Riehen tut sich schwer mit der Autonomie

Mit der Übernahme der Primarschulen erhoffte sich Riehen weniger Bürokratie und mehr Nähe zur Bevölkerung. Passiert ist das Gegenteil.

(Bild: bs.ch/Juri Weiss)

Mit der Übernahme der Primarschulen erhoffte sich Riehen weniger Bürokratie und mehr Nähe zur Bevölkerung. Passiert ist das Gegenteil.

Riehen hat 2009 nichts weniger angekündigt als die «besten Schulen der Nordwestschweiz anzubieten». Die Gemeinde erhielt damals gemeinsam mit Bettingen die Autonomie über die Schulleitungen vom Kanton Basel-Stadt. Die Verantwortlichen erhofften sich von der Schulübernahme die Stärkung der Gemeindeautonomie, weniger Bürokratie und eine Schule, die näher an den Bedürfnissen der Bevölkerung arbeitet.

Fünf Jahre später ist die Ernüchterung nun gross: «Eingetreten ist leider das Gegenteil», sagt Niggi Tamm (SP). Tamm war bis 2006 in der Riehener Exekutive und hat den Entscheid zur Schulübernahme gegen erhebliche Bedenken in seiner eigenen Partei durchgeboxt. Heute sagt er: «Das war der grösste Fehler meiner politischen Karriere.»

An den Schulen in Riehen und Bettingen sei wie im Kanton ein ­riesiger bürokratischer Wasserkopf entstanden, so Tamm. Die Leitung der Gemeindeschulen hänge dem Kanton an den Lippen, zeige sich überfordert und habe den Abgang vieler erfahrener und beliebter Lehrkräfte zugelassen oder sogar provoziert.

Die Gemeinde drückt sich

Tatsächlich ist die Verunsicherung bei den Lehrpersonen gross, und die bevorstehende Umsetzung des Schulkonkordats Harmos verschärft die Situation. Im Rahmen der Reform muss die Struktur in den Schulen des Kantons Basel-Stadt angepasst werden. Für alle Lehrer im Kanton sind dies einschneidende Änderungen, für viele hängt davon nicht weniger ab als ihr zukünftiger Job. Das Lehrper­sonal hatte deshalb klare Angebote erwartet, aber die Gemeinde drückt sich dem Vernehmen nach um deutliche ­Zusagen.

Gemeinderätin Maria Iselin (LDP) bestreitet beide Vorwürfe: «Der Bürokratie-Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen. Wer das behauptet, soll mit mir einen Schulbesuch machen.» Obschon mit der Primarschule eine grosse Aufgabe in die Hand der Gemeinde übergegangen ist, sei «nicht übermässig Personal» aufgebaut worden. Zur Bewältigung des Mehraufwands ­seien bei der Gemeinde Riehen ­lediglich wenige zusätzliche Stellen in der Personalabteilung und im Ressort Finanzen geschaffen worden.

Zudem versichert Iselin: «Ich weiss, dass die Lehrerschaft stark gefordert ist. Die Stimmung im Lehrkörper ist aber insgesamt positiv.» Sie entnimmt die Einschätzung aus einer durchgeführten Zwischen­evaluation zu Stärken und Schwächen. Die erhobenen Daten zur Zufriedenheit der Lehrpersonen ­publiziert die Gemeinde allerdings nicht.

Zeitweise wollte fast kein Lehrer zur Gemeinde wechseln.

Sicher nicht gut ist die Stimmung bei den Lehrern, die aktuell noch an der Orientierungsschule (OS) unterrichten (12- und 13-Jährige). Die ­Zuständigkeit der OS liegt nach wie vor beim Kanton Basel-Stadt. DieseSchulstufe soll nun im Zuge der Harmonisierung der Lehrpläne (Harmos) aufgehoben werden. Die Dauer der Primarschule in Riehen und Bettingen verlängert sich dadurch um ein Jahr. Und die beim Kanton angestellten Lehrerinnen und Lehrer an der OS müssen sich einen neuen Job suchen.

Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder bleiben sie beim Kanton Basel-Stadt und unterrichten neu an einer Sekundarschule in Basel. Oder sie lassen sich von der Gemeinde Riehen anstellen und unterrichten fortan an der Primarschule. Sie ­laufen also besonders Gefahr, im Rahmen der Harmos-Reform zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Statt aber Klarheit zu schaffen, liess die Gemeinde Riehen die OS-Lehrer warten, was gar nicht gut ankam beim Lehrkörper.

Iselin sagt dazu: «Die Verstimmungen bei den OS-Lehrern haben sich in der Zwischenzeit gelegt.» Man habe das Gespräch gesucht und den Lehrkräften den Dank der Gemeinde für ihren Einsatz persönlich überbracht. «Ausserdem konnten die offenen Stellen für die Primarschulklassen mehrheitlich mit OS-Lehrern aus Riehen besetzt werden.» Zu den gleichen Konditionen wie bisher, sagt Iseli. Allerdings verlief die Einigung nicht ohne Murren. Zeitweise sollen nur zehn Prozent der in Riehen beschäftigten OS-Lehrpersonen bereit gewesen sein, in die Gemeinde zu wechseln.

Lehrer in der Schwebe

Von einer Überforderung der zuständigen Leitung der Gemeindeschulen will Gemeinderätin Iselin dennoch nichts wissen. «Die Lehrkräfte in Riehen sind stark mit der Gemeinde verbunden», sagt sie. Gerade die Übernahme der Primarschulen vom Kanton habe dazu geführt, dass die Dienstwege kürzer geworden sind. Man könne nun schneller reagieren und auf die Bedürfnisse der Beteiligten eingehen.

Der ehemalige Gemeinderat Tamm sieht das indes anders. Das Potenzial der Schulautonomie werde in Riehen und Bettingen schlicht nicht genutzt, sagt Tamm: «Ich erwarte vom neuen Gemeinderat, dass er für die dringend nötige Kurskorrektur sorgt.»

In Basel wäre man froh darum. Der Kanton fürchtet, dass die Gemeinde gezielt die Lehrer in der Schwebe hält, um nach der Harmos-Reform lieber junge Lehrer für die Primarschule einzustellen. Erfahrene Lehrpersonen aus den OS in ­Riehen müssten dann nach Basel wechseln. Der Anspruch der OS-Lehrer auf einen Arbeitsplatz ist vom Kanton Basel-Stadt gesetzlich garantiert. Aus Riehen heisst es: Der Kanton als Arbeitgeber der betroffenen Lehrer habe es sich zu leicht gemacht.

Leidtragende der Riehener Autonomie und «der besten Schulen der Nordwestschweiz» bleiben letztlich die Lehrerinnen und Lehrer.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 14.02.14

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