Wie können Eltern ihren Kindern einen vernünftigen Umgang mit digitalen Medien beibringen? Eine Möglichkeit sind Regeln, die auch in Fragen der Ernährung helfen.
Spreche ich mit Jugendlichen über ihre Mediennutzung, benutze ich gern den Vergleich mit der Ernährung: Es gehe um eine Balance zwischen Bedürfnisbefriedigung, Genuss und Gesundheit. Jugendliche verstehen, wie schwierig das beim Essen und beim Gebrauch ihrer Handys ist. Kann ein Snapchat-Austausch schnell zu einem aufregenden Flirt werden, so verdeutlicht das Verschicken verzierter Schnappschüsse oft nur, wie verzweifelt einsam man sich fühlt. Wohlbefinden und die soziale Eingebundenheit sind eng mit der Nutzung digitaler Medien verbunden.
Eltern kleinerer Kinder blicken aus einer anderen Perspektive auf jugendliche Smombies (das sind Smartphone-Zombies): Sie fragen sich, wie sie ihre Kinder auf Lebensphasen vorbereiten können, in denen digitale Werkzeuge zu ihrem Alltag gehören werden. Hier greift der Vergleich mit Nahrungsmitteln gleich mehrfach: Was die Kinder erstens wollen, ist nicht das, was den Eltern von wohlmeinenden Ratgeberinnen und Ratgebern empfohlen wird. Zweitens haben alle – auch die Eltern – andere Vorlieben, Veranlagungen und Gewohnheiten.
Mediennutzung ist moralisch aufgeladen: Wer ein guter Mensch sein will, lebt digital asketisch.
Drittens dürfen Kinder zwar Süsses essen oder Games spielen, aber nur dosiert und zu den richtigen Tageszeiten. Viertens ist das Thema von moralischen Vorstellungen durchsetzt: Wie die Produktion von Nahrungsmitteln so ist auch die Herstellung digitaler Spielzeuge mit Fragen verbunden, die viele Menschen ohnmächtig resignieren lassen. Sie wollen weder die Tötung von Tieren noch die Bedingungen in afrikanischen Minen verantworten, essen aber Fleisch und nutzen Smartphones.
Nicht nur der Hintergrund der Mediennutzung ist moralisch belastet, auch vordergründig ist es verpönt, zu viel auf sein Handy zu sehen, Kinder mit dem iPad spielen zu lassen.
Games sind virtuelle Pommes Chips. Wer ein guter Mensch sein will, lebt digital asketisch. Fünftens ist die entscheidende pädagogische Einsicht, dass gemeinsames Kochen und bewusstes Geniessen mehr bewirken als moralische Maximen. Nutzen Eltern also gemeinsam mit ihren Kindern die vielfältigen digitalen Chancen kreativ und mit Freude, entsteht mittelfristig eine Haltung, die durch Mahnungen nie zu erreichen ist: Das Internet ist ein Raum, den ich selbstbestimmt gestalten darf.
Keine einfachen Rezepte
Blickt man aus der Ernährungsperspektive auf die Frage der Mediennutzung von Kindern, wird deutlich, dass es keine einfachen Rezepte gibt. Vielmehr muss jede Familie eigene Wege finden. Einige Hinweise können dabei helfen:
- Die Mediennutzung muss an die kognitive Entwicklung angepasst werden. Säuglinge sind mit bewegten Bildern schnell überfordert. Sie drücken zwar fasziniert auf farbige Knöpfe, verarbeiten können sie aber Games und andere Tablet-Aktivitäten nicht. Genau so wenig können Kinder vor der fünften Klasse abschätzen, wie sich Akteure in sozialen Netzwerken verhalten und Inhalte sich verbreiten. Jugendundmedien.ch empfiehlt die 3-6-9-12 Faustregel: «Kein Fernsehen unter 3 Jahren, keine eigene Spielkonsole vor 6, Internet nach 9 und Soziale Netzwerke nach 12.»
