Paris, die Stadt der fehlenden Nächstenliebe

Paris bei Nacht ist ein Bild des Elends: Obdachlose Flüchtlinge schlafen auf der Strasse, Hilfsorganisationen wird die Arbeit erschwert. Doch der Basler Verein Rastplatz bleibt hartnäckig.

In der Nacht werden die Verkehrsinseln in Paris zu Flüchtlingslagern.

Unter freiem Himmel reiht sich Nachtlager an Nachtlager auf dem Trottoir. Über mehrere Dutzend Meter. Die Glücklicheren stecken in einem Schlafsack, andere bloss unter löcherigen Tüchern. In weiteren Strassenzügen schützen sich Flüchtlinge mit Zelten vor Wind und Wetter.

Von nächtlicher Ruhe für die Obdachlosen kann in Paris aber keine Rede sein. «Die Polizei weckt sie systematisch mitten in der Nacht auf und versucht sie zu ­vertreiben. Das ist reine Schikane», sagt Ketty Bertossi. Sie und Asaël Heizmann engagieren sich beim Hilfsverein Rastplatz, der die Not in Paris in einem Kurzfilm dokumentierte. «Sobald der Morgen graut, darf von den Schlafstätten keine Spur übrig sein.» Das Problem existiert damit nur in der Nacht. So will es die Regierung in der Stadt der Liebe.

Es gibt zwar ein offizielles Empfangs- und Meldezentrum, wo die Flüchtlinge betreut werden. «Diese nehmen aber nur zehn Personen pro Tag auf. Es warten aber Hunderte, darum sind die Wartezeiten ­exorbitant», sagt Bertossi. Auch hier hat die Polizeirepression System: In der Nacht wecken sie die Flüchtlinge in der Schlange gar jede zweite Stunde, um sie zu ver­treiben. Hilfsorganisationen halten die Einrichtung ausserdem für eine Falle: Flüchtlinge werden ihres Asylrechts beraubt und von dort ­direkt ausgeschafft. So bleiben viele lieber auf der Strasse.

Bertossi und Heizmann möchten nicht nur zusehen. Sie reisen jeweils für ein
paar Tage, wenn es ihre Verpflichtungen erlauben, nach Paris und richten auf der Strasse eine Hilfsstation ein. Mit grossen dampfenden Töpfen und Thermoskannen stillen sie die dringendsten Bedürfnisse der Obdachlosen. Ähnliche Projekte hatte das achtköpfige Team bereits in Dunkerque und im Balkan organisiert.

«Das ist unheimlich schwierig und teuer», sagt Heizmann. Anders als im Camp von Dunkerque sind fixe Küchen auf den Pariser Strassen nicht erlaubt. «Wir müssen jeweils eine ganze Wohnung mit grosser Küche mieten und dort vorkochen», sagt Bertossi. Bei mobilen Küchen riskiert die Gruppe hohe Bussen, die Polizei könnte sogar das ganze Equipment konfiszieren – wegen der Gasflaschen, die seit den Anschlägen in Paris ein rotes Tuch sind. Dabei wären die Aktionen mit Kochstationen um ein Vielfaches ­einfacher und vor allem günstiger.

Die Wohltäter bei Rastplatz lassen sich davon nicht einschüchtern. Mit ihrer Kurzdoku möchten sie ihr Basler Publikum auf die Zustände in der drei Zugstunden entfernten Metropole aufmerksam machen. «Mehr als bei unseren Aktionen in Dunkerque und im Balkan sind wir in Paris besonders auf finanzielle Unterstützung angewiesen», so Bertossi.

Eine simple Rechnung

Zwischen Weihnachten und Neujahr soll sich wieder eine Delegation auf den Weg machen. Welche Hilfsgüter sie in ­ihrem Mietvan nach Paris bringen, hängt von den Spenden ab. «Die Rechnung ist sehr simpel», sagt Heizmann: «Mit mehr Geld lässt sich mehr machen.» Auf eine Crowdfunding-Aktion möchte Rastplatz verzichten, weil ein Teil des Geldes zur Plattform fliessen würde. Sie möchten möglichst jeden Rappen mitnehmen und die nächtliche Not in Paris lindern helfen.

Ketty Bertossi und Asaël Heizmann investieren ihre Ferien in die Hilfe auf den Pariser Strassen.

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