Zum Schulanfang bekommen Eltern immer viel Post und Infomaterial nach Hause. Vor wenigen Tagen gab es auch Post vom Komitee der sogenannten Schutzinitiative. Darin werden die Eltern aufgefordert, ihr Kind vor der «Sexualisierung» in der Schule und im Kindergarten zu schützen.
«Geben Sie Ihrem Kind Ohrenstöpsel und Augenbinden mit in die Schule!» Dazu fordert ein Brief des Initiativkomitees «Ja zum Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule» Eltern von Kindergärtlern und Primarschülern in einem Brief auf. Man wolle den Eltern auf diese Weise wichtige Infos zukommen lassen, sagt Dominik Müggler, Mitglied des Initiativkomitees. «Der Sexualkundeunterricht muss stufengerecht sein», ergänzt Sebastian Frehner, der Co-Präsident des Initiativkomitees. Man habe Bedenken, dass Kinder im Kindergarten mit Aufklärungsstoff in Berührung kommen, der nicht altersgerecht sei. Darauf wolle man die Eltern sensibilisieren.
Die Botschaft sei gewissermassen «Schützt eure Kinder» – obwohl das ja eigentlich gar nicht möglich sei, weil die Dispensationsgesuche abgelehnt würden, sagt Frehner. Zwar seien wohl die meisten Lehrkräfte vernünftig und wüssten, was sie ihren Schülerinnen und Schülern zumuten könnten. Jedoch: «Wenn sich die Lehrer an den offiziellen Leitfaden halten, kommt es nicht gut.»
Pierre Felder, Leiter Volksschulen beim Erziehungsdepartement (ED), teilt die Bedenken des Initativkomitees nicht. Bei diesem Leitfaden handle es sich um eine amtlich genehmigte Ergänzung zum Lehrplan, sagt er. Darin sei festgehalte, wie Lehrer mit dem Thema Sexualität im Unterricht umgehen sollen. «Es ist aber nicht eine Kochananweisung, keine Anleitung, die es 1:1 umzusetzen gilt.»
Verantwortung der Eltern
Mit den Ohrenstöpseln und den Augenbinden sollen sich die Kinder jederzeit schützen können, denn: «Der Sexualunterricht findet fächerübergreifend statt, die Eltern wissen deshalb nie, wann der Aufklärungsunterricht stattfindet», sagt Frehner. Das bestätigt Felder: «Im Kindergarten gibt es keine Fächer und auch in der Primar haben wir einen interdisziplinären Unterricht.» Allerdings handle es sich bei der Sexualkunde auch nicht um ein Fach und um einen systematischen Aufklärungsunterricht: «Die Kinder haben zum Thema Körper und Sexualität Fragen, deren Zeitpunkt aber nicht vorhersehbar ist.» Auf diese Fragen sollen die Lehrpersonen altersgerecht eingehen.
Auslöser der aktuellen Aktion des Initiativkomitees: Der Regierungsrat hatte Anfang Juli 2012 die Dispensationsgesuche vom Sexualunterricht von Eltern abgelehnt, weil es sich «nur um einen leichten Grundrechtseingriff» handle, wenn Kinder diesen besuchten, wie es in einer Medienmitteilung heisst. Man wolle sich nicht in private Angelegenheiten einmischen, sagt Felder. «Die Hauptverantwortung bei der sexuellen Aufklärung von Kindern liegt nach wie vor bei den Eltern.» Nicht alle Eltern nähmen jedoch diese Verantwortung ausreichend war. «Jedes Kind sollte die Chance haben, sich vor Gewalttätigkeiten zu schützen. Das ist ein gesellschaftliches Interesse», sagt Felder.
Persönlicher Versand
Doch nicht nur ist der Inhalt des Briefes umstritten, sondern auch der Versand wirft Fragen auf: Die verschickten Briefe sind persönlich adressiert. Wie kamen die Absender an diese Adressen und an die Daten, welche Haushalte Kinder im entsprechenden Alter haben? Darauf angesprochen sagt Dominik Müggler: «Diese Adressen kann man sich beschaffen.» Hat man sie gekauft? «Ja, sie sind auf dem Markt frei erhältlich», sagt Müggler. Pierre Felder allerdings ist schleierhaft, wie die Initianten an die Adressen kommen konnten. Diese unterlägen dem Datenschutz, sagt er.