Wer sich aus der warmen Stube in die eisige Kälte wagte, konnte gestern in den Basler Museen so einiges erleben. Die 13. Museumsnacht lockte mit insgesamt 200 attraktiven Programmpunkten – die TagesWoche hat ein paar davon besucht.
Basel ist im Ausnahmezustand. Nicht enden wollende Menschenströme füllen am frühen Freitagabend die Strassen und Gassen. Alle «Drämmli» und zahlreiche Shuttle-Busse sind pausenlos im Einsatz. Zum 13. Mal laden die Basler Museen zur Museumsnacht und es dürfen tausende Besucher erwartet werden. Diese werden wie jedes Jahr vor die knifflige Frage gestellt «Wohin soll es denn gehen?» Denn: alle Programmpunkte an einem Abend zu erleben, dafür reicht die Zeit schlichtweg nicht.
Schauprozess im Historischen Museum
«Gestehe, du bist eine Hexe!», wettert der Richter und durchbohrt die «Gräfin» förmlich mit seinen Blicken. Diese beteuert ihre Unschuld. Sie habe ein Gewissen, das sei blütenrein. Doch der Richter hört ihr nicht zu. Kalt und unbarmherzig beschuldigt er weiter, listet auf, welche Taten sie begangen haben soll. «Ich will die Wahrheit wissen!», zetert er. Die «Gräfin» hat nicht den Hauch einer Chance. Eingekerkert und unter Folter soll sie sich schliesslich schuldig bekennen, eine Hexe zu sein. Wie sich diese Szene vor rund 400 Jahren in Wirklichkeit abgespielt hat, lässt sich nur mutmassen. Für die Besucher der Barfüsserkirche rollen die beiden Schauspieler Valérie Cuénod und Gilles Tschudi den Justizfall Margreth Graf-Vögtlin, wie die «Gräfin» zum bürgerlichen Namen hiess, noch einmal auf.
Tierischer Einsatz im Ausstellungsraum Klingental
«Ich muss draussen bleiben», dieses Schild prangt bei Museen an jeder Eingangstür. Hundehalter sind es sich gewöhnt, dass ihre treuen Vierbeiner unerwünscht sind. Nicht so im Klingental. Es sind keine Gemälde oder Skulpturen, die im Mittelpunkt stehen, sondern Hunde und ihre Halter. Ob Pudel, Chihuahua oder Foxterrier, sie alle sind willkommen. Ein von Künstlern geschaffener Agility-Parcours lädt zum Mitmachen ein, erfordert aber von Tier und Mensch viel gegenseitiges Vertrauen. Wer eine Erinnerung für den Kaminsims haben möchte, darf sich zum Schluss noch von einem Profifotografen ablichten lassen: Fröhliches Gebell und eifriges Schwanzwedeln garantiert.
Geschmacklicher Selbsttest im Botanischen Garten
Die Gäste der Wunderbeerenparty müssen sich erst einmal in Geduld üben. Warten ist angesagt. 30, 40 Minuten, und das bei eisigen Wind. Kalte Füsse und tropfende Nasen gibt’s umsonst. Doch das Warten lohnt sich. Einmal aufgetaut an der feucht-warmen Luft im Tropenhaus des Botanischen Gartens, ist die Neugier geweckt. Jeder bekommt eine geheimnisvolle rote Beere ausgehändigt. «Gut kauen. Aber nicht den Stein herunterschlucken», lauten die klaren Anweisungen. Und schon beginnt die fröhliche Degustation. Auf einem Spaziergang mitten durch die tropischen Pflanzen darf allerlei gekostet werden. Zitronensaft, Sauerkraut, Salzstängeli oder Tomaten und – «oh Wunder» – alles schmeckt süss.
Flockige Aussicht in der bitteren Kälte
Weniger lockerflockig und süss dürfte allerdings dieses Jahr das Museumsnachtsfazit für einige eher abgelegene Ausstellungsorte ausfallen. Denn nach Einbruch der Dunkelheit fordern die bitterkalten Temperaturen unbarmherzig ihren Tribut. Bei klirrenden Minusgraden und eisigen Windböen gestaltet sich der alljährlich von tausenden von Begeisterten absolvierte Stafettenlauf mit dem Ziel, möglichst viele Orte zu besuchen, bedeutend weniger heimelig als sonst. Spätestens nach einer wärmenden Mahlzeit oder einem in einer Beiz genossenem Aufwärmdrink scheinen deshalb bereits erstaunlich viele Basler vor der Kälte kapituliert zu haben: Die Schlangen bilden sich nicht etwa wie zuvor (und normalerweise die ganze Museumsnacht lang) vor den Museumseingängen und Shuttlebus-Stationen, sondern an Tramhaltestellen und Taxiständen.
