Peter Glassen: «Wir sind Einzelkämpfer geworden»

Der Medien- und Kommunikationsexperte Peter Glassen über das Glück und den Fluch, gleichzeitig in verschiedenen Jobs tätig zu sein.

(Bild: Livio Marc Stöckli)

Der Medien- und Kommunikationsexperte Peter Glassen über das Glück und den Fluch, gleichzeitig in verschiedenen Jobs tätig zu sein.

Noch bevor wir uns setzen, drückt mir Peter Glassen eine Postkarte in die Hand. Er lasse jedes Jahr zu Weihnachten welche drucken. «Die Freiheit ist kostbarer als jedes Geschenk, das dich verleiten mag, sie aufzugeben», steht darauf. Ein Leitsatz? «Ein wesentlicher».

Der 44-Jährige wuchs in der DDR auf und machte zuerst eine grafische Berufsausbildung, bevor er in Berlin Kommunikationswissenschaften und Kunstgeschichte studierte und einige Jahre später hier in Basel seine Doktorarbeit abgab. Glassen berät und begleitet bereits seit vielen Jahren Unternehmen, Organisationen und Agenturen beim Aufbau ihrer Markenidentität, hat in Lörrach und Basel ein Büro als Markenberater und ist gleichzeitig Dozent an der Hochschule der Künste Bern und an der Uni Basel. Soeben hat er die BSSM Werbeagentur beim aktuellen Kommunikationskonzept für das Universitätsspital Basel beraten. In Baden-Württemberg ist er für die Markenidentität der grössten Hochschule verantwortlich.

Herr Glassen, Sie führen ein Leben, wie das vermehrt bei vielen Menschen beobachtet werden kann: Sie haben mehrere Berufe parallel. Warum?

Peter Glassen: Ich mache das, was ich mache, aus absoluter Lust und nicht aus Notwendigkeit. Und bemühe mich, dabei ehrlich und frei zu sein.

Frei?

Ich tue für Geld nicht alles. Ich möchte nicht nur selber frei sein, sondern auch meinem Gegenüber, den Studierenden und meinen Kunden, ihre Freiheiten lassen. Sie sollen nach meinen Seminaren oder meiner Beratung ihren Weg selbstständig gehen.

Das klingt sehr reflektiert, 
ist die Generation Slash die erwachsen gewordene Generation Praktikum?

Eine gute Frage! Ganz spontan würde ich sagen: Das könnte durchaus sein. Wenn man sich nach dem Studium zunächst von Praktikum zu Praktikum hangeln muss und danach vielleicht noch ein schlecht bezahltes Volontariat macht, um überhaupt einen Zeitvertrag zu bekommen, macht man irgendwann aus der Not eine Tugend. Das Resultat wäre dann die Generation Slash. Wir leben in einer Zeit, in der eine Krise die nächste jagt. Weil in der Leistungsgesellschaft nur das Resultat zählt, fragt niemand in der Arbeitswelt: Wie geht es dir? Diese beiden Generationen haben gelernt, dass sie auf sich selber achtgeben müssen, weil wir alle zu Einzelkämpfern geworden sind.

Darf man wollen, was einem 
gut tut?

Natürlich darf man das. Allerdings haben wir es hier mit einem Luxusphänomen unserer Gesellschaft zu tun. Jugendliche in Griechenland und Portugal würden sich nicht als Generation Slash bezeichnen und sich auch nicht dauernd fragen, ob ihnen das wirklich gut tut oder nicht, weil sie einfach zwingend die Koffer packen und gehen müssen, um arbeiten zu können. Ich glaube allerdings, wenn man «geslasht» lebt, muss man besonders auf sich achtgeben. Die Gefahr ist gross, dass man ständig mit sich selber in einen Wettbewerb tritt, um sich und den andern zu beweisen, dass man das auch noch schafft.

Hat die Generation Slash Ziele?

Vor Kurzem habe ich an einem Wirtschaftsstudiengang in Deutschland gelehrt. Im Unterschied zu meinen Kunststudierenden oder den Geisteswissenschaftlern in Bern und Basel hatten sie ihre Zukunft schon sehr deutlich vor Augen. Sie wussten, wohin die Gleise führen, weil bei allen die Central Station das Ziel war. Und ganz ehrlich, das hat mich ein bisschen gelangweilt. An der Kunsthochschule habe ich lauter junge, kreative und aufgeschlossene Leute vor mir, die mit der Vielfalt, die das Leben ihnen während und nach dem Studium bietet, manchmal überfordert sind. Aber das gehört dazu. Denn ihr Ziel ist nicht die Central Station, sondern das Schienen-Wirrwar dahinter. Waren Sie mal in Zürich hinten an den Gleisen?

«Ich mache das, was ich mache, aus Lust und nicht aus Notwendigkeit.»

Ja, aber was wollen Sie mir damit sagen?