- Eltern können generell differenzierter beurteilen, wie ihre Kinder auf Aktivitäten am Bildschirm reagieren – weil es zwischen Angeboten wie Kindern grosse Unterschiede gibt. Es gibt Sendungen und Computerspiele, auf die Kinder unter drei positiv reagieren, zumal ihnen Tablets oft mehr Kontrolle ermöglichen als andere Endgeräte. Ein Sensorium für medienpädagogische Aspekte entwickeln Begleitpersonen aber nur, wenn sie Kinder bei ihren medialen Aktivitäten auch begleiten – wie beim Kochen lassen Sie sie erst zuschauen, dann mithelfen und schliesslich selbst bestimmen, was sie zubereiten wollen. So lernen Eltern Gewohnheiten und Bedürfnisse der Kinder kennen und können beurteilen, was sie umtreibt. Dienen Tablets oder Konsolen jedoch als Beschäftigungsprogramm für Kleinkinder, sind diese schnell psychologisch raffinierten Programmen ausgeliefert, die Mechanismen der Selbstkontrolle ausschalten.
Einschränkungen oder Verbote führen zu ständigem Streit. Diesen auszuhalten, lohnt sich unter bestimmten Voraussetzungen.
- Die richtige Balance ist schwierig. Kinder lernen beim Spielen, digital genauso wie analog. Finden sie heraus, wie sie die letzte Hürde im Level überspringen können, kombinieren sie meist motorische mit intellektuellen Fähigkeiten. Da sie dabei viele Emotionen investieren, profitieren sie stark davon. Programme sind zudem oft perfekte Spielpartner für Spielklassiker wie Jassen, Schach oder Mühle – weil sie sich ans Niveau der Kinder anpassen und ihnen so ständig eine Lerngelegenheit verschaffen. Und doch gibt es die Gefahr der permanenten Überbrückung von Langeweile, der Reizüberflutung. Ein klassisches Dilemma: Sollen Kinder eher selbst Erfahrungen sammeln, oder müssen sie dabei kontrolliert werden?
- Der Verweis auf die Bedeutung einer Begleitung vermag die Frage nach der richtigen Mediennutzung nicht zu beantworten. Auch bei älteren Kindern und Jugendlichen, welche phasenweise nichts anderes mehr tun als Bildschirme anzusehen und zu streicheln, sind Kontrolle oder Überwachung kontraproduktiv. Begleitet werden wollen sie nicht; Einschränkungen oder Verbote führen zu ständigem Streit. Diesen auszuhalten, lohnt sich unter bestimmten Voraussetzungen: Begründete und verbindliche Abmachungen wirken, besonders, wenn sich auch Erwachsene daran halten. Sinnvoll sind Zeitfenster ohne Mediennutzung, etwa rund ums Abendessen und vor dem Einschlafen. Jugendliche schlafen heute deutlich schlechter als noch vor 20 Jahren, wie verschiedene Studien zeigen. Wahrscheinlichster Grund: die Präsenz von digitalen Medien im Schlafzimmer. Hier in Absprache mit Jugendlichen vernünftige Lösungen zu finden, dürfte zielführend sein. Per Chat den Kontakt mit Freundinnen und Freunden zu pflegen oder zu einem Hörspiel wegzudämmern, kann beim Einschlafen helfen – das spannungsreiche Strategiespiel wühlt hingegen wohl zu sehr auf.
Das Ziel muss eine Selbstregulierung sein.
- Echtes Interesse an den Aktivitäten Jugendlicher und die Bereitschaft, ohne zu urteilen zuzuhören, können einen Dialog eröffnen, der alle Beteiligten voranbringt. Auch eine breite Palette von Angeboten wie Ausflüge oder Brettspiele am Familientisch unterbrechen einseitige Mediennutzungsphasen. Generell raten Fachleute zu vielfältigen Freizeitaktivitäten.
Das Ziel muss eine Selbstregulierung sein: In der Schule und im Beruf sind die Eltern nicht dabei. Sie sind aber wichtige Vorbilder und können einen Rahmen setzen, den Jugendliche dann auch verinnerlichen. Dazu müssen sie selbst auch medienkompetent sein: nicht in denselben Netzwerken wie Teenager, aber daran interessiert, was an Games fasziniert, wie junge Frauen bei Instagram Bilder kommentieren und wann mobile Kommunikation gewinnbringend ist.
Wie beim Essen merken aufgeschlossene Eltern schnell, dass sie von der Wahrnehmung und der Erfahrung ihrer Kinder viel lernen.