Polizeieinsatz auf Messeplatz war «unverhältnismässig» – trotzdem keine Anklage

Das Appellationsgericht kritisiert die Basler Polizei in der sogenannten Pappteller-Affäre scharf. Die Polizei habe «unverhältnismässig» gehandelt, als sie eine Künstlergruppe während der Art Basel 2014 festnahm. Eine Anklage gegen den Einsatzleiter lehnt das Gericht trotzdem ab.

Pappteller drauf: Das Basler Appellationsgericht verurteilt zwar den Polizeieinsatz während der Art Basel 2014, findet aber, niemand müsse dafür die strafrechtliche Verantwortung übernehmen.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Das Appellationsgericht kritisiert die Basler Polizei in der sogenannten Pappteller-Affäre scharf. Die Polizei habe «unverhältnismässig» gehandelt, als sie eine Künstlergruppe während der Art Basel 2014 festnahm. Eine Anklage gegen den Einsatzleiter lehnt das Gericht trotzdem ab.

Die Staatsanwaltschaft muss keine Anklage gegen einen Einsatzleiter der Polizei erheben. Das hat das Appellationsgericht in der sogenannten Pappteller-Affäre entschieden. Das Gericht hat eine Beschwerde von 19 Einzelpersonen gegen die Verfahrenseinstellung abgewiesen. Damit ist die juristische Aufarbeitung des Polizeieinsatzes während der Art Basel 2014 an ihrem Ende angelangt – so die unterlegenen Künstler, Studenten und Passanten nicht vors Bundesgericht ziehen.

Am Anfang der Affäre stand eine geplante Aktion des Künstlerkollektivs «diezelle» während des Schlusstags der Art Basel im Juni 2014. Rund 25 Studenten und Dozenten wollten in einer Choreografie auf dem Messeplatz an einen gewalttätigen Polizeieinsatz im Vorjahr erinnern. An der Art Basel 2013 hatten Polizisten eine illegale Party auf dem Messeplatz gestürmt, Reizgas eingesetzt und Musik-Equipment zertrümmert.

Studenten mussten sich nackt ausziehen

Die Kunstaktion sollte an diese unrühmlichen Vorkommnisse erinnern, wurde aber von der Polizei verhindert. Als die Studenten den Messeplatz betraten, wurden sie von der Polizei festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis Waaghof verfrachtet. Dort wurden sie teilweise einer Leibesvisitation unterzogen, mussten sich nackt ausziehen und wurden während Stunden in einer Sammelzelle eingesperrt.

Gegen den damaligen Einsatzleiter G. ermittelte die Staatsanwaltschaft danach wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch, stellte das Verfahren aber im August 2015 ein. G. konnte während der Untersuchung glaubhaft machen, dass er aufgrund der Vorkommnisse im Vorjahr davon ausgehen konnte, die Situation könnte eskalieren.

«Unwürdig und verletzend»

Das Gericht rügt in seinem Urteil nun das Vorgehen der Polizei scharf: «Es bestand kein nachvollziehbarer Grund für eine derart weitgehende Anordnung wie die Überführung in den Polizeigewahrsam.» Die Personenkontrollen hätten problemlos an Ort und Stelle stattfinden können, doch G. habe die Bedrohungslage als zu bedrohlich eingeschätzt.

«Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführenden die mehrstündigen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und die teilweise am nackten Körper durchgeführten Kontrollen als unwürdig und verletzend empfanden. Das Gericht hat Verständnis für die Enttäuschung und Wut, die dieses Vorgehen auslösen konnte.»

Die Dauer des Freiheitsentzugs von bis zu dreieinhalb Stunden und die Leibesvisitationen seien «mit dem geringfügigen Mass an Ungehorsam, das zur Anhaltung geführt hat, nur schwer vereinbar». Der Einsatzleiter habe ein Prozedere in Gang gesetzt, dass vor allem für schwere Straftäter gedacht sei. Das Gericht zieht ein eindeutiges Fazit: Die Aktion der Polizei «muss daher im Rückblick als unverhältnismässig bezeichnet werden».

Kein beabsichtigter Amtsmissbrauch erkennbar

Trotzdem muss die Staatsanwaltschaft den Fall nicht neu aufrollen. Dem Einsatzleiter könne kein vorsätzliches Handeln vorgeworfen werden, urteilt das Gericht. Und ohne Vorsatz können Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung nicht verfolgt werden.

Das Argument ist nicht so leicht verständlich. Es läuft darauf hinaus, dass G. mit dem rigorosen Vorgehen seiner Polizisten keinen Amtsmissbrauch begehen wollte oder er jedenfalls nicht wissen konnte, dass er einen solchen begeht. Oder in den Worten des Gerichts ausgedrückt:

«Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass G. eine Fehleinschätzung der Gefährdungslage oder die unverhältnismässigen Weiterungen in der GESA [Gefangenensammelstelle, die Redaktion] bewusst in Kauf genommen hätte.»

Entlastend wird für G. auch angeführt, dass er letztlich nur Befehle von oben befolgt habe. Das Gerichtsurteil offenbart hier interessante Einblicke in die Entscheidungsprozesse vor dem Polizei-Einsatz: G. habe im Rahmen einer Einsatzdoktrin gehandelt, «die vom Polizeikommando und vom Departementsvorsteher [Sicherheitsdirektor Baschi Dürr, die Redaktion] mitverantwortet wurde und darauf abzielte, jegliche Manifestationen auf dem Messeplatz zu verhindern».

Bitteres Urteil für die Künstler

Polizeikommandant Lips, so das Gericht weiter, habe zudem den Einsatz vom Messeturm aus verfolgt und «den Wunsch einer zusätzlichen Kontrolle geäussert». Lips habe nichts unternommen, um den Einsatz zu mässigen. «Durch diese fortlaufende stillschweigende Billigung seitens seines Vorgesetzten konnte sich G. in seiner strengen Gangart bestärkt fühlen.»

Für die Künstler ist das Urteil des Gerichts doppelt bitter: Sie erhalten zwar weitgehend Recht, zur Verantwortung wird die Polizei gleichwohl nicht gezogen. Und sie müssen sowohl die Gerichtskosten als auch ihre eigenen Anwaltskosten übernehmen.

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