Monika Willi: «Mach keinen Film, wenn du nicht musst»

Die österreichische Filmeditorin Monika Willi zeigt am Bildrausch Festival ihr Regiedebüt «Untitled». Koregisseur war kein Geringerer als der 2014 verstorbene Michael Glawogger.

Getrieben von Neugier und Intuition – so wollte Michael Glawogger die Welt zeigen. (Bild: Lotus Film)

Sitzt ein Hund am Fenster und wartet auf die Rückkehr seines Herrchens. Das Fenster steht offen, trotzdem fällt der Hund nicht. Warum? Eben weil die Möglichkeit eines freien Falls besteht und diese schwindlige Freiheit das Tier zu stolz macht, um in den Tod zu stürzen.

Birgit Minichmayr liest aus dem Off den Tagebucheintrag des österreichischen Filmemachers Michael Glawogger («Whore’s Glory»), den dieser 2014 während seiner Weltreise verfasst hatte. Einen Dokumentarfilm ohne Thema wollte der Regisseur drehen, einen Film, der nie zur Ruhe kommt.

Nach einer viermonatigen Reise durch den Balkan und Teile Afrikas fand der Filmemacher allerdings selbst ein tragisches Ende: Sein letzter Eintrag entstand in Liberia, wo Glawogger davon träumte, spurlos verschwinden zu können, kurz bevor er an Malaria starb.

Ausser Konkurrenz

Dass Glawoggers letzter Film drei Jahre später doch noch im Rahmen des Basler Filmrausch Festivals gezeigt werden kann, liegt an seiner Weggefährtin und Cutterin Monika Willi («Happy End», «Wilde Maus»). Willi hat den Dokumentarfilm «Untitled» nicht nur fertig geschnitten, sie ist auch als Koregisseurin aufgeführt – aus dem einfachen Grund, weil sie dem Toten keinen Film unterschieben wollte, der hätte misslingen können.

Das Gegenteil ist der Fall. «Untitled» ist eine grossartige Meditation über Menschen und Räume (und Tiere), die sich gegenseitig bedingen und durchdringen, Aufnahmen von prekären Lebensverhältnissen und frappierende Naturbilder wechseln sich ab. Das hat nichts mit wohlfeiler Exotik zu tun, der beglückende Ausblick auf eine neue Welt, aber auch die Gefahr des Stürzens sind auf Schritt und Schnitt zu spüren.

Monika Willi stellt den Film in Basel ausser Konkurrenz vor, sie gehört zusammen mit der niederländischen Produzentin Ilse Hughan und dem philippinischen Regisseur Lav Diaz zur Festivaljury. Vor dem Start hat die TagesWoche mit der Österreicherin ein Telefoninterview geführt.

Frau Willi, was hat für Sie den Ausschlag gegeben, «Untitled» zu beenden?

Monika Willi.

Für mich hat sich irgendwann herauskristallisiert, dass ich diesen Film machen muss. Ich bin in die Vorbereitungen zu diesem Projekt involviert gewesen und hatte auch schon während der Dreharbeiten Szenen geschnitten. Monate nach dem Tod von Michael, dem Schock, der Trauer und der Stille, wusste ich, dass ich das machen wollte.

Wie sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Es gibt im Nachhinein natürlich immer Sachen, die man anders machen würde. Doch ich kann damit ganz gut leben.

Sie hatten an die 70 Stunden Rohmaterial zur Verfügung. Wie wird daraus ein Film von 100 Minuten?

Es ist nicht so viel Material, wie es zunächst vielleicht den Anschein macht. Es hat keine Aufnahmen mit sprechenden Menschen, keine zwei Kameras, die gleichzeitig drehen. Es sind 70 Stunden, die so speziell sind, eben weil es kein Thema gibt. Der wichtigste Entschluss war, dass ich kein Material verwendet habe, das nicht zu dieser Zeit entstanden ist – keine Aufnahmen, keinen Ton und keinen Text. Es war vor allem eine Frage des Ausprobierens.

