Weltfrieden wäre auch schön, aber der Wunsch meiner Familie fällt kleiner aus: Möge das nächste Jahr nicht ganz so lausig werden wie 2015.
Weihnachtszeit, Gabenzeit. Was wünscht sich unser achtjähriger Sohn?
«Am liebsten möchte ich keine Läuse mehr bekommen.» Wir stimmen laut in den Wunsch mit ein, denn dahinter steckt ein tierischer Frust: kämmen, shampoonieren, wieder kämmen, das Bettzeug wechseln, Kleider waschen. Und am schlimmsten: das Schmusetier eine Nacht lang in die Gefrierbox des Kühlschranks sperren. Da kommen selbst uns Eltern die Tränen.
Seit Schuleintritt im Herbst 2014 haben uns die Krabbeltiere schon sechs Mal besucht, das heisst: im Schnitt alle drei Monate Läusealarm. Entweder, weil wir es selbst merkten, oder weil uns das Elternbüchlein der Schule darauf hinwies, dass die Insekten wieder einmal die Runde machen. Knapp anderthalb Jahre geht das jetzt schon so. Ist das noch normal?
Dicke Post: Schon sechsmal gingen die Läuse in der Klasse um.
Ich erinnere mich an meine eigene Kindheit, als mich meine Mutter zum Spass lauste und aus dem Spiel Ernst wurde: Unter dem Mikroskop betrachteten wir den ekligen Blutsauger, der wie von einem anderen Planeten auf meinem Kopf gelandet zu sein schien. Und an das Laus-Shampoo erinnere ich mich, das so gefährlich roch, wie es wahrscheinlich auch war.
Von Kopf zu Kopf
Dagegen riechen heutige Mittel wie Pflegespülungen. Ist denn schon wieder Saison für Läuse?, frage ich den Apotheker, der mir das Shampoo verkauft. Der lächelt mild und erwidert, er verkaufe das Präparat das ganze Jahr über. Also erkundige ich mich bei Lydia Isler, Vizepräsidentin des Baselstädtischen Apotheker-Verbandes, woher die Parasiten denn eigentlich kommen. «Von einem anderen Kopf», lautet die Antwort. «Nur dort können sie überleben.»
Eine im «Beobachter» zitierte Elternbefragung aus dem Jahr 2005 ergab, dass jedes vierte Basler Schulkind innerhalb eines Jahres Läuse hatte. Besonders häufig sind Läuse nach den Sommer- und Herbstferien, wenn die Reisetätigkeit am grössten ist und die Kinder in den Lagern waren. Das hat nichts mit mangelnder Hygiene zu tun, betont die Apothekerin. Auch lässt sich nicht sagen, ob mehr Jungen oder Mädchen davon betroffen sind. Ausschlaggebend ist einzig die Länge der Haare und wie oft man den Kopf mit anderen zusammensteckt.
Kämmen, kämmen und nochmals kämmen
Kinder im Kindergarten- und Primarschulalter sind deshalb am anfälligsten. Wer also das Risiko eines Befalls minimieren will, ohne gleich zu drastischen Massnahmen zu greifen, bindet dem Nachwuchs den Haarschopf zusammen. Es gibt zwar Sprays, die den Läusen den Appetit verderben sollen, einen hundertprozentigen Schutz bieten die aber nicht.
Bei den Lausmitteln (hier im «Kassensturz»-Test) unterscheidet Isler zwischen chemischen und physikalischen Produkten: Weil die chemischen Shampoos mit ihrem Nervengift die Kopfhaut schädigen können, empfiehlt die Apothekerin Produkte auf der Basis von Silikonöl, bei dem die Läuse ganz umschlossen werden und ersticken. Diese Präparate haben zudem den Vorteil, dass die Blutsauger keine Resistenzen gegen einen Giftstoff entwickeln.
Den an den Haaransatz geklebten Eiern (Nissen) ist damit aber nicht beizukommen. Da hilft dann tatsächlich nur das Kämmen mit einem speziellen Nissenkamm (Conditioner im Haar macht die Prozedur erträglicher). Und eine Wiederholung der Shampoo-Kur eine Woche nach der ersten Behandlung, damit die frisch geschlüpften Läuse abgetötet werden, bevor sie neue Eier legen können.
