Occupy Lesesaal: Basels Universitäts-Bibliothek wird von Hackern besetzt

Basel erhält Besuch aus der Zukunft und wird für zwei Tage zum helvetischen Epizentrum der digitalen Wissensvermittlung. In der Universitätsbibliothek rauscht der zweite Schweizer Hackathon durch die Buchregale und fördert dabei erstaunliche Ergebnisse zutage. Aber überzeugen Sie sich selbst.

(Bild: Daniel Faulhaber)

Basel erhält Besuch aus der Zukunft und wird für zwei Tage zum helvetischen Epizentrum der digitalen Wissensvermittlung. In der Universitätsbibliothek rauscht der zweite Schweizer Hackathon durch die Buchregale und fördert dabei erstaunliche Ergebnisse zutage. Aber überzeugen Sie sich selbst.

Es ist Freitagmorgen und an diesem Tag WIRD ES LAUT. Steht zumindest so geschrieben an allen Eingängen zu jenem Bereich der Universitätsbibliothek, in dem sonst jeder Seufzer als Lärmbelästigung taxiert wird. Im Lesesaal tummeln sich circa 120 Menschen, von denen die meisten das Studium bereits hinter sich haben und von der Wissensrezeptions- auf die -Produktionsseite gewechselt haben.

Es sind Hacker, Programmierer, Netzentwickler, Designer, Analysten und «digitale Humanisten», aber auch Archivare oder Historikerinnen. Leute, die überwiegend im Internet oder analogen «Geadächtnisinstitutionen» zuhause sind und deren virtuelles Habitat sich für die kommenden zwei Tage mit der realen Welt überschneidet.

Auf die Datensets, fertig, los!

«Hackathon» nennt sich diese Zusammenkunft der digitalen Avantgarde im Herzen des Basler Wissensbunkers. Knapp 3 Millionen Einheiten führt die UB in ihrem Bestand: Bücher, Zeitschriften, Fotografien und historisches Kartenmaterial. Eine unfassbare Menge gespeicherten Wissens, doch die hier anwesenden Gäste werden nur wenige Seiten davon in die Finger bekommen. Ihr Fokus liegt auf den .csvs und .xmls‘s, den .jpegs und .htmls, Rohmaterial aus Datensets von über 20 Archiven, Bibliotheken oder Museen, die darauf warten, abgestaubt und frisch aufbereitet zu werden.

Das Ideenkarusell dreht sich

Beat Estermann, Gründer und Initiator der schweizerischen Openglam-Gruppe und damit Koordinator des «Swiss Open Cultural Data Hackathons», begrüsst seine Gäste, von denen viele zum ersten mal an einem solchen Anlass teilnehmen. Die Formalia sind rasch abgehandelt, das Ideenkarusell beginnt zu drehen. Beim Mittagessen wird mir Ricardo Joss, Architekturstudent aus Zürich, diesen Moment als besonders aufregend beschreiben: «Wenn so viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlicher Wissensstruktur aufeinandertreffen, ist es doch total spannend, was dabei herauskommt!»

Zum Beispiel das?




(Bild: Daniel Faulhaber)

Oder sowas?




(Bild: Daniel Faulhaber)

Entlang der Bücherregale entstehen Skizzen auf Flipcharts. Einige Gäste haben sich die zur Verfügung stehenden Datensets im Vorfeld genau angesehen und bringen konkrete Pläne mit, andere wollen wie Ricardo Joss erstmal den mentalen Motor anwerfen und brainstormen.

Diese Lust am strategischen Denken ist beinahe greifbar in diesen ersten Stunden des Hackathons, während Ideen gepitcht, Post-its beschrieben, Mindmaps erstellt und Timelines geklebt werden. Programmierer suchen Datenvisualisierer, Researcher spannen mit Wikipedianern zusammen: Nach einer Stunde haben sich die idealsten Konstellationen herausgeschält und das grosse Tüfteln kann beginnen.

Die Reisekoordinaten jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz sind eines von ungefähr zwölf ausgewählten Datensets, das während der folgenden Stunden einen neuen Anzug verpasst bekommt. Dabei entwickeln sich viele der Projekte erstaunlich zielgerichtet, zieht man die spontane Zusammensetzung der Arbeitsgruppen und die relative Unkenntnis des Arbeitsmaterials in Betracht.

Thomas Weibel hat sich seine Quelle allerdings schon vor dem Hackathon ausgesucht und sich für einen spielerischen Zugang entschieden:

Zur Zeit der Aufnahme stehen die Zeiger der Uhr auf Vier, der Hackathon ist da gerade mal sechs Stunden alt. Was Weibel bis dahin geschaffen hat, ist laut Marion Regenscheit, der Kommunikationsverantwortlichen des Anlasses, der ideale Output: Daten (hier: eine historische Zeichnung), die aus dem Archiv in die digitale Welt überführt und dort für ein breites Publikum zugänglich und erlebbar gemacht werden.

Öffentliche Präsentation der Resultate am Samstagabend

Wie weit es Marlies Züger und ihr Team bis zum Endstreich am Samstagabend gebracht haben werden, wird sich weisen. Getüftelt wird am Freitag noch bis Mitternacht, und nimmt man Weibels Arbeitstempo als Messlatte, kann bis dahin noch viel passieren.




Rae Knowler, David Stark, Marlies Züger und ihr Team besprechen das Vorgehen. Wie könnten die Daten am sinnvollsten aufbereitet werden? (Bild: Daniel Faulhaber)

Interessierte sind auf alle Fälle eingeladen, sich Weibels und Zügers sowie alle anderen Projekte auf der öffentlichen Abschlusspräsentation um 17:30 Uhr im Lesesaal der Universitätsbibliothek vorführen zu lassen.

Nächster Artikel