Lokale News, aber global interessant: Das Start-up «Quartz» produziert Wirtschaftsnews für die junge Elite weltweit. Nun startet das US-Start-up einen neuen Ableger in Afrika, um noch weltumspannender zu werden. Auch für traditionelle Häuser findet der Kampf um das Publikum verstärkt global statt. Zum Beispiel für die «New York Times». Das darf Verlegern hier durchaus Sorgen machen.
Das erste Opfer im Kampf um ein globales Publikum für Wirtschaftsnews ist, so stellt sich heraus, die Baseball-Metapher. «Vermeidet ‹curveballs›, ‹hardballs›, ‹inside baseballs› und ‹ballparks›», steht in den Leitlinien des News-Start-ups «Quartz». Das ist nicht einfach guter Geschmack, sondern hat einen klaren Nutzen: Wer in Berlin, London und Tokio kann mit Baseball-Metaphern schon wirklich etwas anfangen? Kaum welche, glaubt Kevin Delaney. Und die Leser in Berlin, London und Tokio sind ihm genau so wichtig wie die in New York und San Francisco.
Kevin Delaney ist Chefredaktor einer jungen Wirtschaftsnews-Seite für den globalen Leser, «Quartz». Vor knapp drei Jahren gestartet, wird «Quartz» heute von über zehn Millionen Menschen pro Monat gelesen. Fast die Hälfte der Leser sind ausserhalb der USA, obwohl die Operation aus New York geleitet wird. Den globalen Leser im Blick, wolle er lokal relevante News für ein globales Publikum interessant machen, sagte Delaney im Gespräch mit der TagesWoche. Und er hat Erfolg: «Quartz» wird heute eigenen Angaben nach in 160 Ländern gelesen, die meisten davon seien Top-Manager um die 40. Sie sind an News aus der Wirtschaft aus aller Welt interessiert, scheren sich aber nicht um Landesgrenzen.
Diese verlieren auch für traditionelle Häuser wie die «New York Times» aus den USA oder das «Handelsblatt» aus Deutschland an Wichtigkeit. Denn die Newsmarke der Zukunft ist global oder zumindest sehr international. Quartz ist bestens positioniert, hier zu den Vorreitern zu gehören. In diesem Bemühen pirscht Delaney nach Afrika vor. «Quartz Afrika» wird keine Ausgabe für Afrika, sondern eine Afrika-Ausgabe für den Globus. «Wir wollen Geschichten aus dem Afrika der Innovation erzählen», sagt Delaney. «Nicht aus dem Afrika von Ebola.» In Indien wurde bereits vor einem Jahr eine ähnliche Operation gestartet. Die Geschichten, die dort täglich entstehen, finden laut Delaney ihr Publikum nur zur Hälfte innerhalb Indiens. Der Rest der Leser verteilt sich rund um den Globus.
Die «New York Times» auf Deutsch?
Für «Quartz» — ein Unternehmen der Atlantic Media Gruppe — war der globale Bürger seit Tag eins das Ziel. Traditionelle Blätter müssen sich jedoch stark umbauen, um die lokale Kompetenz global vermarkten zu können. Bisher wurden vor allem Konzepte kopiert. So hat sich der britische «Guardian» in den vergangenen Jahren zu einer globalen Marke mit Ausgaben in den USA und Australien aufgeschwungen. Auch für neuere News-Konzepte gibt es erfolgreiche Export-Beispiele: Das von «Huffington Post» oder «Buzzfeed». Jüngst kamen die Polit-Experten von «Politico» aus Washington nach Brüssel. Doch neuere Versuche verstärken eher Bemühungen, bestehende Inhalte so zu produzieren, dass sie für ein globales Publikum interessant werden. Lokal relevant, aber global interessant, wie es im «Quartz»-Mantra heisst.
Diesen Weg schlug jüngst auch die «New York Times» ein. Das Blatt arbeitet seit letzten Herbst intensiv an einem Projekt, mit dem ein globales Publikum für die Inhalte der «Times» gefunden werden soll. Gut möglich, dass die «Times» sich damit schon nächstes Jahr in direkte Konkurrenz mit deutschen und Schweizer Verlegern stellt: «Was, wenn wir für die Präsidentschaftswahl 2016 einen Korrespondenten der ‹New York Times› für ein Publikum ausserhalb der USA hätten», fragte Lydia Polgreen in einem Gespräch mit Delaney an der New Yorker Columbia-Schule.
