sekundarschulen für die nächsten zwei Jahre Ruhe und Sicherheit gibt. Die Abstimmung vom kommenden Wochenende zum Thema Sammelfächer hätte für Unsicherheit gesorgt, denn die Einführung der Sammelfächer war ursprünglich auf August 2016 geplant. Und falls das Volk deren Einführung am kommenden Sonntag möglicherweise ablehnen würde, wären die Schulen in Bedrängnis geraten.
Muss man für einen Marschhalt nicht zuerst mal einen Marsch hingelegt haben? Wo steht man denn jetzt in der Baselbieter Bildungspolitik, wo soll es hingehen?
Es gab schon einen Weg, bevor ich Bildungsdirektorin wurde, mit Harmos, mit Lehrplan 21. Dieser Weg ist meiner Ansicht nach zu schnell begangen worden. Ich wollte einen anderen Weg, es brauchte dringend eine Verschnaufpause. Und, das muss ich deutlich sagen: Der Marschhalt stellt keinen Stopp dar, sondern ein Vorwärtsgehen. Er brachte eine Übergangslösung für die Schulen, die bereits in die richtige Richtung geht. Wir haben die Ernte der Primarschule aufgenommen, was die Fremdsprachen betrifft. Und wir nehmen die Mint-Fächer, also die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik, die Fachkräfte hervorbringen, als Wahlpflichtfächer in unseren Sekundarschul-Niveaus E und P auf. Ebenso enthält die Übergangslösung eine Lektion zur Berufsorientierung.
Was wäre denn am vorher begangenen Weg konkret anders oder Ihres Erachtens problematisch gewesen?
Im Rahmen der Bildungsharmonisierung ist der Lehrplan 21 entstanden, den die Kantone sozusagen als Muster nutzen können. Das heisst folglich nicht, dass alle Kantone ihn eins zu eins übernehmen müssen, sie sind frei, den Lehrplan ihren Bedürfnissen anzupassen. Dass hier unterschiedliche Wünsche bestehen, zeigt sich jedoch an den zwei Lagern im Kanton. Das eine Lager möchte alles umsetzen, das andere Lager zeigt grossen Widerstand. Ich sehe mich in einer Vermittlerrolle: Wir in Baselland müssen zu einer massgeschneiderten und mehrheitsfähigen Lösung kommen. Dennoch können wir mit anderen Kantonen vorwärtsgehen: Bei den Fremdsprachen sprechen wir uns sechskantonal ab und bei den Leistungsmessungen und Abschlusszertifikaten vierkantonal im Bildungsraum Nordwestschweiz. Wir kapseln uns nicht ab, im Gegenteil.
Es stehen am Sonntag zwei wichtige Weichenstellungen an. Die Abstimmung gegen die Einführung der Sammelfächer auf Sekundarstufe sowie die Entmachtung des Bildungsrates. Wie stimmen Sie denn persönlich?
Der Regierungsrat gibt keine Empfehlung ab, weil es sich um parlamentarische Initiativen handelt. Ich werde zweimal Ja stimmen: Ich stimme Ja zur Bildungsrats-Vorlage, weil ich es persönlich als Chance sehe, wenn der Landrat dem Lehrplan für die Volksschule Baselland zustimmen kann. So wird meines Erachtens ein wirklich mehrheitsfähiger Lehrplan möglich. Das Parlament wird keine Detailfragen oder Einzelfragen diskutieren; es wird nur sagen können: Ja, das wollen wir so, oder nein, das wollen wir nicht. Falls der letztere Fall eintrifft, geht das Geschäft an den Regierungsrat zuhanden des Bildungsrats zurück, mit dem Auftrag, den Plan allenfalls zu überarbeiten.
Das braucht dann wieder viel Zeit im Bildungsrat, der ja ebenfalls demokratisch legitimiert ist. Und Detailfragen könnten doch sehr wohl eine Rolle spielen: Der Landrat könnte den ganzen Lehrplan ablehnen, nur weil irgendjemand ein kleines Detail zu einer riesigen Sache macht.
Ja, der Lehrplan könnte abgelehnt werden. Dann würde der Bildungsrat den Auftrag erhalten, noch einmal über die Bücher zu gehen, einen neuen Entscheid zu treffen und mit einer neuen Vorlage wieder an den Landrat zu gelangen. Aber mein Ziel ist es, einen Vorschlag vorzulegen, der mehrheitsfähig sein wird. Darin besteht die grosse Arbeit, die seit September läuft.
Baselland war in Sachen Harmos ein Pionierkanton für die ganze Schweiz. Jetzt ist es umgekehrt: Man schaut nach Baselland, weil der Kanton eine Pionierrolle im Torpedieren des Lehrplans 21 einnehmen könnte. Teilen Sie diese Befürchtung nicht, dass von den Ideen des Lehrplans am Ende nicht mehr viel übrig bleibt?
Nochmals: Der Lehrplan 21 ist eine Mustervorlage, an der sich die Kantone anlehnen können, in der Ausgestaltung der eigenen Lehrpläne aber frei sind. Wir waren Vorreiter, aber meine Einschätzung ist, dass wir zu schnell unterwegs waren. Wie erwähnt: Ich will einen massgeschneiderten Lehrplan für das Baselbiet, und das braucht Zeit – Zeit, damit die Basis erreicht wird und um Diskussionen zu führen. Die übergeordneten Bildungsziele von Harmos sind klar zu erreichen und sind im Kanton auch nicht bestritten. Die Frage, ob der Lehrplan Kompetenzen und/oder Inhalte enthält oder nicht, ist hingegen umstritten. Aber ich denke, dass wir einen Konsens finden werden.
