Seit Jahren kämpfen die Anwohnerinnen und Anwohner der Amerbachstrasse gegen die Ausbreitung des Rotlicht-Milieus. Und trotzdem gibt es immer mehr zwielichtige Lokale im Quartier. Jetzt hat die Anwohnergruppe eine Petition lanciert. Am 22. Juni wird sie dem Grossen Rat übergeben.
Verwöhnt waren die Anwohner der Amerbachstrasse nie. Nachdem das Gassenzimmer am Wiesenkreisel eröffnet worden war, zogen täglich Fixerprozessionen durch die Strasse. Seit die Nordtangente in Betrieb ging, kriecht morgens und abends der Schleichverkehr durchs Quartier.
Beides hat die Strasse überstanden; und obwohl das beileibe nicht die einzigen Unannehmlichkeiten sind, hat sich hier ein kunterbunter Mix aus Kreativen, Kleingewerblern und Leuten aus unterschiedlichsten Kulturen gehalten. Doch seit einiger Zeit droht neue Unbill: Das Rotlicht-Milieu hat sich in der Strasse breitgemacht. Und es scheint, es sei gekommen, um zu bleiben. Das ohnehin belastete Ökosystem in Basels am dichtesten besiedelten Quartier droht zu kippen.
Das Sexgewerbe ist an sich nichts Neues hier. Seit Jahr und Tag gibt es die «Kiki Bar» neben der ehemaligen Pizzeria «Firenze». Und an das Puff in der ehemaligen italienischen Videoteca in der Verlängerung der Klybeck-/Offenburgerstrasse, das jedes Jahr den Namen wechselt und sich aktuell «Bunga Bunga» nennt, hat man sich auch längst gewöhnt. Doch seit dazwischen vor ein paar Jahren der Saunaclub «FKK Basel» eröffnet wurde, ist nichts mehr wie früher.
Fitnesscenter der anderen Art
Bewilligt wurde der Club im Hinterhof der Amerbachstrasse 45 als Fitnesscenter. Ein Blick auf die Website macht klar, dass hier kein Bodybuilding im klassischen Sinn betrieben wird. Die sportliche Betätigung bleibt den 20 bis 30 mehrheitlich aus Osteuropa stammenden Damen überlassen, die sich stets im Club befinden. Die ausgeübten Disziplinen reichen von «anal aktiv und passiv» über Vibrator- und Dildo-Spiele bis hin zu Prostata- und Hodenmassage. Wer mag, kann sich gegen ein entsprechendes Entgelt mit ihnen in verschiedenen Sexstellungen üben.
Rein formell sind die anwesenden Damen Gäste wie alle anderen auch. Sie zahlen 100 Franken Eintritt – was sie anschliessend im Club machen, ist ihre Sache. Zur Eröffnung verteilten leicht beschürzte Damen Flyer. Der Club wirbt recht offensiv im grenznahen Ausland und gibt mit Aktionen wie «Popp den Pornostar» im vergangenen Januar in der Presse zu reden. Für Schlagzeilen sorgten auch ein Buttersäure-Anschlag und ein Hackerangriff auf den Club.
Expansion an allen Ecken
«Wie kann es sein, dass so etwas als Fitnesscenter bewilligt wird?», fragt Käti Ensner Witschi, die sich gemeinsam mit weiteren Anwohnern gegen das Rotlicht-Milieu wehrt. Da der Club als Fitnesscenter bewilligt wurde, hatten die Anwohner keine Einsprachemöglichkeit. Einsprechen konnten sie einzig gegen den Ausbau der Dachterrasse des Clubs. Dies machte etwa die Sozialinstitution Abilia, die in direkter Nachbarschaft in ein neues Wohnhaus für geistig Behinderte investiert hat. Das Baugesuch wurde – unter Auflagen – dennoch bewilligt.
