Geht es um Steuern, um Arbeitsrecht oder um neue Projekte, sind auf dem EuroAirport Basel, dem einzigen binationalen Flughafen der Welt, immer wieder diplomatische Höchstleistungen nötig. Hilft bei Pariser Begehrlichkeiten der Staatsvertrag nicht weiter, braucht es den elsässisch-schweizerischen «Esprit binational».
Es ist zwölf Jahre her, aber einer, der damals dabei war, erzählt noch immer gern, wie es zuging, als die neuen Fingerdocks am Flughafen Basel-Mulhouse gebaut wurden. Auf der einen Seite betonierten die Schweizer an einer Rampe Richtung Frankreich, von Westen her die Franzosen Richtung Schweiz. Auf beiden Seiten stellte man fest, dass das Werk nicht gelingen würde, denn man näherte sich auf unterschiedlichen Höhen und das kann nicht der Sinn einer durchgehenden Rampe sein. Aber reden durfte man nicht miteinander. Die Schweizer meldeten ihre Beobachtungen den Chefs in der Schweiz, die Franzosen den Zuständigen in Paris. Die Bautrupps arbeiteten schneller als die Behörden, und so entstand ein Werk, das umgehend repariert werden musste.
Solche Malheurs können überall passieren, aber der EuroAirport (EAP) ist dafür besonders anfällig. Er kann sich zwar mit dem Attribut schmücken, der einzige binationale Flughafen der Welt zu sein, aber es hat seine Tücken, wenn zwei Länder ihre Rechte geltend machen. 1946 wurde der Flugplatz auf französischem Boden vor den Toren Basels eingeweiht, und drei Jahre später regelten die Behörden in einem Staatsvertrag, der auf über 100 Seiten angewachsen ist, die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der beiden Länder.
Entschlossene Intervention
Allerdings nicht alle oder jedenfalls nicht alle bis ins letzte Detail, so dass immer wieder Differenzen zwischen Frankreich und der Schweiz bereinigt werden müssen. So empfand es die Schweizer Seite als ziemlichen Affront, als die Zivilluftfahrtsbehörde in Paris am 28. Mai bekanntgab, per 1. Juli neue Abgaben auf Flüge ab Basel, und zwar auch auf Schweizer Seite, zu erheben. Das hätte die Billig-Airlines möglicherweise abgeschreckt, den Standort Basel wie bisher zu bedienen oder vielleicht sogar noch auszubauen. Dank entschlossener Intervention des Basler Regierungsrats und EAP-Verwaltungsrats Christoph Brutschin liess Frankreich im letzten Moment von diesem Unterfangen ab.
Beeindruckt hatte Brutschin die französischen Behörden mit der Ankündigung, dass die Schweizer Seite die Planungsarbeiten für den Bahnanschluss an den Flughafen sistieren werde. «Die Franzosen brauchen Geld und treiben es ein, wo sie können», sagt Brutschin. Der Bahnanschluss sei ihnen aber so wichtig, dass sie in diesem Fall lieber auf neue Einnahmen verzichtet hätten. Zudem hätten die Franzosen dank der unmissverständlichen Haltung von Bern und Basel eingesehen, dass die Schweiz nur dann hinter dem «Gesamtinvestment am Flughafen» stehe, wenn Frankreich den binationalen Status respektiere.
Brutschin betont, dass die Elsässer Behörden beim Abgabenstreit klar auf der Seite Basels gestanden hätten. Die Angst vor Stellenabbau am Flughafen ist im Elsass gross, denn viele Grenzgänger verdienen dort ihr Geld. Nach den Peugeot-Werken in Mülhausen, wo laufend Stellen abgebaut werden, ist der EuroAirport der zweitgrösste Arbeitgeber im Südelsass.
Auch in einer anderen, zentralen Frage, welche die Zukunft des Flughafens betrifft, unterstützten die Elsässer die Schweizer Behörden. Da der Flughafen auf französischem Hoheitsgebiet liegt, entschied ein Pariser Gericht 2009, dass für alle ansässigen Betriebe, auch für jene rund 75, die im Schweizer Sektor angesiedelt sind, gemäss Staatsvertrag französisches Arbeitsrecht gelte, auch wenn das 60 Jahre lang anders gehandhabt worden war. Französisches Arbeitsrecht – das bedeutet unter anderem die 35-Stunden-Woche, starker Kündigungsschutz oder die Pflicht der Arbeitgeber, gegen 13 Prozent der Bruttolöhne in die französische Krankenversicherung zu zahlen.
Die Bestürzung bei der Basler Regierung, bei der Handelskammer beider Basel, aber auch bei den Elsässer Behörden war gross. Die Handelskammer arbeitete ein Papier aus, das zeigte, welche Auswirkungen das französische Recht im Schweizer Sektor haben dürfte: 13 Unternehmen würden sich zurückziehen, über 700 Arbeitsplätze würden verloren gehen, Investitionen von über 100 Millionen würden zurückgehalten. Der Arbeitsplatzabbau hätte das wirtschaftlich angeschlagene Elsass stark getroffen, arbeiten im Durchschnitt doch etwa 70 Prozent Grenzgänger in den Betrieben.
