Oskars kleine Schwester

Abgesehen von einem leicht skandalösen Abstecher in die Filmkunst verlief das Leben von Leny Bider (1894–1919) in bürgerlichen Bahnen. Als ihr Bruder Oskar, der Schweizer Aviatik-Star, bei einem Akrobatikflug tödlich abstürzte, riss auch ihr Lebensfaden.

Leny Bider mit ihrem Bruder Oskar in Bern an einem Flugtag ... (Bild: Archiv Johannes Dettwiler)

Abgesehen von einem leicht skandalösen Abstecher in die Filmkunst verlief das Leben von Leny Bider (1894–1919) in bürgerlichen Bahnen. Als ihr Bruder Oskar, der Schweizer Aviatik-Star, bei einem Akrobatikflug tödlich abstürzte, riss auch ihr Lebensfaden.

Julie Helene «Leny» Bider wurde am 8. November 1894 als jüngstes Kind des wohlhabenden Langenbrucker Tuchhändlesrs  Jakob Bider und seiner Ehefrau Frieda Maria geboren. Ihre Eltern starben früh, die Mutter 1907, der Vater 1911.
Bis 1908 wuchs Leny in Langenbruck auf, nach dem Tod der Mutter zog Vater Bider mit ihr und seinem ältesten Sohn Georg 1908 nach Basel um.

Der Umzug erfolgte wahrscheinlich, wie der Bieder-Forscher Johannes Dettwiler vermutet, um Georg Bider das Studium als Arzt zu erleichtern. In Basel wohnten die Biders zunächst an der Austrasse 10, anschliessend an der Thiersteinerallee 19.

Überraschender Tod des Vaters

Lenys Bruder Oskar, der bald der bekannteste Schweizer Pilot seiner Zeit werden sollte, erwarb derweil an den landwirtschaftlichen Schulen von Lagenthal und Rüti (BE) ein Diplom und absolvierte anschliessend die Kavallerie-Rekrutenschule.

In Basel besuchte Leny Bider die Klasse 3 b der Töchterschule. Nach dem überraschenden Tod ihres Vaters  trat sie am 1. März 1911 freiwillig und regulär aus der Basler Schule aus. Anschliessend war sie einige Zeit am Mädchenpensionat Clos du Matin in Lausanne.

Von der Reiselust gepackt

Bald zog es sie noch weiter in die Ferne. Irgendwann vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dann im Winter 1914/1915 weilte sie für längere Zeit in England. Wie ihr Bruder Oskar, der 1911/1912 ein Jahr als Gaucho in Argentinien war, wollte sie offenbar etwas von der Welt sehen.

1915 zog sie nach Zürich, wo sie eine Kunstfachschule und möglicherweise eine Schauspielschule besuchte. 1917 wirkte sie im heute verschollenen Film «Frühlingsmanöver» mit. Wie Leny Bider zu ihrer ersten Filmrolle kam, bleibt unklar. Die beteiligten Schauspieler und einige der mitspielenden Mädchen waren am Zürcher Stadttheater tätig, Leny Bider nicht.

Rädelsführerin im Mädchenpensionat

Die kurze Filmkomödie gilt als verschollen. Laut Kinoinserat handelte es sich um «ein pikantes schweizerisches Militär-Lustspiel in 3. Akten», bei dem es auch um ein Mädchenpensionat ging. Die Schweizer Kinozeitschrift «Kinema» schrieb über den Film: «Die Damen Leny Bider und Tilly Feistel, kaum dem Backfischalter entwachsen, spielen die Rädelsführer im Mädchenpensionat mit einer Lebendigkeit und Ausgelassenheit, … und wirkten mit ihrer reizenden Art und dem schelmischen Übermut allerliebst. Die andern 12 Elevinnen des Pensionates machten ihre Sache ebenfalls ganz famos und halfen mit, dem Ganzen ein fertiges, einheitliches Bild zu geben.»

