Die Reformierte Kirche macht sich für muslimischen Religionsunterricht stark, weil sie den Extremismus stoppen und die Verständigung fördern will.
Bei der Schulreform müsse auch die Einführung des muslimischen Religionsunterrichts an den Basler Schulen geprüft werden: Regina Kuratle, Projektleiterin Schulharmonisierung im Basler Erziehungsdepartement, wusste, auf was sie sich mit dieser Aussage einliess. «Dieses Geschäft ist politisch natürlich heikel», sagte sie im Interview mit der TagesWoche (Heft 7). Prompt gab es danach viele Reaktionen. Klar zustimmende. Und klar ablehnende, auch generell gegen konfessionellen Religionsunterricht an Schulen.
Keine Angst vor Hetze
Die wichtigste Person hat Kuratle jedenfalls schon mal auf ihrer Seite: den Chef, Erziehungsdirektor Christoph Eymann (LDP). «Der Religionsunterricht ist ein hervorragendes Angebot, das es sicher so lange gibt, wie ich in der Regierung bin», sagt er. Gerne würde er den Muslimen das gleiche Recht geben, das die christlichen Kirchen und die Israelitische Gemeinde schon seit Jahren haben.
Voraussetzung dafür sei allerdings, dass sich die unterschiedlichen muslimischen Strömungen auf ein klares Konzept einigten und Ansprechpersonen bestimmten, sagt Eymann: «Es kann nicht sein, dass irgendwelche Randgruppen an den Basler Schulen unterrichten. Wir wollen keinen Extremismus, weder von muslimischer Seite noch von irgendeiner anderen.» Mit Eymanns Unterstützung für die Idee eines muslimischen Religionsunterrichts hätte man vielleicht noch gerechnet, schon etwas überraschender ist die dezidierte Zustimmung der Reformierten Kirche.
«Religionsunterricht ist allgemein wichtig, damit die Schüler die Grundlage ihrer Kultur kennenlernen», sagt Peter Graber vom Rektorat für Religionsunterricht der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt. Das gelte nicht nur für die reformierten und katholischen Kinder. «Darum sollten auch andere Religionen die Möglichkeit erhalten, an den Schulen zu unterrichten», sagt er. Das würde die Koexistenz der Religionen erleichtern.
«Ein guter und offener Unterricht könnte die gegenseitige Wertschätzung und Achtung fördern», ist er überzeugt. Angst vor fundamentalistischer Hetze hat er nicht. Oder genauer gesagt: nicht an der Schule. «Es wäre gut, wenn sich der Islam vermehrt dem öffentlichen Diskurs stellen würde. Darum ist mir der Koran an der Schule lieber als in einer Moschee in irgendeinem Hinterhof.»
Gleichzeitig zweifelt Graber daran, dass die Muslime in Basel genügend Geld haben, um schon bald einen eigenen Unterricht anbieten zu können. Hinzu kommen seiner Ansicht nach organisatorische Probleme: «Die alevitischen, sunnitischen und schiitischen Gruppierungen müssten erst noch zusammenfinden, damit sie einen gemeinsamen Unterricht für alle Muslime anbieten könnten.» Dieser Findungsprozess dauert, wie Graber weiss: «Die Reformierten und Katholiken brauchten 450 Jahre, bis ein ökumenischer Unterricht zustande kam.»
Muslime wären interessiert
So lange muss es bis zur Einführung des muslimischen Unterrichts in Basel nicht unbedingt dauern. Ein bisschen Zeit könnte aber schon noch vergehen. Cem Karatekin von der Basler Muslim-Kommission: «Vor ein paar Jahren haben wir ein solches Projekt gestartet. Wegen fehlender Ressourcen mussten wir es allerdings stoppen.» Ob nochmals ein Versuch gestartet werde, müsse «die Zukunft zeigen».
