«Nicht jede Beleidigung ist gleich Mobbing»

Wie sollen Eltern und ihre Kinder mit dem Internet umgehen? Nadia Garcia von der Plattform elternet.ch erklärt, dass nicht alle Beleidigungen gleich Cybermobbing sind und warum ein Facebook-Account für Eltern sinnvoll sein kann.

Damit Eltern nicht alleine im Datenregen stehen, bietet die Plattform elternet.ch Informationen und Tipps rund um das Thema Medien. (Bild: Nils Fisch)

Wie sollen Eltern und ihre Kinder mit dem Internet umgehen? Nadia Garcia von der Plattform elternet.ch erklärt, dass nicht alle Beleidigungen gleich Cybermobbing sind und warum ein Facebook-Account für Eltern sinnvoll sein kann.

Eigentlich wollte Nadia Garcia nur verstehen, was die Social-Media-Plattform festzeit.ch ist, sah sich aber mit einer Reihe von Fragen konfrontiert. Kurzerhand gründete sie die Internetplattform elternet.ch, die zum Umgang mit Medien und dem Internet informiert. Damit wollte Garcia auch Unterstützung für die Anforderungen der Schule – wie etwa dem Recherchieren im Internet – bieten. 

Elternet.ch ist eine Plattform, die Eltern dabei helfen soll, Jugendliche und Kinder im Internetzeitalter zu unterstützen, zu schützen und zu begleiten. Seit November 2014 veranstaltet die Plattform in Zusammenarbeit mit der GGG Stadtbibliothek Informationsveranstaltungen für Eltern zum Thema Mediencoaching – etwa am Dienstag, 10. Februar in der Bibliothek Kirschgarten (, 19 Uhr, Sternengasse 19, Basel). Wir haben mit Nadia Garcia über die Gefahren, Möglichkeiten und Herausforderungen des Internets gesprochen.

Frau Garcia, ist das Internet mehr eine Chance oder eine Gefahr für Kinder?

Nadia Garcia: Das Internet ist insgesamt eine grosse, offene Tür in die Welt. Es sind nicht mehr Gefahren vorhanden als in der realen Welt, aber gewisse Inhalte sind heute viel einfacher zugänglich als noch in meiner Kindheit.

Müssen Eltern ihre Kinder beispielsweise vor pornografischen Inhalten schützen?

Auf jeden Fall. Die Eltern sind ja auch rechtlich dazu verpflichtet, da Pornografie für Kinder unter 16 Jahren grundsätzlich verboten ist. Der Schutz funktioniert aber – wie auch im Offline-Leben – nur beschränkt. Nehmen wir an, ich installiere einen Filter, erstelle meinem Kind einen eigenen Account und mache damit den Internetzugang sicher. Geht das Kind aber zu einer Freundin oder einem Freund, bei dem der Internetzugang nicht durch einen Filter eingeschränkt ist, dann sieht es vielleicht trotzdem Bilder oder auch Videos mit pornografischen Inhalten.

Das heisst: Sicherheitseinstellungen auf dem Computer bringen im Grunde nichts?

Das würde ich so nicht sagen. Internet-Filter ersetzen jedoch die aufklärerische Arbeit der Eltern nicht. Kinder benötigen aber Erklärungen. Gerade beim Thema Pornografie. Eltern sollten bei solchen Themen klar Stellung beziehen und für die Kinder da sein, falls Fragen auftauchen. Es ist wichtig, eine Gesprächskultur zu pflegen und die Kinder bei der Verarbeitung von Bildern und Eindrücken, die sie überfordern, nicht alleine zu lassen. Das betrifft sowohl die alten als auch die neuen Medien. Dass Kinder von Katastrophen und Gewalt erfahren, lässt sich nicht ausschliessen.

«Kinder sollen nicht nur, sie müssen vor Pornografie geschützt werden», sagt Martin Boess, Geschäftsleiter Schweizerische Kriminalprävention.

Heute wachsen Kinder mit dem Internet auf und beherrschen Geräte wie Smartphones oder Tablets manchmal besser als die Eltern. Wie sollen Eltern den Kindern dann Medienkompetenz vermitteln?

Ganz klar, da besteht ein grosser Unterschied. Kinder gehen sehr intuitiv mit den Geräten um. Was den Kindern aber fehlt, ist das Orientierungswissen. Auch Eltern, die weder privat noch beruflich das Internet intensiv nutzen, bringen Werte mit. Das wiegt die fehlenden Anwenderkenntnisse auf.