Mittlerweile hat das Bau- und Verkehrsdepartement rechtskräftig verfügt, dass im «FKK Basel» eine «nicht bewilligte Nutzung vorliegt». Um den Anwohnern die entgangenen Rechtsmittel doch noch zu gewähren, muss der Betreiber ein nachträgliches Baugesuch einreichen. Betreiberin des Clubs ist die MS Marketing Solutions AG, die einst Felix Moppert («Alti Schmitti») gehörte. Heute figuriert im Handelsregister ein Holger Egbert Schneider als Verwaltungsratsmitglied mit Einzelunterschrift. Moppert hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen.
Ebenfalls auf dem Absprung ist laut eigenen Angaben sein einstiger Partner, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Vom neuen Bewilligungsverfahren wusste er noch nichts, diesem schaut er aber gelassen entgegen. «Wir sind und bleiben ein Fitnesscenter mit Restaurationsbetrieb, warum soll das anders beurteilt werden als vorher?» Er sieht seinen Club ohnehin nicht als schwarzes Schaf. «Wir sind sauber. Unsere Mädchen sind alle angemeldet und haben eine Arbeitsbewilligung», erklärt er. Anders gehe es in der «Kiki Bar» zu, und auch das «Bunga Bunga» sei ein ganz finsterer Schuppen.
Das Sexgewerbe wächst und wächst
Den Anwohnern geht es längst nicht mehr nur um das «FKK Basel». Die «Kiki Bar» hat ebenfalls expandiert und im Haus vis-à-vis mit der Nummer 63 neue Studios eingerichtet. «Seit die ‹Lady-Bar› an der Feldbergstrasse geschlossen wurde, schaffen in der ‹Kiki Bar› bis zu 30 Frauen an», berichtet die Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe Aliena. Im November letzten Jahres gab es bei der «Kiki Bar» eine Messerstecherei mit drei Verletzten, die Bar selbst war zuletzt im Januar Ziel einer Razzia. Dabei wurden zehn Prostituierte ohne Arbeitserlaubnis verhaftet.
«Die ‹Kiki-Bar› ist eine klassische Kontaktbar», sagt Aliena-Leiterin Viky Eberhard: «Die Prostituierten treffen ihre Freier an der Bar, lassen sich ein Piccolo spendieren und gehen dann mit ihnen ins Studio. Dieses müssen sie beim Betreiber für rund 300 Franken die Woche mieten. Mitunter teilen sich mehrere Frauen ein Zimmer.»
Die augenscheinliche Tatsache, dass die Liegenschaft gegenüber der Bar in ein Bordell umfunktioniert wurde, veranlasste die grünliberale Grossrätin Maria Bernasconi zu einer Interpellation. In der Antwort wurde ihr von der Regierung beschieden, dass der Betrieb legal sei, da die Frauen in den Zimmern auch wohnten.
An den Damen, die mit ihren Freiern über die Strasse zum Haus mit den Studios spazieren, stört sich Nachbarin Ruth Marx nicht so sehr wie am Lokal, das in die ehemalige Pizzeria «Firenze» eingezogen ist: das «Golden Day». Was genau darin passiert, weiss keiner so richtig, die Spekulationen der Anwohner reichen von Drogengeschäften bis zu Glücksspiel. Für die Polizei ist das «Golden Day» eine normale Quartierbeiz. Zumindest so lange, bis sich etwas anderes herausstellt.
Gleich nebenan entsteht derzeit die «Bubu Bar». Auch hier hagelte es Einsprachen. Auch diese Bar wurde bewilligt. Allerdings mit Öffnungszeiten bis maximal 22 Uhr. Seither ruht der Umbau.
«Zauber-Paragraf» 38a
«Wir nehmen die Sorgen der Anwohner ernst, aber unser Handlungsspielraum ist auf das gesetzlich Mögliche beschränkt», sagt Polizeisprecher Martin Schütz. Die Polizei sei auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen, wenn es etwa zu Lärmbelästigungen komme. Nur gestützt auf eine gute Dokumentation solcher Belästigungen könnten die Behörden Paragraf 38a des Übertretungsstrafgesetzes zur Anwendung bringen.