Hartnäckiges Vorurteil
Wie steht es aber mit dem Wechseln der Bettwäsche? Theres Schaudt vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Basel-Stadt winkt ab: «Lieber einmal mehr kämmen.» Selbst das Risiko, sich mit der Kappe eines Lausträgers anzustecken, beträgt laut Untersuchungen nur 1:100’000. Wobei das Wort «anstecken» gefährlicher klingt, als es die Kopfläuse sind: Im Gegensatz zu Zecken oder Kleiderläusen übertragen sie keine Krankheiten. Viel eher passiert der Befall in einem dicht besetzten Tram bei zwar flüchtigem, aber direktem Haarkontakt, wobei Schaudt ebenfalls betont, dass Läuse kein Anzeichen von mangelnder Körperpflege sind – selbst wenn sich dieses Vorurteil so hartnäckig hält wie der Parasit selbst.
Gerade in öffentlichen Institutionen macht dieses Vorurteil den Umgang mit Läusen heikel. Oft kommt es vor, dass Eltern aus falschem Schamgefühl einen Befall nicht melden, erklärt Schaudt. Dadurch zieht sich die leidige Geschichte in die Länge, weil nicht alle Eltern Kontrolle und Behandlung gleichzeitig starten können und es damit innerhalb von Krippen und Schulen zu Neuansteckungen kommt. Was wiederum die Schulleitungen unter Druck setzt: «Dann ist fachliche Unterstützung gefragt, ebenso wenn es unter Eltern eskaliert», erklärt Schaudt.
Niemand hat Schuld
Im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst werden Statistiken erhoben, aber eine Meldepflicht für Kopflausbefall gibt es für Schulen im Kanton Basel-Stadt ebenso wenig wie einen Ausschluss einzelner Schülerinnen und Schüler vom Unterricht. «Das würde zu einer Stigmatisierung der Kinder führen», sagt Schaudt. Den Basler Schulen stehen Merkblätter in elf Sprachen zur Verfügung, und falls es «hartnäckige Fälle» geben sollte, ziehen einzelne Klassen Theres Schaudt als Fachperson hinzu. «Ich rate den Lehrpersonen, dass sich Eltern von betroffenen Kindern für eine Beratung bei mir melden sollen.» Dies trägt dazu bei, ungerechtfertigte Anschuldigungen zu vermeiden.
Und wie steht es nun um den Wunsch nach einem lausfreien 2016? «Ausrotten lassen sie sich nicht», sagt Schaudt, «die Läuse passen sich perfekt an ihre Umwelt an.» Da hilft nur eines: ruhig Blut bewahren. Auch wenn ein paar Monate ohne heimliche Mitbewohner ganz angenehm wären.
Schliesslich möchte man den Kopf auch wieder einmal frei haben für anderes.
Kopfläuse springen und fliegen nicht, haben es aber trotzdem weit gebracht: Die ungebetenen Gäste sind unsere evolutionären Begleiter, Läuse von Primaten und Menschen sind eng miteinander verwandt. Ägyptischen Mumien wurden Nissenkämme ins Grab mitgegeben, und bevor Seife und Insektenschutzmittel erfunden waren, chnübelten sich Familienangehörige die Tierchen gegenseitig aus dem Haar – um sie mit den Zähnen zu knacken.
Dabei wurden die Tierchen nicht immer so negativ beurteilt wie heute: Vom Mittelalter bis in die Zeit Goethes galten verlauste Männer als besonders potent, und der schwedische Naturforscher Carl von Linné glaubte, die Läuse schützten Kinder vor Krankheiten – aus der Not eine Tugend machen, nennt man das wohl. Zum schwedischen Städtchen Hurdenberg ist die Anekdote im Umlauf, dass die Wahl des Bürgermeisters einst einer Laus oblag: Sämtliche Kandidaten stützten ihr bärtiges Kinn auf einen Tisch, auf dem eine einzelne Laus sich für den Gewinner entschied – lieber eine Laus im Haar als Flausen im Kopf.