Die Migration hat ein Image-Problem: Wer mit ihr Politik macht, meint derzeit vor allem die Einwanderung, und die bedeutet in der öffentlichen Wahrnehmung volle Pendlerzüge, unbezahlbare Wohnungen, Ellbögeln auf dem Arbeitsmarkt und Kriminalität. Wanderbewegungen als Problem und Ausnahmezustand also?
Anna Schmid, Direktorin des Museums der Kulturen Basel, widerspricht. «Unsere Ausstellung soll im Gegenteil zeigen, dass Migration ein selbstverständliches Phänomen ist, eigentlich sogar der Normalfall.» Mit «Migration – bewegte Welten» rückt das Museum deshalb schlaglichtartig Hintergründe des Wanderverhaltens in den Mittelpunkt. Auf die Darstellung von Einzelschicksalen wird dabei bewusst verzichtet. «Wir wollten uns mit dem globalen Phänomen beschäftigen, keine Betroffenheit erzeugen.»
Natürlich lade die Ausstellung dennoch ein, den Umgang mit Migranten und die Bedeutung von Nationalstaaten zu überdenken, ergänzt die Direktorin. «Aber diese Fragen werfen wir nur auf, wir beantworten sie nicht. Das wäre vermessen.»
Waren und Menschen
Mit einem gekonnten, fast theatralischen Effekt zieht die Ausstellung ihre Besucher in das Thema hinein: Zwei leicht verkippte Stellwände, die an eine Serra-Plastik erinnern, verengen sich gegen das Fenster im Obergeschoss des Museumsbaus hin zu einem verlockenden Fluchtpunkt. Dabei hält sich die Lust am Wandern oft in Grenzen, besonders dann, wenn diese Grenzen so rigoros gezogen sind wie beim «Tortilla Wall».
Eine Videoinstallation zeigt Aufnahmen vom Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA, der willkürlich zwischen Sand und Kakteen verläuft. Doch trotz Kontrollen und Schikanen finden hier täglich eine Million Grenzübertritte statt, weil beide Seiten von den Zuwanderern profitieren: Die Mexikaner benötigen das Geld, die Amerikaner die billigen Arbeitskräfte.
Auf langgestreckten Podesten präsentieren sich dem Publikum rund 120 Objekte aus der eigenen Museumssammlung zu unterschiedlichen Kultur- und Zeiträumen, die alle vom Wandern erzählen. Wie schmal dabei die Grenze zwischen Ware und Mensch ist, zeigt das Beispiel der Sahara, wie Co-Kuratorin Kathrin Schwarz erläutert. Auf den ehemaligen Handelsrouten der Tuaregs werden heute Migranten aus dem Süden als Arbeitskräfte ins Erdöl-Förderland Libyen geschleust. Viele setzen von dort nach Europa über.
Aus Afghanistan, dessen Flüchtlinge in der Schweiz die zweitgrösste Asylbewerbergruppe ausmachen, ist ein Kriegsteppich zu sehen, der mit seinen kriegerischen Ornamenten von der politischen Instabilität des kulturellen Pufferstaates erzählt. In pakistanischen Flüchtlingslagern fertigen afghanische Frauen bunte Modell-Lastwagen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Doch nicht nur wirtschaftlicher Druck oder kriegerische Auseinandersetzungen sind Migrationsgründe, auch die Umwelt und insbesondere die Klimaerwärmung spielen eine grosse Rolle. Den Einwohnern pazifischer Inselstaaten, der nur zwei Meter über Meer liegen, bleibt bei steigendem Wasserpegel keine andere Option, als auszuwandern, erklärt Schwarz. Brisant: Die geschätzten 25 bis 60 Millionen Klima-Migranten weltweit haben laut Genfer Flüchtlingskonvention kein Anrecht auf Asyl.
Dass Auswanderer einem Land auch fehlen können, zeigt das Beispiel von China: Als Kasachstan 1991 seine Unabhängigkeit erlangte, forderte der Staat die kasachische Minderheit in China zur Rückkehr ins Heimatland auf. Weil das dem chinesischen Selbstverständnis eines Vielvölkerstaates widersprach, wurde die Abwanderung mit Infrastrukturmassnahmen wie Städtebau erfolgreich gestoppt.
Vom Seidenband zur Pharma
Lokalkolorit gewinnt die Ausstellung durch glänzende Seidenbänder, die den Einfluss der französischen Hugenotten auf Basel verdeutlichen. Wegen ihres protestantischen Glaubens vertrieben, brachten die Hugenotten technologisches Know-how und Geld ans Rheinknie. Sie etablierten zunächst die Seidenbandindustrie, aus der sukzessive die heutige Pharma hervorging: eine Industrie, die wiederum neue Wirtschaftsmigranten nachzieht, die sogenannten Expats.
Die Ausstellung macht aber auch klar, dass die Schweiz bei Weitem kein reines Einwanderungsland ist: Ein Beispiel sind die berühmten Bündner Zuckerbäcker, die im 18. Jahrhundert nach Venedig auswanderten, dort das Handwerk erlernten und sich schliesslich in ganz Europa niederliessen. Auch heute noch sind es 30’000 Schweizer pro Jahr, die das Land verlassen, wenngleich nicht aus wirtschaftlichen Gründen.
Rund ein Zehntel der Schweizer Staatsbürger lebt im Ausland, und längst nicht alle kommen zurück: Die lokalen Löhne im Ausland verunmöglichen vielen die Rückkehr auf die Hochpreisinsel. So bleiben Auswanderern oft nur Klischees ihrer alten Heimat – das Aromat, die Holzkuh und mit der «Schweizer Krankheit» die wohl typischste Erfindung Helvetiens überhaupt – das Heimweh.