In zehn Jahren hat sich die Zahl der Einlieferungen auf der Notfallstation im Unispital verdoppelt. Das Spital gerät mehr und mehr an seine Kapazitätsgrenzen. Nun sollen die Wartezeiten verkürzt werden – aber nicht durch mehr Personal.
Herr Steinemann stürzt vom Fahrrad. Er bricht sich das Schlüsselbein. Und lässt sich von seiner Frau ins Spital fahren. Dort nimmt man zunächst seine Personalien auf, anschliessend führt man ihn in den Wartesaal. Irgendwann wird Herr Steinemann in eine Koje verlegt. Er erzählt erst einer Pflegerin, später einem Unterassistenz- und schliesslich einem Assistenzarzt seine Geschichte. Herr Steinemann hat Schmerzen. Doch bevor auch nur jemand auf die Idee kommt, ihn zu röntgen, sind zwei Stunden vergangen.
Noch ist im Universitätsspital Basel jeder behandelt worden. Aber 480 Minuten, sagt Daniel Walker, Berater der Klinik, könne es schon dauern, bis ein Patient eine Diagnose bekommt – oft länger. In den meisten Notaufnahmen der Welt läuft das so: «Wer nicht gerade stirbt, wird erstmal abgestellt», erklärt Roland Bingisser, Chefarzt im Unispital.
Angehörige im Wartezimmer
In Basel soll sich das jetzt ändern. «Wir haben die Vision, dass im Wartezimmer nur noch Angehörige sitzen», sagt Bingisser. Immerhin hatte die Basler Notfallstation als erste der Schweiz einen eigenen Chefarzt. Der unabhängige Experte Daniel Walker hat gemeinsam mit der Klinikleitung ein Konzept ausgearbeitet, das die Abläufe in der Notaufnahme für alle effizienter machen soll. «Es braucht eine Professionalisierung und schnelle, qualifizierte ärztliche Erstkontakte», sagt er.
Das Unispital hat ihn als Impulsgeber eingekauft, weil sich der Druck von aussen und von innen erhöht hat: 2012 betreute die Notfallstation 45’000 Verletzte – und ist damit Spitze in der Deutschschweiz. Somit hat die Klinik im vergangenen Jahr nochmals fünf Prozent zugelegt. Die Anzahl der eingelieferten Schwerverletzten hat sich in den vergangenen vier Jahren sogar verdreifacht, sagt Chefarzt Bingisser. Zunehmend kämen auch solche, die sich selber als Notfall einstufen, aber genauso gut zum Hausarzt gehen könnten. Sie machen den grössten Anteil der Kranken aus.
Die Ärzte haben also immer mehr zu tun, gleichzeitig häufen sich die Beschwerden. «Die Menschen schreiben uns böse Briefe, weil sie so lange warten mussten», sagt ein Spitalsprecher. Das «Flusskonzept», das fortan Anwendung finden soll, nimmt sich amerikanische Praktiken zum Vorbild. Der Patient wird stärker als Kunde betrachtet – seine Zufriedenheit steht im Vordergrund, fasst Walker zusammen.
Am Anfang steht der Arzt
Schon am Eingang sollen Hereinkommende künftig von einem Stationsarzt begutachtet werden, der den «Behandlungspfad» festlegt, Röntgen anordnet und eine Erstversorgung sicherstellt. Damit Bilder und Daten vorliegen, wenn der Facharzt kommt. Bei einem Fall wie Herrn Steinemann könne die Zeit bis zur stationären Aufnahme so auf 105 Minuten verkürzt werden, glaubt Walker. Administratives wird im neuen Konzept nach hinten gestellt. «Behandeln müssen wir den Verletzten ja doch, egal welcher Krankenkasse oder Konfession er angehört», sagt Walker.
Damit das neue System funktioniert, wird das Spital eine zusätzliche Stelle im Notfallzentrum schaffen. Weitere personelle Aufstockungen seien nicht geplant, heisst es. Wie gewährleistet werden soll, dass immer Fachärzte zur Verfügung stehen? «Die Diensthabenden müssen enger an die Notfallambulanz gebunden werden», sagt Chefarzt Bingisser. Wer Stationsdienst hat, soll möglichst keine geplanten Operationen durchführen, sondern flexibel sein. Geringe Verletzungen wie etwa einen verstauchten Knöchel sollen ausserdem eines Tages auch Pfleger versorgen können.
Bohrmaschinen im Notfallzentrum
Die Neustrukturierung erfordert auch räumliche Veränderungen. Bis Ende des Jahres soll der Grossteil der Station soweit umgebaut sein, dass die Wege möglichst kurz sind. Spätestens Ende 2014 will das Spital dann eine Überwachungseinheit einweihen, in der Routineuntersuchungen wie Blutdruckmessungen stattfinden. Bis dahin werden die Abläufe Schritt für Schritt angepasst, verspricht die Klinik. Schon jetzt seien kürzere Wartezeiten bemerkbar. Mittelfristig will das Spital eine Begutachtung durch einen spezialisierten Arzt in 20 bis 30 Minuten garantieren.
Mehrere hunderttausend Franken investiert das Spital insgesamt in diese Neuausrichtung. Genauer beziffert wird die Summe nicht. Die Klinik betont, dass es sich nicht um ein Sparprogramm handelt: Die Massnahme soll als Image-Kampagne begriffen werden.