Auffällig viele Familien mit Kindern und ältere Besucher treten kurz nach neun Uhr abends nämlich bereits den Heimweg an. Erneuter Schneefall und vereiste Strassen und Gehsteige beschleunigen den Exodus. Sogar im Epizentrum der Museumsnacht, beim Shuttle-Bahnhof auf dem Münsterplatz, bleibt es ungewohnt ruhig: Halbleere Shuttlebusse tuckern gemächlich von dannen, während ennet der Pfalz in der Ferne verschneite Dächer pittoresk hervorglitzern und der milchige Nachthimmel das Münster in ein unwirklich helles, gedämpftes Licht taucht. Leise rieseln die Flocken vom Himmel und verschlucken auch die Schritte der letzten Unentwegten, die sich einen Weg über den Platz bahnen.
Sakrale Soundscapes in der Kunsthalle
Wer annimmt, dass sich die Geschäftigkeit einfach ins warme Innere der Basler Museen verlagert, sieht sich zumindest teilweise getäuscht. Abgesehen vom Dauerbrenner Antikenmuseum, aus dem Stimmengewirr und heiteres Gelächter dringt, und wo sich die Gäste hinter den Scheiben scheinbar auf den Füssen stehen, bleiben auch viele grosse Institutionen wie das Kunstmuseum erstaunlich wenig belebt. In der Kunsthalle, wo sonst während der Museumsnacht stets ausgelassene Apéro-Stimmung herrscht, hat man gar ganze Ausstellungsräume völlig für sich. Im oberen Stockwerk sendet dagegen das improvisierte Radio Arthur als Plattform für auditive Kunst aus einem Nebenraum direkt in die warmen Stuben.
Doch dann wird es kurz vor Mitternacht plötzlich doch noch unverhofft laut im Saal: Aus dem Wabern und Brummen der hier gezeigten Klanglandschaften erhebt sich plötzlich eine Art Fanfare, dann setzt ein dumpfer, pulsierender Herzschlag ein und bringt die Halle zum Schwingen. Lauris Paulus und Boris Dougoud vom welschen Live-Ambient-Duo Graal übernehmen auf der Bühne, die mitten im Raum steht, vor ihren Macbooks sitzend das Zepter der Klangschau – und verwandeln die Geräuschkulisse im Nu in langsam pulsierenden Ambient- und Dubtechno. In den hohen, weiten Räumlichkeiten der Kunsthalle entfaltet ihre Musik dabei eine fast sakrale Wirkung: Andächtig verfolgen einige Dutzend Hör- und Schaulustige, wie sich verzerrte Stimmfetzen aus dem Mikrofon mit elektronischen Impulsen verbinden, ballen – um sich Richtung Decke wieder zu zerstreuen, zu verlieren. Gebannt lauschen die Anwesenden so auch jenem insgesamt über den ganzen Abend hinweg entstehenden Klangteppich, welcher die Kunsthalle mit sanftem Dröhnen und Rauschen erfüllt. Manch einer hält ob der faszinierenden Soundscapes, die hier aus Boxen und Äther dringen, bereits minutenlang entrückt die Augen geschlosssen – oder sind sie etwa doch schlicht vor lauter Erschöpfung bereits eingeschlummert?
Mademoiselle Marcelle lässt Elaine ausflippen
Als eigentliche Antithese zur spirituell-meditativen Klanglandschaft der Kunsthalle präsentiert sich das Museum für Gegenwartskunst am St- Alban Rheinweg: Bereits mehrere hundert Meter vom Gebäude entfernt sind am Mühlenberg, wo sich beinahe alle Passanten bei ihren Partnern einhaken, bevor sie sich ganz vorsichtig übers abschüssige Glatteis wagen, die stampfenden Beats unmissverständlich zu hören. Und tatsächlich: Im überfüllten, heissen und verrauchten Club- und Veranstaltungsraum «Elaine» geht um halb eins bereits ordentlich die Post ab. Wie Gummibälle hüpfen die hier versammelten Hipster einmütig im Takt, drehen Pirouetten kreuz und quer durch den Raum, während ihre Hornbrillen vor lauter Schweiss und Luftfeuchtigkeit beschlagen.