Das erfordert viel Geduld. Sind Sie ein geduldiger Mensch?

Überhaupt nicht (lacht). Meine Schwester ist Schneidermeisterin, und wenn ich ihr bei der Arbeit zuschaue, dann kommt mir das endlos vor.

Das Schneiden liegt also in der Familie. Wie sind Sie zur Cutterin geworden?

Man kann dafür natürlich die Filmakademie besuchen, ich persönlich war nie dort. Ich wollte schon immer etwas mit Film machen und habe als Volontärin für alles Mögliche begonnen, Kamera, Regie, bis ich gemerkt habe, dass der Schnitt meinen Fähigkeiten am meisten entspricht.

«Ich kann einen fertigen Film schauen, als ob ich nicht wüsste, was als Nächstes passiert.»

Wann sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden, gibt es so etwas wie eine eigene Handschrift?

Das ist eine interessante Frage. Ich persönlich versuche aus dem Ausgangsmaterial des Regisseurs das Beste herauszuholen. Trotzdem ist es natürlich so, dass alle Filmeditoren unterschiedliche Herangehensweisen haben. Handschriften gibt es also durchaus, und das Ausmass der eigenen Zufriedenheit richtet sich danach, ob man dranbleibt und es selber spannend findet. Auch wenn ich jede Silbe und jedes Wort in- und auswendig kenne, ist es bei mir so, dass ich einen fertigen Film schauen kann, als ob ich nicht wüsste, was als Nächstes passiert.

Sie tragen die weggeschnittenen Szenen also nicht mit sich im Kopf herum?

Es gibt natürlich immer wieder einzelne Drehorte oder Bilder, die so fantastisch sind, dass ich sie zu behalten versuche, sie entwickeln dann so etwas wie ein Eigenleben. Aber dann bewahrheitet sich oft dieser blöde Spruch, den man immer wieder hört, «Kill your darlings» – das ist schon erstaunlich. Aber man muss eben immer offen bleiben, nicht zu früh zumachen, weil sich während der Arbeit ständig neue Sachen ergeben.

Sie arbeiten mit den namhaftesten österreichischen Regisseuren zusammen. Ruft jemand wie Michael Haneke Sie einfach an, oder wie muss man sich das vorstellen?

Die Zusammenarbeit mit Michael Haneke ist aus einer privaten Situation heraus entstanden, jedenfalls wurde ich ihm irgendwann für sein neues Projekt vorgeschlagen, auch weil ich Französisch kann…

Das war für «Die Klavierspielerin» mit Isabelle Huppert …

Genau. Er hat gesagt, gut, probieren wirs, und es war dann eine sehr gute Zusammenarbeit.

Was für Filme schauen Sie sich privat an, haben Sie Vorlieben?

Ich bezeichne mich selbst als Wandererin, ich reise gerne von einem Planeten zum nächsten, und so geht es mir auch in der Kunst. Ich habe gerne mit unterschiedlichen Situationen, Stimmungen und Projekten zu tun, grundsätzlich aber mit Autorenkino.

Sie haben als Cutterin von Hanekes eigenem «Funny Games»-Remake auch schon für den US-amerikanischen Markt gearbeitet. Reizt Sie Hollywood?

Das würde ich schon gerne machen. Ich hatte auch einige Angebote für internationale Produktionen, nur ist bei so grossen Filmen die Schnittzeit auf 36 Wochen veranschlagt. Wenn man die in den USA, in London oder Paris absolvierte, dann müsste die ganze Familie mitziehen. Das hat sich bis jetzt nicht ergeben, und das ist auch okay so. Aber es gibt einen amerikanischen Regisseur, mit dem ich im Gespräch bin, der will unbedingt mit mir arbeiten. Man wird sehen.

Würden Sie nach der Erfahrung mit «Untitled» auch gerne einmal alleine Regie führen, oder interessiert Sie das nicht?

Höchstens dann, wenn das, was schlummert, unbedingt raus muss. Auch das ist eine Erkenntnis dieses langen Prozesses: Mach keinen Film, wenn du nicht musst.

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