Die Kompetenzen sind aber ein wesentlicher Bestandteil des Lehrplans 21. Was bleibt denn noch übrig, wenn Sie diesen Punkt infrage stellen?
Harmos gibt vor, dass die Bildungsziele erreicht werden müssen. Das tun wir. Aber wie genau dies wo im Lehrplan gemacht wird und ob man Kompetenzen und Inhalte definiert oder nicht – das ist strittig. Wir müssen uns zusammenraufen und am Ende einen Lehrplan vorlegen, mit dem unsere Schülerinnen und Schüler die Bildungsziele erreichen.
Klar. Aber Harmos ist nicht der Lehrplan 21. Wenn Sie auf Kompetenzen und Inhalte verzichten – in der Anzahl und Ausgestaltung ist man ja frei, das haben andere Kantone gezeigt –, dann fehlt das Herzstück des Lehrplans 21. Sehen Sie das anders?
Erst der Kanton Basel-Stadt hat den Lehrplan 21 komplett eingeführt – wir bereits auf der Primarstufe. Für mich ist wichtig – nochmals: Wir diskutieren auf Basis des Lehrplans 21, wie wir einen mehrheitsfähigen Lehrplan erhalten, der unseren Bedürfnissen entspricht. Das heisst noch nicht, dass wir ganz auf die Kompetenzen oder Inhalte verzichten. Auch das ist ein Ziel der Diskussionen im Marschhalt: Nämlich wie man beides verbinden könnte oder ob wir einen Konsens finden, der die Kompetenzen noch näher definiert. Es finden verschiedene und übrigens sehr interessante Diskussionen dazu statt.
Sicher auch aufreibende Diskussionen. Das Komitee «Starke Schule Baselland» scheint ein gewichtiges Wort mitreden zu können – und macht auch gerne mit Katastrophenszenarien auf sich aufmerksam. Wird da zu viel Wind darum gemacht? Sie sagen ja, die Veränderungen seien nicht gross, man sei kompatibel mit anderen Kantonen.
Ich glaube, das gehört zum Abstimmungskampf. Das gilt für beide Seiten: Die einen vermuten das Chaos, wenn man Nein stimmt, die anderen, wenn man Ja stimmt. Schliesslich möchte ich festhalten: Am 5. Juni geht es ausschliesslich darum, ob der Landrat diesen neuen Lehrplan genehmigen soll oder nicht – oder ob der Bildungsrat weiter darüber entscheidet.
«Die einen vermuten das Chaos, wenn man Nein stimmt, die anderen, wenn man Ja stimmt. Das gehört zum Abstimmungskampf.»
Und es geht um die Sammelfächer.
Auch hier kann man festhalten: Sie sind nicht das Herzstück des Lehrplans 21 und nicht zentral für die Einführung unseres Lehrplans Volksschule Basel-Landschaft.
Sammelfächer sind wiederum wesentlich beim Thema Lehrer-Ausbildung. Je nachdem, wie es weitergeht, müssen die Lehrer in den Kantonen BS, BL, AG und SO vier verschiedene Ausbildungen absolvieren. Sammelfächer wurden als Kostentreiber bezeichnet, aber die Verzettelung im Fall einer Annahme wäre doch eher kostentreibend?
Alle vier Kantone bilden die Lehrer an der Fachhochschule Nordwestschweiz aus. Und wir haben abgeklärt, dass das geht: Der Lehrgang könnte so ausgestaltet werden, dass man an der Fachhochschule sowohl Einzelfächer als auch Fächerverbünde studieren könnte. Beides wäre möglich. Die Fachhochschule kann und muss flexibel sein. Mir persönlich ist vor allem wichtig, dass die Lehrpersonen Spezialisten in ihren Fächern sind und dass sie unsere Jugendlichen motivieren können. Vor allem in Fächern, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken: Physik, Informatik, Mathematik, Biologie etc. – dort brauchen wir mehr Spezialisten.
Die Handelskammer beider Basel hat gesagt, genau darum wären die Sammelfächer in den Mint-Bereichen gut, weil man wieder mehr Leute für technische und naturwissenschaftliche Kompetenzen begeistern könnte, zumal Physik als separates Fach eher abschrecken mag.
Ich glaube, ob man die Schüler motivieren und begeistern kann, ist letztlich immer auch abhängig von den Lehrerinnen und Lehrern. Das haben wir alle selber erlebt: Bei guten Lehrern geht man im Fach auf, bei jemandem, der nicht begeistern kann, findet man das Fach vielleicht eher langweilig. Aber Mint bieten wir ja sowieso als Wahlpflichtfach an – und so kann man vertiefen und vernetzen, was in den Einzelfächern auf Sekundarstufe angeboten wird.
Es klingt, als gingen Sie davon aus, die Abstimmung gegen die Sammelfächer bereits gewonnen zu haben.
Nein, gar nicht, das ist nur meine persönliche Meinung. Ich bin offen, wir werden am 5. Juni sehen, wo wir stehen. Beides ist möglich, auch das Unterrichten in Fächerverbünden.
Sie haben es selbst gesagt: Es gibt in der Schulfrage starke Blöcke, die unversöhnlich wirken. Wenn das Abstimmungswochenende vorbei ist: Kann man dann mal durchatmen und gemeinsam einen Weg gehen?
Es ist ganz wichtig, dass die Abstimmung nun stattfindet. Dann wissen wir in Sachen Fächerverbünden, wo wir stehen und ob der Bildungsrat weiterhin abschliessend zuständig für den Lehrplan sein wird oder nicht. Mit diesen Abstimmungsresultaten lässt sich dann auf Grundlage des Volkswillens weiterarbeiten.