Kommt es nach einer Schliessungsandrohung zu weiteren unzumutbaren Belästigungen der Nachbarschaft, kann die Kantonspolizei die Schliessung des Betriebs verfügen. Letztmals angewendet wurde der Paragraf Mitte der 1990er-Jahre – damals wurden ein Bordell an der Sperrstrasse und eines an der Schlettstadterstrasse geschlossen.
Die Anwohner wiederum sehen es nicht als ihre Aufgabe, Hilfssheriff zu spielen. Getrieben von der Erkenntnis, dass die bestehenden gesetzlichen Grundlagen nicht genügen, um der Problematik Herr zu werden, haben sie mit Unterstützung des Stadtteilsekretariats Kleinbasel eine Petition zum «Schutz der Wohnquartiere vor Ausweitung des Sexgewerbes» lanciert. Die zentralen Forderungen:
- strengere Betriebsbedingungen inklusive Lärmvorschriften
- Öffnungszeiten bis maximal 23 Uhr
- Verkehrs- und Parkkonzept für die Gäste und – vor allem –
- eine Bedürfnisklausel zur Verhinderung einer Konzentration von Sexbetrieben in Wohnquartieren.
Wenig Anlass zur Hoffnung
Anlass, auf eine baldige Erfüllung ihrer Forderungen zu hoffen, haben die Anwohner der Amerbachstrasse kaum. «In der Amerbachstrasse manifestiert sich ein Problem, das wir in dieser Form sonst in Basel nicht haben», erklärt Polizeisprecher Schütz. Das horizontale Gewerbe in Basel ist geprägt von der Salonprostitution, die auch in Wohnquartieren relativ diskret abläuft. Auch ist aufgrund der nackten Zahlen keine Zunahme der Rotlicht-Betriebe feststellbar. 2011 wurden 225 Salons gezählt, 2008 waren es noch 240. Auch die Zahl der Animierbars ist mit aktuell 24 seit Jahren stabil.
Ähnlich tönt es aus der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung. «Natürlich beschäftigt diese Entwicklung auch uns», sagt Peter Gautschi, der als stellvertrender Leiter der Abteilung gemeinsam mit Anwohnern und involvierten Behörden an einem runden Tisch teilnimmt. Schliesslich sei ein Ausbau des Rotlicht-Milieus nicht das Ziel hinter der Aufwertung von Basel Nord gewesen. Bevor man über neue Gesetze nachdenke, gelte es, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen.
Strengeres Regime?
«Natürlich kann man auch über eine strengere Regulierung des Sexgewerbes reden», sagt Gautschi, gibt aber zu bedenken: «Entsprechende Massnahmen müssten von der Legislative beschlossen werden, was ein längerer Prozess mit zum Teil schwer absehbaren Resultaten wäre.» Zumal eine gesetzliche Regulierung heikle Punkte wie das Eigentumsrecht berühren würde.
Letztlich gehe es darum, die Interessen aller unter einen Hut zu bringen. Dazu zählten natürlich die Ansprüche der Anwohner. Allerdings gehöre die Prostitution zur Gesellschaft und erfülle offensichtlich ein bestehendes Bedürfnis. Nicht zuletzt gehe es um den Schutz der im Sexgewerbe arbeitenden Frauen.
Damit werden sich die kampferprobten Anwohner kaum zufriedengeben. Rund 350 Personen haben ihre Petition bis heute unterschrieben, am 22. Juni soll sie an den Grossen Rat übergeben werden.
Muss das Sexgewerbe in Basel strenger reglementiert werden?
In der Wochendebatte diskutieren Immobilienökonom Hans Rudolf Hecht und die Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe, Aliena.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.06.12