Schauen Sie «Black Mirror» – Sie werden sich fürchten!

Diese Woche startet auf Netflix die neue Staffel «Black Mirror». An alle, die jetzt nicht vor Vorfreude aus dem Stuhl kippen: Sie sollten vor Vorfreude aus dem Stuhl kippen.

Hübsche Aufmache, dunkle Abgründe: «Black Mirror» seziert schmerzhaft unser Medienverhalten.

(Bild: David Dettmann/Netflix)

Diese Woche startet auf Netflix die neue Staffel «Black Mirror». An alle, die jetzt nicht vor Vorfreude aus dem Stuhl kippen: Sie sollten vor Vorfreude aus dem Stuhl kippen. Denn «Black Mirror» ist Gegenwartsanalyse und Horrorszenario – auf höchstem Niveau.

Kalter Winterabend vor vier Jahren: Wir stehen vor einer Bar in der Berner Altstadt und unterhalten uns lautstark über Serien. Serien sind das dankbarste Gesprächsthema unserer Zeit, es überwindet Geschlechter- und Altersgräben, rettet langweilige Hochzeiten und unangenehme Geschäftsapéros. Über Serien reden geht immer, und an kalten Winterabenden vor Bars sowieso.

Wir stehen also da, schwärmen und prahlen, und der Alkoholpegel ist an jenem Punkt angelangt, wo jede Bierweisheit als poetische Offenbarung wahrgenommen wird. So ist man sofort Feuer und Flamme, als der Bekannte verschwörerisch murmelt «Es gibt da diese Serie» und zur Lobpreisung ausholt: Reiskorngrosse Harddisks, die man sich hinters Ohr pflanzt, um alle Erinnerungen speichern und jederzeit abrufen zu können! Tote, die man sich im Internet nachkonstruieren und nach Hause bestellen kann – als Cyborg-Version ihres digitalen Fussabdrucks! Der britische Premierminister, der via YouTube gezwungen wird, Sex mit einem Schwein zu haben! 

Das alles klang fantastisch, nach Blade Runner 3.0 oder Akira ohne den Manga-Kram, also nach genau jener Mischung Nerdcore und Mainstream, die wir gerne konsumierten. Was wir von Serien fordern, ist intelligente Unterhaltung – sprich: Möglichst wenig Aufwand unsererseits für möglichst viel Input serienseits.

Die Serie, die für uns erfunden wurde

Unsere «ruhigen Abende» sehen nämlich jeweils so aus: Du kommst am Abend nach Hause, kaputt und überreizt vom neverending Social Media-Gedöns, du willst dich eigentlich nur hinlegen und weiterhin entspannt alle 15 Minuten zwei drei Bildli auf Instagram liken. Das fühlt sich aber irgendwie so leer an, also beschliesst du, was Sinnvolles zu machen: Fernsehen.

Aber natürlich kein Asi-TV, sondern kultiviertes Netflix, die (nebst Arte-Dokus) in deinen sozialen Kreisen und Netzwerken einzig akzeptierte Form ernsthaften TV-Konsums (was anderes ist ironischer TV-Konsum, da ist alles erlaubt. Trending momentan: Sich alte Folgen von «Sabrina – Total verhext!» reinziehen und wohlig-entsetzt über Fernsehen in den 90ern lachen). Auf Netflix gibt es Schrott in allen Ausführungen, aber viele der Serien im Programm bieten genau jene Art von intellektueller Berieselung, die wir nach einem langen Tag dummer Berieselung für nötig erachten. 



Nie ohne mein Smartphone: Diese Welt versteht es «Black Mirror» hervorragend zu erzählen.

Nie ohne mein Smartphone: Diese Welt versteht es «Black Mirror» hervorragend zu erzählen.

