Muskelmänner im Zeitalter des Internets – Bodybuilding zwischen Boom und gefährlicher Kumpel-Wissenschaft

Vor wenigen Jahren noch schien Bodybuilding ein aussterbender Sport zu sein. Doch im Zeitalter von Facebook und Instagram erlebt der Kult vom gestählten Körper bei jungen Männern eine neue Blüte. Im Internet entwickelt sich eine Gemeinschaft mit teils gefährlichem Halbwissen über Ernährung, Training und Nahrungsergänzungsmittel.

Eugen Sandow, erster Bodybuilder der Welt in Studio-Aufnahmen aus dem Jahr 1894, aufgenommen in Los Angeles. (Bild: George Steckel)

Vor wenigen Jahren noch schien Bodybuilding ein aussterbender Sport zu sein. Doch im Zeitalter von Facebook und Instagram erlebt der Kult vom gestählten Körper bei jungen Männern eine neue Blüte. Im Internet entwickelt sich eine Gemeinschaft mit teils gefährlichem Halbwissen über Ernährung, Training und Nahrungsergänzungsmittel.

Am Bodybuilding scheiden sich die Geister. Das war schon in der Antike so, als sich römische Thermalbad-Besucher über das Ächzen und Stöhnen der trainierenden Sportler enervierten, während in der Kunst zugleich die männliche Muskelkraft zelebriert wurde.

Noch heute identifizieren sich viele Bodybuilder mit dem Körperkult dieser Zeitepoche. Thomas Buser sagt: «Es ist ein Ideal, das man im Kopf hat und am eigenen Körper anstrebt oder herausmeisselt. Man ist wie ein Bildhauer.» Der Ettinger weiss, wovon er spricht, er ist dreimaliger Mister Universe der World Fitness Federation (WFF).

Die Zirkusartisten machten es vor

Schweizermeisterschaften in Basel

Am Samstag, 18. Oktober 2014, finden im Basler Kongresszentrum die Schweizermeisterschaften im Bodybuilding statt. Der Final startet ab 19 Uhr. Mehr Infos auf der Website des Schweizerischen Bodybuilding- und Fitnessverbandes.

Die Wurzeln des modernen Bodybuilding liegen allerdings nicht in der Antike. Die wahren Begründer des modernen Muskelfetischismus entstammen einer exotischen Randszene: dem Zirkus- und Varieté-Milieu des späten 19. Jahrhunderts. Die Ausdifferenzierung der Industrienationen in gesellschaftliche Teilsysteme (Justiz, Politik, Industrie, Dienstleistungssektor etc.) führte zu einer zunehmenden Entfremdung des Normalbürgers vom eigenen Körper.

So wurde der Besuch im Zirkus zu einem begehrten Spektakel, das einen Ausgleich zur Arbeitswoche und dem sonntäglichen Kirchenbesuch bot. Kraftakte durften dabei nicht fehlen, sei es das Auffangen von Kanonenkugeln, das Ringen mit dressierten Löwen oder etwa das Stemmen eines Klaviers samt Klavierspieler. Muskelmänner wie Eugen Sandow galten als Exponenten einer faszinierenden Parallelgesellschaft zum Bürgertum.



Eugen Sandow, erster Bodybuilder der Welt in Studio-Aufnahmen aus dem Jahr 1894, aufgenommen in Los Angeles.

Eugen Sandow, erster Bodybuilder der Welt in Studio-Aufnahmen aus dem Jahr 1894, aufgenommen in Los Angeles. (Bild: George Steckel)

Der als Friedrich Wilhelm Müller in Preussen geborene Sandow wusste sich durch die damals noch revolutionäre Fotografietechnik gekonnt zu vermarkten. Damit erlangte er ähnlichen Ruhm wie ein Spitzensportler der heutigen Zeit. Seine Auftritte vermochten Hallen mit bis zu 15 000 Zuschauern zu füllen.

Als Sandow später sein Buch «Body Building or Man in the Making» veröffentlichte, wurde der Ausdruck erst zu einem festen Terminus. Der Zeitpunkt, als Sandow erstmals von seinen Kraftakten abliess und lediglich mit einem Feigenblatt bedeckt vor Publikum posierte, gilt für viele als Geburtsstunde des Bodybuildings.