Polgreen fragte nicht rein hypothetisch. Sie leitet in der Traditionszeitung ein Projekt, mit dem die Inhalte der «New York Times» einem globalen Publikum schmackhaft gemacht werden sollen. Die Frage allein dürfte Verlegern rund um die Welt ein bisschen Angst einjagen. Der ohnehin schon übergrosse Einfluss der US-Zeitung dürfte nur wachsen. «An einem Punkt in der Geschichte der ‹New York Times› verwandelte sie sich von einer Metropolen-Zeitung für Menschen in New York City zu einer nationalen Zeitung», sagte Polgreen. «Das hat die ‹New York Times› damals gerettet. Heute hat die Zeitung das grösste Publikum seiner Geschichte.» Fast 60 Millionen Leser hat die «Times» pro Monat auf der Website. Also rund sechs Mal so viele wie «Spiegel Online».
Nun stellen Sie sich die Wahlberichterstattung der «Times» in Deutsch vor? Müssen Sie vielleicht gar nicht mehr lange: «Sprache ist kraftvolles Werkzeug», sagte Polgreen in dem Talk an der Columbia-Schule. «Sprache ist eine Art dem Publikum zu sagen: Diese Artikel sind für dich.» Auf Anfrage, ob die Wahlberichterstattung in Deutsch geplant sei, antwortete sie nicht. Doch die Vorstellung der «New York Times» in Deutsch dürfte so manchem US-Korrespondenten für deutsche und Schweizer Titel den kalten Schweiss den Rücken hinunterjagen.
Natürlich gibt es für deutsche und Schweizer Verleger auch Chancen, und das deutsche «Handelsblatt» will sie packen: Das Wirtschaftsblatt ist kürzlich mit einer «Global Edition» an den Start gegangen und versucht europäische Themen global interessant zu machen. Ein Team von rund 20 zweisprachigen Journalisten bereiten der Medienstelle zufolge Texte von Handelsblatt-Redakteuren aus der ganzen Welt für ein globales Publikum auf. «Der Markt für Medien ist internationaler geworden», ergänzte der Chefredakteur der «Global Edition» Kevin O’Brien in einer E-Mail.
Auch Schweizer Verleger testen vorsichtig das Potenzial
Zweifellos sind Geschichten aus Deutschland mit seiner ausserordentlichen Rolle in der Europäischen Union sowohl interessant wie auch relevant für ein Publikum ausserhalb der kleinen Sprachregion. «Wenn der Fokus auf Deutschland und Europa liegt, können wir sogar mehr bieten als unsere grösseren und bekannteren Kollegen aus Amerika», sagt O’Brien. «Wir liefern eine Nahaufnahme von Europas grösster Volkswirtschaft. Niemand ist dichter dran an den globalen, deutschen Konzernen und den erfolgreichen Familienunternehmen unseres Landes als unsere Journalisten und Journalistinnen.» Auch Schweizer Verleger testen vorsichtig die Temperatur im internationalen Wasser. So hat die «Neue Zürcher Zeitung» kürzlich ein Interaktiv-Stück über die Eroberung des Matterhorns, auch in Englisch angeboten. Der Zürcher «Tages-Anzeiger» tat dasselbe mit einer Dokumentation über die Drogenszene in Zürich der Neunziger.
Für «Quartz» ist die Internationalisierung jedoch nicht Prestigeprojekt, sondern Tagesgeschäft. Rund hundert Mitarbeiter hat das Unternehmen mittlerweile, und viele davon treffen sich wöchentlich an einer (fast) globalen Redaktionssitzung. Eine zweite solche Sitzung leitet Delaney für die Mitarbeiter aus Asien. Diese Berichterstattung aus der ganzen Welt für die ganze Welt habe die Seite auch in Deutschland und der Schweiz sehr populär gemacht, sagte Chefredakteur Delaney, rückte aber keine Zahlen raus.
Doch an Übersetzungen werde erstmal nicht gedacht. Denn für das Publikum, auf das Quartz abzielt, scheint eine Sonderbehandlung nicht nötig zu sein: Oft seien in New York, Delhi und London die gleichen Geschichten am populärsten. Zu diesen Geschichten, so hofft Delaney, gehören bald auch solche aus Afrika. Fünf Journalisten, verteilt im Süden des Kontinents, stemmen die Geschichten von dort und machen «Quartz» nochmals massiv internationaler. Dass dabei nur bei Sportjournalisten wirklich beliebte Metaphern weiter leiden, dürfte vielen mehr als recht sein.