Das unendliche Gewirr von Schienen ist  für mich ein treffendes Bild für die «Generation Slash». Sie kommen alle aus wohlgehüteten Central Stations. Die Eltern haben vermutlich beide gearbeitet, um ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen und tolle Hobbys und ein schönes Zuhause zu bieten. Und dann, nach dem Studium, hat man plötzlich so viele Wahlmöglichkeiten. Man kann die Weichen ganz verschieden stellen und anders nutzen, als andere sie nutzen. Manchmal weiss man nicht, wohin diese Schienen führen. Man könnte in einem Sackbahnhof landen oder in einem langen dunklen Tunnel. Und selbst unterwegs gibt es wieder Weichen und Bahnhöfe als Knotenpunkte, wo der Zug gewechselt werden kann. Einigen gelingt es sogar, auf zwei Gleisen parallel zu sein. Doch das ist nicht einfach. Nicht jeder Mensch ist ein Trapezkünstler.

Was sagen Sie, wenn man Sie fragt, was Sie beruflich machen? Setzen Sie einen Schwerpunkt? Sind Sie Dozent, Grafiker, Markenberater – oder doch einfach ein vielseitiger Medienwissenschaftler?

Diese Frage musste ich mir vor ein paar Jahren tatsächlich selber stellen, als ich nach meiner Promotion neue Visitenkarten druckte. Ich bin Markenberater und Medienwissenschaftler. Aber was macht man für ein Zeichen zwischen diese beiden Berufsbezeichnungen? Das «&» ist für Firmenbezeichnungen reserviert und fiel deshalb weg. Dann wollte ich das Wort «und» schreiben, aber das war zu lang, und einen Slash hätte ich nie hingedruckt, weil es für mich einfach zu sehr trennt. Immerhin kommt der «/» aus dem Englischen und bedeutet harter, kurzer Schlag. Also habe ich mich für ein «+» entschieden, weil es die beiden Teile am ehesten verbindet.

Kein Entweder-oder?

Überhaupt nicht, denn insgesamt ist es eine Summe und keine Hierarchie. Ich versuche, mich wie eine Art Pendel in einem guten Rhythmus zwischen den einzelnen Bereichen zu bewegen und sehe das Glück in der Bewegung dieses Pendels und nicht auf der einen oder anderen Seite. Beide Seiten profitieren voneinander. Der Medienwissenschaftler darf sich mit Studierenden über theoretische Fragestellungen austauschen. Gleichzeitig bringe ich praktische Beispiele aus meinem Büro in die Lehre ein. Und die theoretischen Kenntnisse helfen mir natürlich sehr bei einer Beratung. Ich denke die beiden Seiten inspirieren sich.

Das klingt ziemlich einfach!

Es war nicht immer einfach, sondern ein Sammelprozess. Das, was ich heute beruflich mache, hat sich in vielen Jahren langsam entwickelt. Es ist quasi die addierte Summe aus der Pendelbewegung. Selbst wenn ich kein Ziel, keine Central Station vor Augen habe – ein roter Faden ist immer da. Und das ist gut so, denn auch wenn es nicht immer leicht ist, das unbekannte Ziel auszuhalten, lohnt es sich, weiterzugehen, als ob man wüsste, was das Ziel ist. Schliesslich können die Bahnhöfe auf dem Weg als Etappenziel er- und anerkannt werden.

«Mit Etiketten wie Generation X oder Y kann ich nicht viel anfangen.»

Ist es möglich, unendliche Slash-Ketten zu bilden?

Nein, man kann nicht alles mit Verantwortung tragen. Und das sehe ich bei der Generation Slash: Verantwortung ist ihr wichtig. Dort wo sie tätig ist, gibt sie sich für eine Sache fast selbst auf. Es ist eine Generation, die Dinge verändern und zugleich gestalten möchte. Gerade deshalb denke ich, dass es nicht mehr als drei berufliche Ebenen sein können.

Was denken Sie, warum viele Menschen heute mehrere Berufe haben? Ist es einfach eine Modeerscheinung?

Glauben Sie mir, es ist kein schickes Lebensgefühl. Verschiedene Jobs und Berufe kann man nicht einfach wie Mode-Accessoires haben und austauschen, um hip und cool zu sein. Das wäre doch völlig absurd. Dahinter könnte man eher eine ökonomische Triebfeder entdecken: Ein gesellschaftliches Phänomen wird sofort von Marktforschung und Marketing okkupiert und von den Medien zu einem Trend gehypt. Voilà, die Generation Slash. Aber ehrlich gesagt: Mit Etiketten wie Generation X oder Generation Y kann ich sowieso nicht viel anfangen.

Also keine Antwort auf die Dynamik der Zeit?

Ja und nein. Für mich ist es eine Kombination aus zwei Aspekten. ­Natürlich haben die Medien es einerseits möglich gemacht, dass wir völlig ortsunabhängig von überall aus alles machen können. Jeder hat heute die Möglichkeit, manchmal die Wahl und manchmal die Verpflichtung, ein digitaler Nomade zu sein. Und ja, ohne dieses digitale Nomadentum wären solche Arbeits- und Lebensformen, wie wir sie bei der Generation Slash beobachten können, schlicht und einfach nicht möglich. Aber zugleich gibt es Menschen, die aus purer Notwendigkeit verschiedenen Jobs nachgehen müssen, um sich und ihre Familien zu ernähren. Diese Leute darf man in der ganzen Diskussion nicht vergessen. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse gilt es nicht zu etikettieren, sondern zu verändern.


Erfahren Sie mehr über die Multitasker der Generation Flash in den Video-Porträts in unserem Online-Dossier.

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