Was können wir gegen das Sterben im Mittelmeer unternehmen? Das fragten sich Aktivisten des europaweiten Netzwerks «Watch The Med» und richteten im Oktober 2014 ein Alarmtelefon für Bootsflüchtlinge ein.
11. Oktober 2013: Über 400 Menschen befinden sich auf einem sinkenden Boot im Mittelmeer. Die Flüchtlinge rufen per Satellitentelefon die italienische Küstenwache an und bitten um dringende Hilfe. Doch diese leitet den Notruf an Maltas Behörde weiter, die wiederum zurückverweist. Als Stunden später Rettung kommt, sind bereits 200 Menschen gestorben.
«Left-to-die» werden solche Fälle genannt, in denen die Küstenwache Seenotrettung verweigerte oder verschleppte, weil sich niemand zuständig fühlte. Alleine im letzten Jahr sind nach Zählungen der UNO-Flüchtlingsorganisation (UNHCR) 3419 Bootsflüchtlinge gestorben.
Doch was, wenn es eine unabhängige Hotline gäbe, an die Betroffene ihre Notrufe richten könnten? Das dachte das europaweite Netzwerk «Watch The Med» und hat im Oktober 2014 ein Alarmtelefon für Flüchtlinge eingerichtet. Die Hotline ist seither rund um die Uhr von einem der 60 Schichtteams in Europa besetzt.
Erste Erfolge verzeichnet
Nach einem Notruf kontaktieren die Schichtmitglieder die zuständige Küstenwache und die Behörden vor Ort. Reagieren diese nicht, soll dies zukünftig sofort öffentlich gemacht werden, um Druck auf die Zuständigen auszuüben. Denn: «Erst muss der Menschenschutz kommen, dann der Grenzschutz», kritisieren die Aktivisten.
Schweizer Mitglieder von «Watch The Med» touren derzeit durch verschiedene Städte, um das Projekt bekannt zu machen. Vergangenen Donnerstag waren sie am Institut für Soziologie in Basel. «Im ersten Monat gingen 12 Notrufe bei uns ein», sagte dort Anna Hersberger, Mitglied der Regionalgruppe in Bern.
Noch sei es zu früh für eine umfassende Analyse. Aber Hersberger berichtete zum Beispiel von einem Fall, bei dem die maltesische Behörde via Mail und Telefon immer wieder von den Aktivisten kontaktiert wurde bis irgendwann die Antwort kam: Man solle endlich Ruhe geben, die Flüchtlinge seien längst gerettet. Für das Team ein Zeichen von Erfolg.
Vorbild waren Privatinitiativen
Das Ziel des Netzwerks ist einerseits ein humanitäres, andererseits ein politisches: Kurzfristig wollen die Aktivisten Leben retten, langfristig wollen sie Europa dazu bringen, die Herausforderung gemeinsam zu schultern und einen europaweiten Seenotrettungsdienst einzurichten. Solange der nicht existiert, handeln sie auf eigene Faust.
Die Idee ist nicht neu. Schon seit Jahren gibt es Privatpersonen, meist ehemalige Flüchtlinge, die Notrufe aus dem Mittelmeer entgegennehmen und danach die Küstenwache kontaktieren. Einer davon ist der bekannt gewordene Pfarrer Mussie Zerai, der für den diesjährigen Friedensnobelpreis nominiert ist. Auch «Watch The Med» arbeitet eng mit ihm zusammen.
In Zürich und Bern gibt es bereits eine Netzwerk-Regionalgruppe, weitere Städte sollen folgen. Ebenfalls werden noch mehr Schichtleiter gesucht.