Es sind nur zehn Meter vom Sofa im Pausenraum bis zur Toilette, dann nur noch fünf Meter und einmal um die Ecke bis zur grossen Kaffeemaschine. Auf Knopfdruck erwacht sie mit beruhigendem Brummen aus dem Standby-Modus.
Heute kann ich hier alles in Ruhe so einstellen, wie ich es gerne habe. Meine eigenen Kaffeebohnen, Mahlstufe 4, 80 Milliliter pro Tasse. Es ist Sonntag, 8.00 Uhr. Das Büro gehört heute mir allein. Genau wie gestern. Herrlich. Ich habe so viel erledigen können. Am Abend habe ich mir einen 3-Gänger vom Kurier bestellt, dann ein bisschen Netflix geschaut.
Das Filmerlebnis auf dem Ultra-Dings-Screen im Sitzungszimmer 3 haut mich jedes Mal fast vom Sessel. Kino? Braucht kein Mensch. Meinen mickrigen Zwei-Meter-TV zu Hause habe ich längst verkauft.
Man stelle sich vor, wie viel Geld, Energie und Aufwand gespart werden könnten, wenn wir alle in unseren Büros leben würden.
Überhaupt: «Zu Hause», was für ein problematisches, veraltetes Konzept, habe ich später vor dem Einschlafen gedacht. Laut Staatssekretariat für Wirtschaft sind mindestens 34 Prozent der Erwerbstätigen gestresst. Etwa, weil sie E-Mails schon zu Hause empfangen. Ihr Fehler: Dass sie überhaupt noch nach Hause gehen.
Ich jedenfalls spiele schon lange mit dem Gedanken, den Mietvertrag für meine Wohnung zu kündigen. Die Post habe ich längst ins Geschäft umgeleitet. Wann ich das letzte Mal im eigenen Bett geschlafen habe, weiss ich nicht mehr. Hier schlafe ich gut und tief. Und weil ich sogar die Wochenenden hier verbringe, empfange ich E-Mails und dergleichen automatisch nur noch im Büro.
Man stelle sich mal vor, wie viel Geld, Energie und Aufwand gespart werden könnten, wenn wir alle in unseren Büros leben würden. Und wie viel produktiver und sicherer alles wäre. Lebenswerter in jeder Hinsicht.
Die meisten Menschen sterben in einem Bett. Das kann mir nicht passieren. Ich bin im Büro.
Wussten Sie, dass laut Suva 53’000 Berufsunfälle pro Jahr auf Schlafprobleme zurückzuführen sind? Nicht mit mir! Überhaupt: Die meisten Unfälle passieren zu Hause, die meisten tödlichen Unfälle in der Freizeit. Und die meisten Menschen sterben in einem Bett. All das kann mir nicht passieren. Ich bin im Büro.
Bald habe ich für den Montag alles doppelt bereit und überprüft, die Präsentation für Dienstagmorgen kommt ebenfalls gut voran. Wenn es so weitergeht, kann ich vor meinem Workout im hauseigenen Gym bereits die Talking points für das Mittwochs-Meeting durchgehen. Zum Lunch esse ich ein Mikrowellen-Curry und frische Früchte. Alles vom Kurier.
Man redet viel über die angebliche Auflösung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Angestellten und Selbstständigen. Darüber, was das mit den Menschen anstelle. Unternehmen würden so ihre Verantwortung auf die Einzelnen abschieben, wird behauptet – der Erfolgsdruck für Individuen steige so ins Unermessliche. Bis die Work-Life-Balance kollabiert. Die Folgen: Stress, Burn-outs, womöglich gar Amokläufe, Terrorismus und soziale Unruhen, was weiss man schon.
Die Leiden der Arbeitenden sind keineswegs in der Arbeit zu suchen, das Problem liegt vielmehr im «Home».
Wirtschaft und Politik versuchen diese Situation zu verbessern, indem sie die Sonntagsarbeit im Home Office erlauben wollen. Ausserdem soll man neu nicht nur 14, sondern 17 Stunden pro Tag arbeiten dürfen.
Das mag gut gemeint sein, geht aber viel zu wenig weit. Mit einem «Home Office» schafft man die Probleme nicht ab. Die Leiden der Arbeitenden sind keineswegs in der Arbeit zu suchen, das Problem liegt vielmehr im «Home», in den problematischen Vorstellungen von Privatleben, Freizeit, Freundschaften, etc.
Unsere Befreiung, und damit auch die Befreiung von allem Stress, besteht darin, sich von all diesen Konzepten, Praktiken und Störfaktoren zu verabschieden. Unverzichtbar ist nur die Arbeit. Anders gesagt: Wir müssen nur das «Life» endlich aus der fatalen Work-Life-Gleichung streichen und ins Office Home ziehen, dann stimmt unsere Balance wieder und unsere Probleme lösen sich in Luft auf. Gleichzeitig brummt die Wirtschaft. Ganz nebenbei taucht das Problem der Arbeitslosigkeit gar nicht erst in Erscheinung.
Eine Win-Win-Situation für uns alle, denke ich, selig lächelnd am Sonntagabend im blauen Schein von über vier Millionen Pixeln.
Leben im Büro: Wenn Sie diese Tipps befolgen, wollen Sie nie mehr heim
• Es findet sich nicht immer und nicht in jedem Büro ein freies Sofa zum Schlafen. Dann empfiehlt sich ein portables Feldbett. Ideal ist etwa das leichte «Outwell Posadas Camping Bed»: Seine Packmasse sind so klein, dass es in der Hülle unter dem Tisch verstaut locker als Yoga-Matte durchgeht.
• Weil Sie es gemütlich haben wollen, empfehlen sich Hausschuhe, die nicht als solche auffallen. In den klassischen Loafer-Finken Kite Kindling von Clarks oder, wenn es etwas teurer sein darf, die Morgan Leather Slippers von Derek Rose fallen Sie auch in unerwarteten Meetings höchstens positiv auf.
• Vor der flächendeckenden Einführung von Office Homes empfiehlt sich die Anschaffung eines eigenen Mini-Kühlschranks für Getränke und Nahrungsmittel. Gute Dienste, im Sommer auch als Fuss-Klimaanlage, leistet etwa das 17-Liter-Gerät Trisa Frescolino (nur 84 Franken inkl. Versandkosten).