Der Esprit binational
Doch dann flackerte das auf, was Martin Dätwyler von der Handelskammer beider Basel als den alten «Esprit binational» des Flughafens Basel-Mulhouse bezeichnet. Französische und Schweizer Behörden sassen zusammen und handelten einen «accord de méthode» aus, der am 22. März 2012 unterzeichnet wurde und der eigentlich nichts anderes vorsieht, als dass die bisherigen Usanzen – konkret: das Schweizer Arbeitsrecht – weiterhin gelten. Zwar werden die letzten Details des «accord» erst in den nächsten Wochen ausgehandelt sein, doch Dätwyler ist zuversichtlich, dass dies im gegenseitigen Einvernehmen gelingen wird. «Es ist eine Win-win-Situation: Für Frankreich – vor allem fürs Elsass – sind 3500 Arbeitsplätze gesichert, und für die Unternehmen gelten die bisherigen Bedingungen.»
Eine hundertprozentige Rechtssicherheit gibt so ein «accord» nicht, aber doch so viel Gewissheit, dass wenige Wochen nach der Unterzeichnung die Planung einer neuen, 40 Millionen Euro teuren Frachthalle in Angriff genommen wurde, deren Spatenstich vor wenigen Wochen erfolgte. Sie lässt sich kühlen, was der Pharmabranche ein wichtiges Anliegen ist.
Noch ein kleines Problem
Alles paletti also auf dem einzigen binationalen Flughafen der Welt? Nun, da ist noch ein nächstes kleines Problem: die Steuern. Gemäss Staatsvertrag müssten sie nach Frankreich entrichtet werden. Obwohl das im Schweizer Sektor seit 60 Jahren anders ist. In den nächsten Monaten wird das Seilziehen in dieser Frage weitergehen.
Auf der einen Seite die Grande Nation, die nach Einnahmen lechzt. Auf der andern die Schweiz, der Kanton Basel-Stadt und das französische Elsass: Sie streben auch hier einen «accord» an, der die 60-jährige Tradition und Praxis am binationalen EuroAirport weiterführt. Claus Wepler, Generalsekretär im baselstädtischen Wirtschaftsdepartement, hat schon jahrelange Erfahrung in Verhandlungen mit französischen Behörden. «Nach Neuwahlen dauert es jeweils ein Jahr, bis die neue Administration die Dossiers kennt und verhandlungsfähig ist. Das ist nach François Hollandes Wahl vor einem Jahr jetzt dann wieder der Fall.» Insofern ist Wepler zuversichtlich, dass nach dem «accord» beim Arbeitsrecht auch einer in der Steuerfrage gefunden wird.
Der Charme der Binationalität zeigt seine Tücken auch, wenn Neues entstehen soll. Im Vordergrund steht zurzeit der Bau eines Eisenbahnanschlusses mit Bahnhof, der die Fluggäste aus der Schweiz und aus dem Elsass bequemer zum Terminal bringen soll. Im Jahr 2020 soll das Werk fertig sein. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, auch wenn neben dem Bahnhof nur ein rund sieben Kilometer langer, neuer Schienenstrang nötig ist, der von der bestehenden Bahnlinie Basel–Mulhouse abzweigen soll.
Treibende Kraft ist der Generalpräfekt in Strassburg, dem daran gelegen ist, die Bedeutung seiner Stadt als Sitz des Europa-Parlaments sowie weiterer wichtiger europäischer Institutionen zu erhalten und zu festigen. Konkret geht es darum, Strassburg mit dem Schienenanschluss besser an den EAP anzubinden, so dass die Europa-Parlamentarier und ihre Administration schneller, zuverlässiger und komfortabler nach Brüssel oder in andere Hauptstädte reisen können.
Direktdemokratische Hürden
Rund 220 Millionen Euro will Frankreich dafür aufwenden, was angesichts der klammen Staatskasse eine grosse Herausforderung ist. Da der Schienenanschluss auch für die Kunden aus der Schweiz – sie machen 53 Prozent aller Passagiere aus – eine einfachere Reise an den Flughafen bedeutet als die heutige mit dem Bus, besteht Frankreich darauf, dass sich sein Nachbar an den Kosten beteiligt.
Bereits vor acht Jahren haben National- und Ständerat einen Kredit von 25 Millionen Franken beschlossen und so sähe das freundnachbarliche Planen ganz ungetrübt aus, wenn nicht auch die Kantone Baselland und Basel-Stadt ihr Scherflein beizutragen hätten. Und da könnten die direktdemokratischen Eigenheiten der Schweiz das gemeinsame Vorgehen beim binationalen Projekt ins Stocken bringen.
