Nie mehr unsichtbar: Meral Kureyshi tritt aus der literarischen Anonymität

Unter den fünf Nominierten für den Schweizerischen Buchpreis ist sie die Überraschungskandidatin: Meral Kureyshi. Die Schweizerin mit kosovarisch-türkischen Wurzeln weiss, wie es sich anfühlt, übersehen zu werden. Doch damit ist jetzt Schluss.

(Bild: Nils Fisch)

Unter den fünf Nominierten für den Schweizerischen Buchpreis ist sie die Überraschungskandidatin: Meral Kureyshi. Die Schweizerin mit kosovarisch-türkischen Wurzeln weiss, wie es sich anfühlt, übersehen zu werden. Doch damit ist jetzt Schluss.

Unter Meral Kureyshis Arm klemmt ein einfacher Stoffbeutel, kein Koffer, keine Reisetasche. «Ich habe das nicht gern», sagt sie und meint: «Sachen, Dinge. Ich nehme nur das Nötigste mit.» Als wir uns mit Kureyshi in einem Kleinbasler Café treffen, ist sie gewissermassen auf Durchreise auf den temporären Literatur-Olymp. Sie fährt nach Frankfurt, das blaue Sofa wartet. 

Lesungen, Interviews und jetzt eben Buchmessen: Mit der Nominierung ihres Romans «Elefanten im Garten» für den Schweizer Buchpreis ist der ganze Trubel wie eine Sturzflut über sie hereingebrochen. Sie, die vor ihrem Debütroman bestenfalls Insidern ein Begriff war, wird am Sonntag der Preisverleihung mit gestandenen Schweizer Literaten das Gefühl der bangen Erwartung teilen. Mit Leuten also, von denen sie unterscheidet, dass sie «noch nichts geleistet hat, noch nichts kann, noch nichts ist», wie sie über sich sagt. 

Plötzlich erkennbar

Aber Kureyshi ist jetzt wer, auch wenn sie das nicht wahrhaben will. In Bern wird sie plötzlich auf der Strasse erkannt, Menschen drehen mit dem Fahrrad um und fahren zurück – nur um mit ihr ein paar Worte zu wechseln. «Es ist schön zu sehen, was diese Geschichte bei anderen auslöst. Oft werde ich auf Dinge angesprochen, die mir selbst beim Schreiben gar nicht aufgefallen sind», sagt Kureyshi.

Natürlich war Meral Kureyshi auch schon vor der Veröffentlichung ihres Buches jemand, sie war es seit ihrer Geburt im Kosovo und sie war es auch die vergangenen 22 Jahre, seit sie in der Schweiz lebt.

Doch sie kannte auch dieses Gefühl, nicht wahrgenommen, einfach übersehen zu werden. In der Schule im bernischen Neuenegg, wo die Familie Kureyshi als Asylbewerber lebte, war Meral erst mal die Neue, die man zum Geburtstag einzuladen vergass. Eine Szene, die in ihrem Roman immer wiederkehrt. Sie war da, aber die Blicke wanderten durch sie hindurch.

Selbsttäuschung per Autofiktion

Oder war das nicht sie? Kureyshis Roman «Elefanten im Garten» wird aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin geschildert, die ihre biografischen Koordinaten mit jenen Merals teilt. Geburt im Kosovo, Flucht mit der Familie in die Schweiz, das Asylheim in Wilderswil und der Schuleintritt in Neuenegg. Aber der Roman spielt mit den Mitteln der Autofiktion, die Umrisse der fiktiven und realen Person Kureyshi decken sich höchstens aus der Vogelperspektive. Im Detail aber verschwimmen sie.

Mit dieser Technik entzieht sich Kureyshi dem Zugriff des Lesers – und täuscht sich zuweilen selbst dabei. «Welche Episoden wirklich passiert sind und welche nicht, das weiss ich gar nicht mehr genau.» Das musste auch die Freundin von damals erfahren, die auch schon bei Kureyshi angerufen hat und sich beklagte: «Bin ich diese Sara mit dem Geburtstag? Aber wir hatten es damals doch so gut –?»

Kureyshi lacht, wenn sie an diesen Anruf zurückdenkt, natürlich war das nicht die Sara von damals. Es wäre auch nicht ihre Art, viele Jahre später einen literarischen Pranger zu errichten, an dem den ehemaligen Mitschülern ihr damaliges Misstrauen mit Bitterkeit vergolten wird. Kureyshi hat keine Anklage geschrieben, die einfachen Aufzeichnungen reichen vollkommen aus, um Betroffenheit auszulösen.

«Ich würde mich niemals am Flüchtlingsthema bedienen, um mich damit zu profilieren, niemals.»

Betroffenheit auch, weil die Veröffentlichung mitten in eine Zeit fällt, in der Fragen über Heimatverlust, Migration und Misstrauen eine ganz neue Aktualität erfahren. Schon einige Male musste sich Kureyshi darum die Frage gefallen lassen, ob ihr Roman auch wegen der hohen Konvergenz mit dem vielzitierten «Nerv der Zeit» auf die Shortlist gerutscht ist.

Sie arbeite seit zehn Jahren an dem tagebuchartig gestrickten Roman, sagt Kureyshi dazu. Seine Veröffentlichung stand lange vor dem Einsetzen der Flüchtlingsströme fest. Aber sie stellt klar: «Ich würde mich niemals an diesem Thema bedienen, um mich damit zu profilieren, niemals». Dass Romane wie der ihre von der Buchbranche mit dem aufmerksamkeitsheischenden Label Migrationsliteratur versehen werden, dafür kann sie nichts.

Dass es der Name Meral Kureyshi ist, der am Sonntagmorgen, 8. November, im Foyer des Theaters Basel aus dem Buchpreiscouvert gezogen wird, erscheint angesichts der Konkurrenzlage unwahrscheinlich. Der kurze Augenblick vor der Bekanntgabe des Preisträgers dürfte sie trotzdem mit Genugtuung erfüllen. Denn in diesem Augenblick ruhen alle Augen auch auf ihr, in diesem Augenblick ist sie eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der Schweiz. Und niemand wird sie übersehen.

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Meral Kureyshi liest im Rahmen der BuchBasel am Samstag, 7. November, um 12.30 Uhr, im Unionsaal, Volkshaus. Die Verleihung des Schweizerischen Buchpreises findet statt am Sonntag, 8. November, ab 11.00 Uhr im Foyer des Theaters Basel.

«Elefanten im Garten» erscheint im Limmat Verlag und ist für 26.– Franken im Handel erhältlich.

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