Die «McDonaldisierung» der Körperform

Das Posieren ist bis heute ein fester Bestandteil des Bodybuildings geblieben. Thomas Buser wohnt derzeit in St. Petersburg und arbeitet als Personal-Trainer und im Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln und Trainingszubehör. Er kehrt nur kurz in seine Heimat zurück, um ein Posier-Seminar zu leiten: «Das Posing ist oft ein grosses Manko. Man sieht oft super Athleten auf nationalen Wettkampfbühnen, die sich aber wirklich nicht präsentieren können. Dann gehen sie unter.»


Thomas Buser präsentiert 2014 in Seoul seine Muskeln.

Richtig relevant wird das Präsentieren seines Körpers für den Bodybuilder aber erst, wenn er sich auf eine Wettkampfbühne wagt. Die grosse Mehrheit bevorzugt die private Inszenierung ihrer hart erarbeiteten Körperoptik. Diese wurde in den letzten hundert Jahren zunehmend einheitlicher, weil sich viele Bodybuilder an gemeinsamen Vorbildern orientieren. In der Sportsoziologie wird gar von einer «McDonaldisierung des Bodybuildings» gesprochen, weil sich die antrainierten Körperformen weltweit immer ähnlicher werden.

Das Geschäft mit den Muskeln boomt. «Inzwischen gibt es mehr Fitnessstudios als Kebabbuden,» sinniert Benjamin Winzeler, Ladenbesitzer der Power Zone an der Feldbergstrasse. Winzeler, der ebenfalls Nahrungsergänzungsmittel und Trainingszubehör verkauft, bekommt dies unweigerlich mit: «In den 15 Jahren seitdem ich es verfolge, war das Bodybuilding nie so im Trend wie jetzt. Für uns ist das natürlich positiv.»

Muskelaufbau mit Rechner-Hilfe

«Bevor es das Iphone gab, war es sehr schwierig, auf die Schnelle etwas im Internet zu suchen. Inzwischen sind Bodybuilding-Foren sofort verfügbar und die Apps werden immer intelligenter», erzählt José Fabricio Pelaez, selbst Bodybuilder, Personal-Trainer und diplomierter Ernährungsberater des Medical Fitness Team Basel.

Noch nie war der rechnergestützte Muskelaufbau so einfach wie heute. Mit einem Smartphone gelangt jedermann mobil zu Kalorienzähler-Apps, Trainingsplänen und zu einem Account auf Foren wie etwa bodybuilding.com oder team-andro.com.

Zu viel Mist in den Bodybuilding-Foren

Letzteres ist nicht bei allen Bodybuildern gleichermassen beliebt: «In den Foren schwirrt zu viel Mist herum. Alles Besserwisser ohne jegliches fachliches Grundwissen. Jemand mit einem Account, der einmal eine Hantel in der Hand hatte, will alle belehren», kritisiert Mister Universe Buser.

Die Bodybuilding-Szene verfügt bereits über einen Namen für das im Internet abgesetzte Halbwissen: Bro Science – Kumpel-Wissenschaft. Darunter fallen die Ratschläge derjenigen Bodybuilder, welche ohne fundierte sport- oder ernährungswissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihrer Materie einen schnellen Muskelaufbau erzielten und sich danach den Expertenstatus selber verpassten.

Fünfmal am Tag Poulet mit Reis und Gemüse?

Was am Anfang visuelles Ansehen mit sich bringt, kann allerdings negativ auf die Gesundheit schlagen: «Wenn man einem Athleten rät, fünfmal am Tag Poulet mit Reis und Gemüse zu essen, scheint das an und für sich gesund zu sein. Aber das führt längerfristig zu einer Schädigung des Magendarmtrakts. Die Darmflora wird bei einer einseitigen Ernährung geschädigt», erklärt Pelaez, «zudem hat er ja vielleicht eine Intoleranz gegen genau diese Eiweisskette. Für die Ernährung braucht es eine kompetente Fachberatung.»



José Fabricio Pelaez beim Training.

José Fabricio Pelaez beim Training. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Bro Science schlägt sich allerdings nicht nur in der digitalen Welt nieder. «Das beginnt schon bei Übungen», meint Winzeler, «es gibt Leute, die in kurzer Zeit an Muskelvolumen zugenommen haben, aber falsch trainieren. Das geben sie dann so in ihrem Umfeld weiter. Viele gehen nämlich ungern alleine trainieren und brauchen einen Partner als Motivation.»

