Die Royal Bank of Scotland setzt bei der Auswahl von Bewerbern in einer Testphase auf Hirnscans. Die Methode ist allerdings umstritten.
Die Einstellung eines Bewerbers ist für beide Seiten ein Risiko. Der Arbeitgeber kann bestimmte Situationen im Bewerbungsgespräch oder Assessment-Center lediglich simulieren, er weiss nicht, wie der Bewerber im «Realbetrieb» auf Stress oder Druck reagiert.
In Zeiten moderner Informationstechnologien stehen Arbeitgebern jedoch mannigfaltige Möglichkeiten zur Verfügung, Kandidaten auf Herz und Nieren zu überprüfen. Algorithmen scannen Bewerberprofile und berechnen bestimmte Scores, Facebook-Profile werden durchleuchtet, Tweets und Google-Einträge analysiert, Netzwerkanalysen erstellt.
Die Royal Bank of Scotland (RBS) setzt bei der Einstellung von Bewerbern auf ein neuartiges Verfahren, das bislang lediglich in der Medizin zum Einsatz kam: Hirnscans. Wie die Nachrichtenagentur «Bloomberg» berichtet, hat das Bankhaus auf Karrieremessen und in Universitäten in simulierten Auswahlverfahren Sensoren an den Köpfen potenzieller Bewerber installiert, um ihre Gehirnaktivitäten und Aufmerksamkeitsspannen zu messen.
Den Studenten wurden während des Monitorings eine Reihe von Bildern und Videos vorgeführt. Je nachdem, wie sie reagierten, wurde ihnen eine Beschreibung ihrer Persönlichkeit präsentiert, gefolgt von einer Eignung, in welchem Bereich der Bank die Studenten am besten aufgehoben wären.
Die Einstellung von Zockern könnte durch den Hirnscan ausgeschlossen werden.
Noch handelt es sich um einen Testlauf, doch die Simulation könnte leicht in die Praxis überführt werden. Indiziert der Hirnscan, dass der Bewerber besonders risikofreudig ist? Leuchten bei ihm bei Zahlen und hohen Gewinnspannen die für die Ausschüttung des Glücks zuständigen Hirnareale auf? Tickt der Kandidat ähnlich wie der Skandal-Trader Jérôme Kerviel? Die Einstellung von Zockern könnte durch den Hirnscan ausgeschlossen werden.
Experten haben jedoch Zweifel an der Methode. Der Neurologe Robert T. Rubin, emeritierter Professor an der University of California (UCLA), der elf Jahre als Chefredakteur der renommierten Fachzeitschrift «Psychoneuroendocrinology» war, sagt auf Anfrage: «Das ist zum grössten Teil Unsinn.» Ein Test müsse messen, was er zu messen behauptet. Die Kriterien müssten hinreichend spezifiziert sein, um andere Ursachen auszuschliessen.
Nichts von dem sei im Versuchsdesign der RBS festgelegt worden, etwa, wie viele akzeptable Einstellungen versus nicht akzeptable Einstellungen von der Hirnstruktur vorausgesagt wurden. «Die Nutzung eines Hirn-Scans zur Bewertung von Bewerbern ist noch problematischer, weil die Ergebnisse nicht verifiziert werden können, wenn die Person nicht später im Job beobachtet wird.» Der Test würde den standardmässigen Interviewtechniken und der Auswertung traditioneller Daten wie Bildungsabschlüsse und Referenzen nichts hinzufügen, so Rubin. «Im besten Fall ist es eine fetzige Werbung.»
Was kommt als nächstes? Die Steuerung bestimmter Hirnareale?
Der Analyst Mark Coleman von der Marktforschungsgesellschaft Gartner ist weniger skeptisch. Auf Anfrage sagt er: «Unternehmen nutzen schon seit Längerem psychometrische Tests als Teil des Rekrutierungsverfahrens. Die Testergebnisse könnten ein paar wertvolle Erkenntnisse liefern, aber ich denke, die Royal Bank of Scotland nutzt die Technik mehr dazu, ein überzeugendes Bild als Technik-Unternehmen bei Universitätsabsolventen zu schaffen.»
In Zeiten, in denen künstliche Intelligenzen Anlagestrategien entwickeln und erste Banken mit Blockchain-Lösungen experimentieren, suchen Geldinstitute händeringend nach Programmierern. Fast alle grossen Banken organisieren mittlerweile Hackathons, um Fachkräfte an sich zu binden. In dem umkämpften Markt konkurrieren sie mit Tech-Giganten wie Google und Facebook, die sich die besten Absolventen gleich von der Uni abgreifen.
Die Frage ist nur, ob man Bewerber mit Tests beeindruckt, deren Validität höchst fraglich ist. Und beängstigend. Welcher Bewerber möchte schon, dass ihm sein Arbeitgeber in den Kopf schaut? Was kommt als nächstes? Die Steuerung bestimmter Hirnareale?
Ein Thermostat für den Stresslevel
In den USA gibt es unterdessen eine Reihe von Start-ups, die mit dem Geld von Wagniskapitalgesellschaften wie Andreessen Horowitz an Methoden forschen, um mit Elektroden und Neurostimulanzien bestimmte Regionen im Hirn zu aktivieren oder auszuschalten.
So hat das Start-up Thync ein Wearable entwickelt, das durch Aussenden elektrischer Impulse das Nervensystem beeinflusst. Das mit zwei Elektroden ausgestattete Gadget, das wie die Verkleidung eines Kühlschranks aussieht, wird an der Schläfe befestigt und soll, ähnlich einem Thermostat, den Stresslevel regulieren. Wenn der Arbeitgeber das Gehirn künftig nicht nur beim Einstellungstest durchleuchtet, sondern Teile davon auch steuert, ist der alte Science-Fiction-Traum vom willfährigen Arbeitnehmer nicht mehr weit.