Wenn am Wochenende der Dalai Lama Basel besucht, bleiben die hiesigen Buddhisten an der Laufenstrasse gefasst. Und das nicht nur, weil es ihren Grundsätzen entspricht.
Im ersten Stock empfängt mich Marc Roth, um mir das buddhistische Zentrum an der Laufenstrasse zu zeigen, ganz unspektakulär in Jeans und Pulli. Es finden sich keine Räucherstäbchen, keine Glöckchen, Gongs oder was man sich unter buddhistisch-religiösem Zubehör so vorstellen mag. Auch in Hinsicht auf die charakteristischen gelben Roben wird man enttäuscht: In der Laufenstrasse gibt es keine Mönche und Nonnen.
Das hat seinen Grund. «Wir leben hier einen westlichen Buddhismus», erklärt Marc Roth. «Der Schwerpunkt im Zentrum Laufenstrasse liegt auf Meditation und Verhalten im Alltag. Deshalb sind wir auch kein Tempel, sondern ein Zentrum. Wir sind auch kein stiller Ort, bei uns kann es gelegentlich sehr lustig zugehen.»
Zur exiltibetischen Bevölkerung oder zu anderen buddhistischen Zentren pflegt man keinen Kontakt. Asiaten sind im Zentrum allenfalls dann zu finden, wenn ein bekannter Lehrer einen Vortrag hält.
Herzstück ist der Meditationsraum
Abgesehen von den zahlreichen Flugblättern, die im Flur abgelegt sind, sieht das Zentrum aus wie eine ganz normale Wohnung mit einer gemütliche Wohnküche. Der Meditationsraum, Herzstück jedes buddhistischen Zentrums, liegt im grössten Raum nebenan und wird aus Platzgründen demnächst ins Erdgeschoss wandern. Die restlichen Stockwerke werden von Mitgliedern der Gemeinde bewohnt.
Still ist es im Mediationsraum, der mit weichen Teppichen ausgelegt ist. An der Wand stapeln sich Meditationskissen, am Kopfende stehen verschiedene Buddha-Statuen auf einem Regal.
Marc Roth zählt ihre Namen und Bedeutungen auf: eine nennt sich «liebevolle Augen», die anderen «die Befreierin», «Reinigende Kraft», «Rote Weisheit». Auch eine klassische Buddha-Statue, die zum Zeichen der Erleuchtung die Erde berührt, gibt es. Die Statuen sollen bei der Meditation helfen, durch Identifikation mit dem erleuchteten Buddha.
Im Meditationsraum des buddhisischen Zentrums Laufenstrasse stehen verschiedene Buddastatuen. Diese hier heisst auf Deutsch «liebevolle Augen». (Bild: Daniela Gschweng)
Die Essenz: Glück im eigenen Geist
Im Buddhismus gibt es zwei grosse Schulen: die Theravada (Lehre der Alten) und Mahayana (grosses Fahrzeug), die sich in Lehre und Praxis unterscheiden. Die Karma-Kagyü-Linie ist eine Untergruppe des tibetischen Buddhismus, der Vajajana oder Diamantweg-Buddhismus genannt und seit ungefähr 900 Jahren praktiziert wird. Ob Vajajana zum grossen Fahrzeug zu rechnen ist oder eine eigene Schule darstellt, darüber scheiden sich übrigens die Geister.
Buddhismus klingt zuweilen kompliziert. Für westliche Ohren wimmelt es von unbekannten Prinzipien und Bezeichnungen. «Buddhismus ist eigentlich ganz einfach», sagt Marc Roth: «Die Essenz der buddhistischen Lehre ist Glück im eigenen Geist zu erleben. Wir sind alle Buddhas, wir haben es nur noch nicht bemerkt.»
Meditation – und das mehrmals täglich
Die Karma-Kagyü-Linie, die an der Basler Laufenstrasse logiert, basiert wie alle buddhistischen Schulen auf drei Säulen: Meditation, Wissen und Verhalten. Wobei eines das andere beeinflusst. Marc Roth fasst zusammen: «Mit dem richtigen Wissen kann durch die Meditation zur Erkenntnis gelangen, was sich auf mein Verhalten auswirkt.»
Das Herz des Zentrums Laufenstrasse ist der Meditationsraum. (Bild: Daniela Gschweng)
Marc Roth meditiert täglich zwei- bis dreimal zwischen einer halben und einer ganzen Stunde lang. Im Zentrum Laufenstrasse findet fünfmal wöchentlich eine geführte gemeinsame Meditation statt. Einmal die Woche gibt es dort einen Vortag, seit Neuestem zusätzlich auch einen in englischer Sprache.
Alles jederzeit als perfekt erleben
Allen Buddhisten gemeinsam ist die Befolgung des achtfachen Pfads als religiöse Verhaltensanleitung sowie die Anerkennung der vier edlen Wahrheiten oder Erkenntnisse Buddhas. Die erste: Das Leben ist leidvoll. Ist das nicht eine sehr pessimistische Formulierung für eine Religion, die nach Glück strebt?
Man müsse das spirituell sehen, erklärt Marc Roth geduldig. Glück, wie man es im nicht erleuchteten Zustand erlebe, sei im buddhistischen Sinn noch immer leidvoll: «Wenn ich alles jederzeit als perfekt erlebe, bin ich erleuchtet. Ich muss nur einfach alles wegbekommen, was mich an der Erleuchtung hindert.»
Marc Roth erklärt geduldig, wie Buddhismus funktioniert. (Bild: Daniela Gschweng)
Karma, das Gesetz von Ursache und Wirkung
Und dann ist da ja noch dieses Karma. Was hat es damit eigentlich auf sich? Der Buddha lehrt, dass es in der Welt Ursache und Wirkung gibt: Handlungen ziehen andere Handlungen nach sich. Die östlichen Religionen nennen diesen Zusammenhang Karma. Ziel ist es, sich von allen Handlungskreisläufen zu befreien und dadurch zum Nirvana zu gelangen, wörtlich: zur Auslöschung.
«Durch Einsicht in das Wesen der Dinge kann ich Ursache und Wirkung beeinflussen», kommentiert Roth. Und versucht zu übersetzen: «Eigentlich haben wir in unserer Kultur tolles Karma. Wir sind wohlhabend, haben viel Freizeit und könnten uns um unseren Geist kümmern. Wir sind nur einfach immer zu abgelenkt.»
Ein besonderes Verhältnis zum Dalai Lama hat die Karma-Kagyü-Linie nicht, da dieser zu einer anderen tibetischen Linie gehört. «Der Dalai Lama wird von uns zwar als Bhodisattva (erleuchteter Mensch) respektiert, er hat für uns aber keine besondere spirituelle Bedeutung.» Auf eines legt Marc Roth deshalb besonders Wert: «Esoteriker sind wir nicht.»
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Wer sich für das buddhistische Zentrum der Karma-Kagyü-Linie interessiert, hat am 14. Februar Gelegenheit, das Zentrum zu besuchen. An diesem Tag stellt der Verein an einem Tag der offenen Türe seine Religion vor.