Oft kämen junge Erwachsene in seinen Laden und wollten ein bestimmtes Nahrungsergänzungsmittel, ohne zu wissen, welchen Inhaltsstoff sie weswegen kaufen. Die Frage, was sie mit dem Mittel erreichen wollen, können sie nicht beantworten. «Sie wollen es einfach, weil ihr Kollege es empfohlen hat», sagt Winzeler, «oft ist es auch bloss ein Markttrend.»

Die Sache mit den Nahrungsergänzungsmitteln

Die Ernährung eines Bodybuilders kostet Zeit und Geld. Oft wird zu Nahrungsergänzungsmitteln wie etwa Molkenprotein, Kreatin, Glutamin oder in neuerer Zeit auch organischen «Testosteron-Boostern» gegriffen. Manche wollen mit den Nahrungsergänzungsmitteln Zeit sparen, andere glauben, einen Zaubertrank zu sich zu nehmen.

«Ernährung und Regeneration sind das Wichtigste, fünfzig bis siebzig Prozent des Aufbauprozesses – fast mehr als das eigentliche Work-out alleine,» relativiert dagegen Fachhändler Winzeler, «diese Supplements sind dann einfach noch ein kleines Plus».

Trotzdem ist jede Bodybuilding-Webseite mit Werbebannern der neuesten Nahrungsergänzungsmittel bestückt. Denn nur, wenn diese Werbung angeklickt wird, kommt ein Bodybuilding-Forum auch zu Einnahmen. Es sei denn, es vertreibt die Produkte gleich selbst.



Benjamin Winzeler, Ladenbesitzer der «Power Zone» vor seinen Nahrungsergänzungsmitteln..

Benjamin Winzeler, Ladenbesitzer der «Power Zone» vor seinen Nahrungsergänzungsmitteln. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Durch die intensive Bewerbung kann ein bestimmtes Mittel – wie momentan die Testosteron-Booster – schnell zum Trend werden. Und das selbst dann, wenn die Langzeitwirkungen noch gar nicht erforscht sind.

«Mittlerweile gibt es ein extremes Durcheinander und so viele ausländische Einflüsse, dass das Bundesamt für Gesundheit einfach im Rückstand ist», stellt Ernährungsberater Pelaez fest, «ein schädliches Produkt ist drei bis vier Jahre in der Schweiz erhältlich, bis es erst verboten wird. Es kann sogar sein, dass Substanzen im Mittel sind, die nirgends offiziell aufgelistet werden.»

Wer deshalb am Puls der neuesten Entwicklungen des Bodybuilding bleiben will, der muss den Selbstversuch wagen. Auch weil verschiedene Körper unterschiedlich reagieren können.

Dies stellt für den Mister Universe nichts Neues dar: «Ich probiere die Sachen immer zuerst aus. Ich prüfe die Inhaltsstoffe. Was ist der Vorteil dieser Zusammensetzung? Was sollte mir das bringen? Theorie und Praxis sind aber immer Zweierlei,» erzählt Thomas Buser, der wenig von den Hormon-Boostern hält. «Bei Trainingsboostern habe ich aber die Erfahrung, dass ich immer super anfange – ein Placebo-Effekt spielt immer mit. – Nach einem Drittel des Trainings habe ich aber einen Leistungsabfall, weshalb ich kein Fan davon bin.»

Kein Verband, dafür sorgt das Internet für Nachwuchs

Das Bodybuilding verfügt über keine Verbände, die Jugendarbeit betreiben. Dennoch finden immer jüngere Männer zum Muskeltraining. Für Mister Universe Buser hängt dies im negativen Sinn mit der ästhetischen Komponente seines Sports zusammen: «Durch die sozialen Medien wie Facebook ist das Leben zu einer Darstellung von sich selber geworden. Es gibt schon 14- oder 15-Jährige, die sich verpflichtet fühlen, einem Gesellschaftsideal zu entsprechen und ein Sixpack haben zu müssen. Deshalb fängt der Trend sehr jung an. Jünger als früher, würde ich sagen.»



Immer jüngere Bodybuilder? Für José Fabricio Pelaez gleichzeitig problematisch und eine super Sache.

Immer jüngere Bodybuilder? Für José Fabricio Pelaez gleichzeitig problematisch und eine super Sache. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Für den Personal-Trainer Pelaez ist es einerseits problematisch, dass die Bodybuilder immer jünger werden. Gleichzeitig findet er es aber auch eine «super Sache». Bodybuilding sei vor sechs Jahren vom Aussterben bedroht gewesen: «Damals kannte ich niemanden aus der Bodybuilding-Szene. Da war es sehr schwierig, ein Netzwerk aufzubauen. Je mehr ich merke, wie einfach es durch Social Media geworden ist, mit diesen Coaches in Berührung zu kommen, merke ich, wie jung die Anhänger geworden sind. Durch das Internet ist die Fangemeinde jünger geworden.»

