Psst, der Lautsprecher hört mit!

Amazon und Google wollen mit virtuellen Assistenten ins Smart Home eindringen. Doch die Risiken für die Privatsphäre sind erheblich.

Zyklop für den Haushalt: Dekorativ ist der Google-Lautsprecher, aber irgendwie auch unheimlich. 

Amazon und Google wollen mit virtuellen Assistenten ins Smart Home eindringen. Doch die Risiken für die Privatsphäre sind erheblich.

Das Ding sieht aus wie ein hübsch illuminierter Luftbefeuchter oder ein simpler Eierkocher. Doch Googles neues Gadget «Home» ist ein smarter Lautsprecher, der nicht nur per Sprachbefehl Musik abspielen, sondern auch Pizza bestellen oder die Heizung regulieren kann. Home, das im Mai auf der Google-Entwicklerkonferenz I/O vorgestellt wurde und ab November im Handel erhältlich ist, soll die digitale Schaltzentrale im Smart Home werden. 

Google hat bereits 2014 den Thermostathersteller Nest Labs für 3,2 Milliarden Dollar übernommen. Mit dem lauschenden Lautsprecher will der Konzern einen weiteren Schritt ins Zuhause seiner Nutzer machen und Amazons Konkurrenzprodukt Echo angreifen, das seit 2014 auf dem Markt ist und bereits in 1,5 Millionen US-Haushalten steht.

Das Wohnzimmer ist die nächste Frontlinie im Kampf der Tech-Giganten. Die IT-Marktforscher von Gartner schätzen, dass die Konsumenten bis 2020 weltweit 2,1 Milliarden Dollar für smarte Lautsprecher ausgeben werden. Ein gigantischer Wachstumsmarkt. Im Wettstreit um die Marktführerschaft bei virtuellen Assistenten attestieren Analysten Google gegenüber Amazon entscheidende Vorteile. Und das liegt vor allem an Googles künstlicher Intelligenz. 

Ein Gerät, das vernetzt denken kann

Während Amazons Sprachassistentin Alexa nur vorprogrammierte Anfragen erkennt, reagiert Google Assistant, eine Weiterentwicklung von Google Now, kontextbasiert. Als bei der Produktvorstellung von Google Home der Moderator den intelligenten Lautsprecher erst nach dem richtigen Namen der Popsängerin Adele fragte und danach die Frage stellte, wie viele Grammys «sie» denn gewonnen habe, wusste die Software durch Verknüpfung der Informationen, wer mit «sie» gemeint war und spuckte die korrekte Antwort aus.

Home hat auf alles eine Antwort – ausser auf Amazon Prime oder Apple Music, deren Indienstnahme es verweigert. Im Google-Kosmos existiert die Konkurrenz nicht. Um seinem Assistant, der im Vergleich zu Alexa noch etwas metallisch und mechanisch klingt, mehr Leben einzuhauchen, heuert Google professionelle Autoren an, die zuvor für die Pixar-Studios oder das Satireblatt «The Onion» schrieben.

Google Home ist im Grunde eine materialisierte Suchmaschine, die aus Spracheingaben Antworten generiert. Und je mehr der Lautsprecher dazulernt, desto genauere Ergebnisse kann er produzieren. In den geheimen Google-X-Laboren tüfteln die Ingenieure an maschinell lernenden Algorithmen, die Inputs – seien es Spracheingaben oder getippte Suchbegriffe – noch besser auswerten und mit anderen Informationen vernetzen.

Google strebt die perfekte Synchronisation aller Dienste an: von autonomen Fahrzeugen, die der Konzern bereits auf öffentlichen Strassen getestet hat, über sein neues Pixel-Phone bis zum Thermostat. Dafür greifen die Geräte auch auf die Kalenderfunktion zu.