Gar nicht lustig fand den Film der Schweizer Generalstab. Besonders erregte die Gemüter der obersten Strategen, dass einige der Filmhelden – und schlimmer noch – einige der jungen Damen – in Schweizer Offiziersuniformen über die Leinwand flimmerten. Der Regisseur des Streifens, ein Ausländer, erhielt Strafmandate, Vorführungsbefehle und wurde schliesslich bis Kriegsende in Frutigen interniert.

Man darf annehmen, dass Oskar Bider, der seit 1914 Cheffluginstruktor der Schweizer Luftwaffe war, nicht allzu glücklich über diese Filmaffäre war.

Kurze Karriere als Filmsternchen

Im ihrem zweiten und zugleich letzten Film, dem Naturdrama „Der Bergführer“, ist Leny Bider unter ihrem Künstlernamen Leny Harold in der Haupt- und in zwei Nebenrollen zu sehen. Produziert wurde dieser Streifen von dem Atelier Schweizer Expressfilm, M. Lips, Basel. Die Aussenaufnahmen entstanden unter oft schwierigen topografischen Bedingungen auf einer Höhe zwischen 2000 und 3000 Metern.

In einem Bericht  über Basler Premiere war über den Auftritt der Langenbruckerin ist zu lesen: «Fräulein Leny Harold, eine aus den ,Frühlingsmanövern‘ (Iris-Film) her bekannte Filmschauspielerin, zeigte sich hier zum ersten Mal im Drama und wir dürfen stolz sein, nun auch eine Schweizerin zu besitzen, die prädestiniert ist, eine Grösse zu werden.»

Schmerz und Verzweiflung

Wahrscheinlich wurden Leny Bider trotz solch lobender Kritiken keine weiteren Rollen angeboten. Vielleicht fand man auch, die Schauspielerei sei nicht die ganz richtige Beschäftigung für ein Fräulein Bider. 1918 wandte sie sich jedenfalls einer anderen Tätigkeit zu: Sie eröffnete ein Moden-Atelier in Zürich an der Bahnhofstrasse 33.

Wohl im Jahr 1919 verlobte sie sich auch mit dem Kavallerieoffizier und Apothekenbesitzer Ernst Junker. Kurz vor der geplanten Hochzeit nahm sie sich aus Verzweiflung über den Unfalltod ihres Bruders Oskar am 7. Juli 1919 das Leben.

Oskar Bider hatte den Vorabend mit seiner Leny und Freunden im Zürcher Restaurant Carlton im Hotel  Bellevue verbracht. Anschliessend waren er und ein Teil der Männer nach Dübendorf gefahren. Nach einem Frühstück im Casino wollte er seinen Freunden und Bekannten ein paar Kunststücke mit einem  Nieuport-Jagdflugzeug vorführen. Dabei stürzte er ab und war sofort tot.

Auf die Nachricht vom Todesflug ihres Bruders hin nahm sich Leny Bider, die sehr an Oskar hing, das Leben. Die beiden fanden in einem gemeinsamen Grab auf dem Friedhof in Langenbruck ihre letzte Ruhestätte. Seit 2009 erinnert ein Platz in Langenbruck mit ihrem Namen an Leny Bider. Dank den ausgedehnten Forschungen von Johannes Dettwiler wissen wir relativ viel über das kurze Leben von Oskar Biders Schwester.

Dieser Artikel beruht weitgehend auf den Nummern 3/2009 und 1/2010 der Zeitschrift «Baselbieter Heimatblätter», in denen Johannes Dettwiler die Ergebnisse seiner intensiven Nachforschungen über Leny Bider präsentiert hat. Die «Baselbieter Heimatblätter» sind eng mit der Gesellschaft für regionale Kulturgeschichte Baselland (GRK BL) und der Gesellschaft Raurachischer Geschichtsfreunde verbunden. Die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift gibt Heimatforscher/innen und Historiker/innen die Möglichkeit, die Resultate ihrer Forschungen zu veröffentlichen. Damit erhält das interessierte Publikum Einblick in vielfältige Themen, für die in der Tagespresse manchmal der nötige Raum fehlt. Weitere Informationen zu den «Baselbieter Heimatblättern» und zur GRK BL finden sich hier.

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