Was können Eltern machen, um ihre Kenntnisse in diesem Bereich zu erweitern?

Es hilft, wenn Eltern selbst im Internet aktiv sind, zum Beispiel Bilder auf Instagram hochladen oder einen Facebook-Account betreiben. Es kann auch eine gemeinsame Aktivität sein. Dass Eltern mit den Kindern zusammen online ein Fotoalbum erstellen. Dadurch verlieren Eltern, die selten im Internet sind, auch die Angst vor diesem Medium. Wenn man Inhalte selbst erstellt, dann geht das auch weg vom blossen Medienkonsum. Das Internet ist ein geniales Instrument, aber wir müssen lernen, dieses Instrument zu beherrschen. Es darf nicht uns beherrschen.

Eltern sollen also mehr Zeit im Internet verbringen?

Das kann man so nicht sagen. Wenn Eltern eine exzessive Mediennutzung vorleben, dann beeinflusst das auch die Mediennutzung der Kinder. Die Kleinen werden dann nicht verstehen, warum die medienfreie Zeit nicht für die Eltern gilt. Die Geräte dürfen für das Kind nicht zu Konkurrenten werden. Es ist ein Instrument, man nutzt es, wenn man es braucht und sonst eben nicht. Wenn man mit seinem Kind spielt, dann ist das eine medienfreie Zeit. Natürlich kann man mal einen Anruf entgegen nehmen, aber man sollte nicht auf jede WhatsApp-Nachricht reagieren.

Thomas Keller, Präsident der Elternplattform Arlesheim, erklärt, wie man seine Kinder im Internet schützen kann.

Wie müssen Eltern auf Cybermobbing reagieren?

Mit der Berichterstattung über Cybermobbing bin ich häufig nicht sehr glücklich. Wenn es wirklich Mobbing ist, dann ist es schauderhaft, aber nicht jede Beleidigung ist gleich Mobbing. Dadurch wird das «Zum-Opfer-machen» bloss verstärkt. Zudem sollten Eltern auch das Phänomen der Jugendsprache beachten. Es gibt Wörter – der Klassiker ist beispielsweise «bitch» – die Eltern schockieren, für die Jugendlichen aber alltäglich und normal sind.

Ist Cybermobbing denn blosse Übertreibung?

Auf keinen Fall. Wie gesagt: Cybermobbing ist sehr ernst zu nehmen. Aber die Gründe für Cybermobbing liegen nicht bei den «bösen» Medien, sondern bei der mangelnden sozialen Kompetenz.

Wer soll die nötige soziale Kompetenz vermitteln? Ist das Aufgabe der Schule?

Man kann den Schulen nicht immer einfach alles aufhalsen. Gerade für die Wertevermittlung sind die Eltern verantwortlich. Natürlich kann man auch in der Schule soziale Kompetenz fördern – im täglichen Umgang mit den Mitschülern und Lehrern.

Wo fängt Cybermobbing überhaupt an?

Nehmen wir an, ein Mitschüler mag einen Klassenkameraden nicht und schreibt einen beleidigenden Kommentar auf dessen Facebook-Seite. Wenn ein 13-Jähriger auf Facebook rund 300 Freunde hat, dann ist das bereits eine gewisse Öffentlichkeit. Und wenn dieser Kommentar jetzt auch noch witzig ist und von anderen Mitschülern «gelikt» wird, ohne nachzudenken, dann ist das für den Jugendlichen schlimm, der das Foto gepostet hat. So kann Cybermobbing anfangen.

Wann ist die Schwelle der Beleidigungen überschritten?

Problematisch wird es, wenn das immer weitere Kreise zieht, nicht mehr aufhört und boshaft wird. Dann ist das auch bei Kindern nicht mehr entschuldbar. Dann müssen Eltern eingreifen und das Problem auf die Erwachsenenebene bringen. Da wir keine spezifische Gesetzgebung gegen Cybermobbing haben, ist es nicht ganz einfach, juristisch dagegen vorzugehen. Wenn aber wirklich Mobbing vorliegt, dann müssen unbedingt Fachleute beigezogen werden. Ich meine damit nicht mich, sondern Juristen, Jugendarbeiter und die Polizei.

Cybermobbing: Erfahrungsbericht einer Betroffenen.

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Am Dienstag, den 10. Februar führt elternet.ch in Zusammenarbeit mit der GGG Stadtbibliothek eine Informationsveranstaltung zum Thema «Gewalt in den Medien» durch. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr und findet in der Lounge der Bibliothek Kirschgarten an der Sternengasse 19 statt. 

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