Je zehn Millionen Franken sollen die beiden Halbkantone zahlen. Dies haben die beiden Regierungen beschlossen – wobei sich Baselland noch auf keine konkrete Summe festgelegt hat. Aber weder der Landrat in Liestal noch der Grosse Rat in Basel haben Kredite bewilligt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, sind die Millionen noch nicht frei. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird das Volk über den Kredit und damit den Bahnanschluss abstimmen. Der Widerstand hat sich bereits formiert (siehe Wochendebatte). Den Befürwortern, die sich von einer Eisenbahnlinie zum EuroAirport eine bessere und zeitgemässe Anbindung des Flughafens ans Verkehrsnetz versprechen und damit die Attraktivität des EAP steigern möchten, steht eine entschlossene Gegnerschaft gegenüber.
Zum einen sind da jene, wie etwa die Baselbieter SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer, die der Meinung sind, im öffentlichen Verkehr gebe es dringendere Vorhaben. Zudem sei das Projekt Bahnanschluss noch sehr unausgegoren, wie öffentliche Veranstaltungen im Mai und Juni gezeigt hätten. Da hat sie nicht ganz unrecht, denn weder Linienführung, Rollmaterial noch genauer Standort des geplanten Bahnhofs sind definitiv bestimmt. Doch kann man das von Veranstaltungen auch nicht erwarten, die unter dem Titel «Mitwirkungsverfahren» – in Basel, Saint-Louis, Mülhausen und Lörrach – durchgeführt wurden.
Unverändert im Netz
Ein Mitwirkungsverfahren bezweckt ja eigentlich, die Bevölkerung an einem Projekt mitwirken zu lassen, das noch nicht in Stein gemeisselt ist. Wie stark sie sich einbringen konnte, bleibt aber vorerst unklar. Die eigens für dieses Verfahren eingerichtete Website des Flughafens steht seit Anfang Mai unverändert im Netz. Und die Nachfrage nach einem vorläufigen Fazit der Mitwirkung bei Projektkoordinator François Leblond blieb unbeantwortet.
Es dürften aber weniger die Fragen nach Linienführung oder Rollmaterial sein, die die Gegner mobilisieren. Sondern ganz einfach das, was anfällt, wenn ein Flugzeug abhebt oder zur Landung ansetzt: der Lärm. Der Lärm, der zunehmen wird, so befürchtet der «Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Basel-Mulhouse», wenn man noch einfacher zum Flughafen kommt.
Auch da zeigt sich, dass ein Flughafen im Grenzgebiet zweier Länder Tücken hat. Fluglärm hat keine völkerverbindenden Eigenschaften. Sowohl die Bevölkerung diesseits als auch jene jenseits der Grenze zieht es vor, dass sich der Lärm auf der anderen Seite ausbreitet, Flugzeuge über dem Nachbarland starten und landen. Fast 20 000 Fluglärmbeschwerden aus dem Elsass gingen 2007 beim EuroAirport ein. Als mit dem neuen ILS-Landesystem 2008 die Südanflüge über Binningen, Allschwil und Basel eingeführt wurden, ging die Zahl der Elsässer Beschwerden innert zwei Jahren um die Hälfte zurück. Dafür vervielfachten sich jene aus der Schweiz in der gleichen Zeit von 579 auf über 23 000 (siehe Grafik 4 und 5 unter www.tageswoche.ch/+bfzug).
Unterdessen scheint sich die Bevölkerung aber mehrheitlich mit dem Fluglärm abgefunden zu haben, die Zahl der Beschwerden geht kontinuierlich zurück (ausser in Buschwiller, wo sechs Personen im vergangenen Jahr 15 159 Beschwerden eingereicht haben). Die bevorstehende Debatte um den Bahnanschluss dürfte die Lärmsensibilität aber wieder erhöhen.
Um dem Problem endgültig Herr zu werden, schlägt die Präsidentin des Schutzverbandes – unter anderem in einem Kommentar in der TagesWoche – vor, den EuroAirport 15 bis 20 Kilometer nach Norden zu verlagern. Und zwar an die bestehende Bahnlinie, womit die Frage des Gleisanschlusses ebenfalls gelöst wäre. Eine unkonventionelle und bestechende Idee aus Basler Sicht – darum will sich Volkswirtschaftsdirektor Christoph Brutschin auch nicht kategorisch dagegenstellen.
20 Kilometer nach Norden
Aber: Die Verlegung des EuroAirport würde dem «Esprit binational» vor allem aus französischer Sicht einiges an Nachsicht abverlangen. Denn 15 bis 20 Kilometer nördlich vom jetzigen Standort wäre dann unmittelbar vor den Toren Mülhausens – und auch dort haben viele der über 100 000 Einwohner ein empfindliches Gehör.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.07.13