Das Auto wählt die Musik aufgrund des Tischgesprächs

Google könnte aus unseren Gewohnheiten lernen, dass wir unsere Raumtemperatur im Herbst auf 22 Grad Celsius temperieren – und selbstständig die Heizung anwerfen, wenn wir in das autonome Fahrzeug einsteigen. Oder, wenn wir einsteigen, die neue Platte von Bruce Springsteen auflegen, weil der Lautsprecher gelernt hat, dass wir uns am Küchentisch über die Musik von «The Boss» unterhalten oder unter der Dusche seine Lieder trällern. Dazu muss das Gerät aber extrem viele Daten sammeln. Und das ist das Problem: Der Lautsprecher hört laufend mit.   

Jedes Wort landet auf einer Serverfarm von Google, wo es von Algorithmen ausgewertet wird. Mittels Stimmanalyse liessen sich detaillierte Psychogramme erstellen: ob wir an bestimmten Tagen besonders nervös oder gut gelaunt und damit kauffreudig sind. Google kann über seinen lauschenden Lautsprecher eine Menge über die Präferenzen seiner Nutzer erfahren. Big Brother kommt im Gewand des netten Helfers daher.

Datenschützer sind alarmiert. «Always-on-Geräte sind durchdringende Überwachungsgeräte», kritisiert der IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneier im Gespräch mit der TagesWoche. «Sie sammeln sehr intime Daten darüber, wohin Sie gehen, mit wem wir Zeit verbringen, worüber wir sprechen und nachdenken. Sie sind Teil einer Überwachungskultur, genährt von Geschäftsmodellen, die unsere Daten verkaufen, und Regierungen, die uns überwachen wollen.»

Samsung warnt vor Privatgesprächen beim Fernsehen

Die Datenschutzorganisation Electronic Privacy Information Center (Epic) fragte im Juli 2015 in einem offenen Brief an das US-Justizministerium, ob die Gesprächsdaten verschlüsselt und an Dritte (etwa Geheimdienste) weitergeleitet würden. Eine Antwort blieb bis heute aus. Es gibt eine ganze Reihe solcher «always on»-Geräte, die ständig mitlaufen, von Microsofts Kinect-Sensoren für die Spielekonsole Xbox 360, die Gesten und Stimme der Nutzer tracken, bis hin zur intelligenten Puppe «Hello Barbie», deren integriertes Mikrofon die Präferenzen von Kindern auswertet.

Samsung warnte Verbraucher sogar, vor seinen Smart-TVs besser nichts Privates zu sagen, weil bei aktivierter Spracherkennung nicht nur Seh- und Nutzungsgewohnheiten sowie Hardware- und Browserdaten, sondern auch Sprachdaten übermittelt werden könnten. Schöne neue Fernsehwelt: Das TV-Gerät hört mit.

«Die Verbraucher wollen wissen, ob Smart-Home-Geräte immer mithören, ob sie persönliche Daten aufzeichnen und wie die Daten verwendet werden», sagt die Datenschützerin Stacey Gray vom Future of Privacy Forum in Washington auf Anfrage. Gray fordert schärfere Richtlinien im Umgang mit personenbezogenen Daten. Die Unternehmen müssten dem Kunden transparent machen, welche Daten in welchem Zusammenhang verwendet würden, vor allem weil es sich bei der Stimme um biometrische und damit hochsensible Daten handle.

Alle verfügbaren Informationen zu speichern und auszuwerten, ist ein alter Menschheitstraum. Schon der Analogrechner-Pionier Vannevar Bush träumte davon, eine Maschine (Memex) zu konstruieren, die alle Erinnerungen speichert. In seinem berühmten Essay «As We May Think» (1945) schrieb er: «Ein Memex ist ein Gerät, in dem ein Individuum all seine Bücher, Akten und seine gesamte Kommunikation speichert und das so konstruiert ist, dass es mit ausserordentlicher Geschwindigkeit und Flexibilität benutzt werden kann. Es stellt eine vergrösserte persönliche Ergänzung zum Gedächtnis dar.»

Heute ist Google ein solches Memex, ein Wissensspeicher. Und das Wesen dieser Maschinen wie Google Home oder Amazon Echo ist, dass sie grundsätzlich alles aufzeichnen.

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