Muskelsucht als männliches Gegenstück zur Magersucht

Inzwischen gilt Muskelsucht bei jungen Männern als das Gegenstück zur Magersucht bei jungen Frauen. Während magersüchtige Frauen vor dem Spiegel ihre dünnen Körper noch immer als zu fett betrachten, glauben muskelsüchtige Männer trotz gut trainiertem Body, immer noch mehr Muskeln aufbauen zu müssen.

«Gefährlicher Körperkult» titelte «Spiegel online» deswegen, auf «Al Jazeera» befasste sich die Sendung «Striving for Perfection» (das Streben nach Perfektion) mit dem Thema. Eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigt: Schweizer Buben werden immer unzufriedener mit ihrem Körper. Versuchte 2002 nur jeder 17. Teenager abzunehmen, fand sich 2005 bereits jeder fünfte Knabe zu dick, jeder zehnte machte gar eine Diät.

Das Selbstvertrauen, das mit den Muskeln wächst

Ganz kalt lässt diese Diskussion auch die Bodybuilder nicht. Pelaez nennt den Ausdruck Biggerexie, der für eine Ess-Störung benutzt wird, an der junge Männer leiden, die nach dem idealen Körper streben. «Diese psychische Einstellung zum eigenen Körper kommt daher, dass man nicht mag, wie man aussieht», sagt Pelaez. Die Männer glauben, sie würden anders wahrgenommen, wenn sie ihre Muskeln aufbauen.

«Eigentlich ist es aber so, dass sich die Männer gleichzeitig mit der Körperveränderung anders benehmen und sich selbstsicherer geben», meint Pelaez, «wenn sie das Gewicht und das Aussehen dann etwas verlieren, denken sie, dass sie auch die Person wieder verlieren, die sie geworden sind.»

Trotzdem wehrt sich Pelaez gegen eine pauschale Pathologisierung seines Sports: «Jeder hat andere Gründe, warum er Bodybuilding macht.»

«Eine Sucht ist es sowieso»

Ladenbesitzer Winzeler gibt ganz offen zu: «Eine Sucht ist es sowieso, das muss ich aus eigener Erfahrung zugeben. Wenn ich zwei oder drei Tage nicht trainiere, fange ich auch schon an mich zu drehen.»

Trotzdem hat er Mühe damit, wie weit einige Bodybuilder gehen: «Sie wollen die Perfektion. Sie sehen einen erfolgreichen Geschäftsmann, der auch noch gut aussieht und einen guten Körper hat und eine hübsche Frau an seiner Seite. Finanziell muss alles stimmen, äusserlich muss alles stimmen, beziehungsmässig muss alles stimmen – und irgendwann kommt die Gesundheit am Schluss.»

Ein Proteinshake auf der Toilette

Die Diskussion um die Lust auf Muskeln wird immer wieder in der Öffentlichkeit geführt werden. Wie sich die Aussenwahrnehmung des Bodybuilding entwickelt, liegt für Thomas Buser aber vor allem an den Bodybuildern selbst: «Wenn ich im Restaurant meine Tupperware raushole und provokativ meinen Reis mit Poulet esse, ist klar, dass die Leute den Kopf schütteln. Man kann es sich ja einteilen. Heute hatte ich beispielsweise ein strenges Programm, habe meine feste Mahlzeit ausgelassen und habe diskret auf der Toilette einen flüssigen Proteinshake zu mir genommen. Ich mache das für mich. Ich denke, dass viele sich aber zu extrem inszenieren und das wird belächelt. Das ist eine normale Reaktion.»

Die Inszenierung aber, ist eigentlicher Kern des heutigen Muskelbooms. Nicht unbedingt jene des Proteinshakes auf der Restaurant-Toilette. Dafür die des eigenen Körpers mittels Bildern auf Medien wie Instagram. Eugen Sandow würde sich freuen – schliesslich war er der Erste, der seine Muskelbilder in alle Welt verkaufte.



Welch eine Pose. Eugen Sandow im Jahr 1894.

Welch eine Pose. Eugen Sandow im Jahr 1894. (Bild: George Steckel)

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