Jetzt also «Black Mirror». Die «Serie, die für uns erfunden wurde!», wie mein Bekannter euphorisch rief und allen befahl, sich dieses Meisterwerk sofort halblegal aus dem Internet zu besorgen (Netflix war damals noch ein Video-on-demand-Fernseh-Fötus). Man ging also nach Hause und war sich nicht ganz sicher, ob die Aufregung gerechtfertigt war. Derselbe Bekannte hatte ähnlich enthusiastisch auf «Family Guy» geschworen, eine gewisse Skepsis war also angebracht.

Weg vom Foodporn, rein in die Magengrube

Völlig zu Unrecht: «Black Mirror» ist tatsächlich für uns erfunden worden. Wenn wir nämlich Abends auf dem Bett liegen und uns im Dämmerzustand durch übersaturierten Foodporn klicken, dann tun wir das mit einem Unbehagen in der Magengegend, das wir immer fühlen, aber nie ganz verbalisieren können.

Müssen wir auch nicht mehr, denn erledigen tut das jetzt «Black Mirror». Die britische Serie trifft die Widersprüche unseres ach, so fantastischen Gen-Y-Lebens, das wir tunlichst zu vermeiden versuchen: Allseits vernetzt aber nirgends zuhause, immer beschäftigt aber selten konzentriert, #happy aber nie zufrieden, vollgepumpt aber ausgelaugt.

In sieben bisher erschienenen, in sich abgeschlossenen Episoden zeigt «Black Mirror», wie das digitale Zeitalter seine Kinder frisst. Es erzählt von einer Frau, die ihren Mann verliert und per Software ein Imitat herstellen will – und dann merken muss, dass sein digitales Vermächtnis niemals an das rankommt, was dieser Mensch war. Oder von einer Welt, in der man Menschen «blockieren» kann, sodass sie nur noch schemenhaft wahrgenommen werden. Oder von einer Frau, die von Menschen verfolgt wird – die sie permanent mit ihrem Smartphone filmen und nur durch ihren Handy-Bildschirm hindurch beobachten. 

Why aren’t you more afraid?

Hier werden Schreckensszenarien erzählt, für die Sonnenseiten der Digitalisierung interessiert sich «Black Mirror» nicht. Es ist ein schwarzer Spiegel, der uns hier vorgesetzt werden soll, keine Panikmache, dafür sind die Geschichten dann doch zu abstrus, aber ein längst fälliger Schlag in die Magengrube. Oder wie es das Online-Magazin «Vulture» formulierte: «The show that is artfully asking you: Why aren’t you more afraid?».

Und das fragte man sich nach sieben Folgen unheimlicher Gegenwartsanalyse tatsächlich: Wieso haben wir nicht mehr Angst?

Wieso sind wir nur kurz verblüfft wenn auf dem Handy eine unbekannte Nummer auftaucht und das iPhone darunter anzeigt, wer sich hinter dieser Nummer befinden könnte? Wieso können wir keinen ganzen Film mehr schauen, ohne nicht mindestens einmal irgendwas auf dem Handy nachgeschaut zu haben? Wieso fällt es immer mehr Menschen schwer, anderen in die Augen zu schauen? Woher kommt das Herzrasen? Die Unsicherheit? Der Grössenwahn?

Fragen, die es sich immer zu stellen lohnt, die man aber gerne locker wegwischt, darin hat man ja mittlerweile Übung. Und genau hier liegt die Dringlichkeit von «Black Mirror»: Es reicht nicht, diese Fragen zu stellen. Man muss sie erzählen, ihnen Leben einhauchen, sie so präsentieren, dass auch der faulste Millennial vor lauter Gebanntheit vergisst, seine Facebook-Chronik zu checken. Das beherrscht «Black Mirror» wie keine andere Serie. Und sorgte im Freundeskreis seit diesem Winterabend vier Jahre lang für Gesprächsstoff.

 

__

«Black Mirror» Staffel 3, ab 21. Oktober auf Netflix. 

Die alten Folgen sind alle in voller Länge auf YouTube einsehbar.

Nächster Artikel