Grundsätzlich sei das Interesse an islamischem Religionsunterricht jedenfalls vorhanden. «Dank diesem Angebot würden sich die Kinder nicht mehr als Migranten, sondern als Teil der Gesellschaft fühlen – ein grosser Vorteil», sagt Karatekin. Irgendwelche Sorgen müsse sich niemand machen – weil es in den Stunden nur darum ginge, Fakten etwa über die historische Entwicklung der Religion zu vermitteln. «Insofern würde der Unterricht das Risiko sogar vermindern, dass sich Kinder später einer extremistischen Vereinigung anschliessen», sagt Karatekin.
Soweit wäre sich die Basler Muslim-Kommission mit der Reformierten Kirche und den Basler Schulbehörden einig. In der Öffentlichkeit gibt es aber noch immer ziemlich grundsätzliche Vorbehalte gegen islamischen Unterricht. Und gegen Religionsunterricht überhaupt. Pat Mächler zum Beispiel schrieb in der Online-Wochendebatte der TagesWoche: «In einem modernen Staat müsste Religion grundsätzlich Privatsache sein. Darum gehört an die öffentliche Schule auch kein Religionsunterricht.»
Und Angelo Rizzi fragte sich und die anderen Leser, warum Missionieren in unserer Gesellschaft grundsätzlich verpönt sei, ausgerechnet bei den «besonders beeinflussbaren Kindern» aber akzeptiert oder sogar noch gefördert werde.
Die Ablehnung insbesondere des muslimischen Unterrichts wurde in der Wochendebatte mit teilweise recht speziellen Vergleichen begründet. Sundak Klaastrik zum Beispiel schrieb: «Wenn ich in die Beiz gehe, nehme ich das Bier von zu Hause nicht dorthin mit.»
Will heissen: die Ausländer sollen sich hier – wie der gute Schweizer auch – zufrieden geben mit dem, was ihnen vorgesetzt wird. Und das ist in der Schule traditionsgemäss der christliche Religionsunterricht. Bei der Online-Abstimmung setzten sich die Befürworter dann aber trotz Biergleichnis durch: 63 Prozent sind demnach für muslimischen Religionsunterricht an den Basler Schulen.
Deutschland ist schon weiter
In den Basler Schulen gibt es bis jetzt bis in die sechste Klasse ökumenischen Religionsunterricht – ein Angebot der Reformierten und Katholischen Kirche, das freiwillig ist, allen offen steht und von rund drei Vierteln aller Kinder besucht wird. Die Israelitische Gemeinde erteilt ebenfalls Religionsunterricht – sie aber ausserhalb der Schulen.
Mit der Schulreform wird nun unabhängig von den Kirchen der Fachbereich «Ethik und Religionen» eingeführt. Damit stellt sich die Frage, ob der konfessionelle Unterricht daneben weiterhin nötig ist oder die Trennung von Staat und Kirche auch in der Schule umgesetzt werden sollte. Die Basler Schulbehörden entschieden sich für die Weiterführung des Unterrichts – und prüfen nun, ob die muslimischen Gemeinschaften das gleiche Recht erhalten sollen wie die Reformierte und die Katholische Kirche.
Die Voraussetzung dafür wären ein «klares Konzept» für den Unterricht und «klare Ansprechpersonen», wie Erziehungsdirektor Christoph Eymann (LDP) sagt. Konkret denkt er dabei an eine kantonale öffentlich-rechtliche Anerkennung – einen Status, den in Basel die Evangelisch-reformierte Kirche, die Römisch-Katholische Kirche, die Christkatholische Kirche und die Israelitische Gemeinde haben. Damit erfüllen sie folgende Bedingungen: gesellschaftliche Bedeutung, Respektierung des Religionsfriedens und der Rechtsordnung, transparente Finanzverwaltung und die Möglichkeit des jederzeitigen Austritts.
In Deutschland gibt es an der Universität Tübingen bereits ein erstes Zentrum für islamische Theologie, an dem Imame und muslimische Religionslehrer ausgebildet werden, drei weitere Zentren sind geplant. In der Schweiz gibt es zumindest schon erste Erfahrungen mit muslimischem Unterricht – im Kanton Luzern.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.03.12