Wer sich mit grossem Geschmeide schmückt, hat vielleicht doch etwas zu verbergen.
Es gibt diverse Theorien, die belegen möchten, dass Mode-Erscheinungen und die Wirtschaftslage eng miteinander verknüpft sind. Eine, Lippenstiftindex genannt, besagt, dass in schlechten Zeiten mehr von diesen über Ladentheken gehen. Eine andere macht steigende oder fallende Aktienkurse für ebensolche Rocksäume sowie Frisuren verantwortlich: Wenn es aufwärts geht, zeigen Frauen Bein, Kurzhaarköpfe hingegen weisen auf eine drohende Rezession hin.
Das mag stimmen oder nicht. Natürlich, wenn man weniger Geld hat oder Angst, es zu verlieren, dann gibt man für weniger weniger aus. Was aber nicht heissen muss, dass dieses Weniger dann ein dezenter Klassiker sein muss: Ein Jupe aus wenig Stoff kann für grosses Aufsehen sorgen, und Lippenstifte haben durchaus Signalwirkung.
Auch was Modeschmuck angeht, wird diese Saison mit der ganz grossen Kelle angerichtet: Anstelle einer kleinen Perlenschnur glitzern üppige Strasscolliers und Hochkaräter aus Plastik an Hälsen und Handgelenken. (Übrigens der ideale Zeitpunkt, um eventuell vorhandenes echtes Riesengeschmeide ungeniert auf der Strasse zu tragen. Das klaut jetzt keiner.)
Es ist also zu hoffen, dass nicht gilt: je grösser das Geglitzer, desto angespannter die Lage, denn sonst sieht es momentan übel aus.
Vielleicht hat die ganze Chose mit der Wirtschaftslage aber auch nur insofern zu tun, als dass man als brave Bürgerin so im übertragenen Sinne zeigen kann, dass man Steuerdaten auf CDs nicht fürchten muss, da man seinen Reichtum ja offen zur Schau trägt, also nichts zu verbergen hat. Der Adler, welcher die hier gezeigte Kette schmückt, kann deutschen Behörden sicher noch mehr Vertrauen einflössen.
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Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12