Grund für die euphorische Tanzekstase sind die irrwitzig schnell ratternden und ruckelnden Beats, die tief grummelnden Bässe und gnadenlos auf den Punkt gecutteten Mixingkünste, die es hier zu bestaunen gibt – oder besser gesagt: die aus den Boxen dröhnen. Inmitten dieses Spektakels wippt eine voluminöse Dame mittleren Alters mit üppigem, wogenden Busen hinter dem DJ-Pult auf und ab, wirft rasant eine Scheibe nach der anderen auf die Teller, während die Schweisstropfen von ihren strähnigen braunen Haaren in alle Richtungen fliegen: Die legendäre holländische DJane Marcelle macht ihrem anarchistischen Ruf hier wirklich alle Ehre, und verwandelt den Clubraum im Erdgeschoss in ein veritables Tollhaus. Übermütig schütteln auch die anwesenden Performance-Künstler im Kreis ihre Glieder und jauchzen aus voller Kehle, derweil einige der jungen Kuratoren in den dunklen Ecken bereits heftig miteinander auf Tuchfühlung gehen: «Sieh an», scheint uns das wilde Szenario zuzuraunen: «So gegenwartsbezogen und zeitgeistig, so avantgardistisch und ausgelassen kann eine Museumsnacht also sein!»
Mit Nonchalance zurück in die (Zweit-) Heimat
Schweren Herzens trennen wir uns von der mitreissenden Marcelle-Raserei und nehmen trotz des vermeintlichen Eiszeitanbruchs den weiten Weg zur letzten Station des Abends in Angriff: Auf den Dreispitz. Hier, im Haus für elektronische Künste an der Oslostrasse, ist ebenfalls noch bis spätnachts Scheiaweia angesagt. Allerdings leidet das an sich bestens ausgewählte Abendprogramm mit Kurzführungen, Werkstatt, Konzerten und DJ-Sets rund um die Themen digitale Kunst und elektronische Kultur etwas am verhängten Rauchverbot: Denn somit steht stets gut ein Drittel der (insbesondere angesichts der abgelegenen Lage) an sich sehr ordentlichen Besucherzahl von Ausstellungs- und Clubraum jeweils bibbernd vor der Tür – während in den Innenräumen gleichzeitig ein ständiges Kommen und Gehen herrscht, was der Partyatmosphäre wiederum natürlich insgesamt eher abträglich ist.
Dennoch vermögen nicht nur die Basler DJanes Herzschwester und Timnah Sommerfeldt, sondern insbesondere auch der kanadische Hauptact Deadbeat mit seinem zwischen Dub und Techno pendelnden Live-Act zu überzeugen. Dass er es in punkto Coolness sogar mit Marcelle aufnehmen kann, beweist Scott Monteith im Anschluss an seinen Gig gleich wortwörtlich: Nur im dünnen, durchgeschwitzten Langarmshirt – ohne Jacke, Kappe, Handschuhe und weitere notwendige Necessitäten des Abends – steht der Mann mit dem schwarzen Schnauzer ganz entspannt vor dem Eingang des HeK und schmaucht seelenruhig und zufrieden seine «Zigarette danach».
Auf die arktische Witterung angesprochen, zuckt er denn auch bloss nonchalant mit den Schultern und meint augenzwinkernd: «Ich stamme aus Montréal, Kanada – So sieht unser Sommer aus!» Danach verabschiedet sich die sympathische Dubtechno-Ikone auch bereits wieder in Richtung Flughafen, um rechtzeitig in seiner Zweitheimat Berlin zu landen: Denn gehörte die Freitagnacht (zumindest für die hartgesottenen, temperaturresistenten Gemüter) noch ganz und gar den Basler Museen, hat Monteith den darauffolgenden Tag ausschliesslich für etwas für ihn noch viel wichtigeres reserviert: Nämlich um ganz und gar für seine kleine Tochter da sein zu können. «Wer weiss, vielleicht geh ich mit ihr ja auch ins Museum», zieht der Künstler und Produzent zum Schluss schmunzelnd Fazit: «So viel Inspiration wie hier kann jedenfalls bestimmt nicht schaden.»