Schlussmachen oder ausplempern lassen – das Geheimnis des Fade-out

Seit Anbeginn der Popmusik werden viel Stücke am Ende einfach ausgeblendet. Was nach Bequemlichkeit klingt, hat durchaus seinen Sinn.

Auch beim Ausblenden die Grössten: Die Beatles zelebrierten gerne mal die Kunst des Fade-out.

(Bild: Getty Images)

Seit Anbeginn der Popmusik werden viel Stücke am Ende einfach ausgeblendet. Was nach Bequemlichkeit klingt, hat durchaus seinen Sinn.

Ich habe meine digitale Musikbibliothek durchgehört und durchgezählt: Wie viele Stücken haben einen sauber komponierten Schluss? Wie viele werden einfach ausgeblendet? Die Ausblender gewannen mit 615:154. Was bedeutet das? Anfangen ist einfacher als aufhören? Oder sind viele Musiker einfach zu faul, ein anständiges Ende aufzunehmen?

Sagen wir es so: Schluss machen ist nicht nur in einer Beziehung schwer, auch Komponisten und Musiker kämpfen zuweilen damit. Seit den Fünfzigerjahren hat sich diese Art verbreitet, Musikstücke auszublenden. Böse Zungen behaupten, das habe mit der Fantasielosigkeit der Popmusikschreiber zu tun.

Emotionaler Nachhall

Dabei ist das sogenannte Fade-out mehr eine Erfindung der Radiomacher. Im vordigitalen Zeitalter mussten die Musikstücke von Hand nacheinander auf Plattenspielern oder Tonbandmaschinen abgespielt werden und die Dauer der Liedchen auf die Ansagen und die Nachrichten angepasst werden. Also wurde einfach ein- und ausgeblendet, egal, was sich der Interpret als Anfang oder Schluss ausgedacht hatte. 

Das schmerzte die sensiblen Künstler natürlich in der Seele und darum begannen die Pophelden der Sechzigerjahre, diese halbgaren Schlüsse gleich selbst aufzunehmen. Die Beatles etwa zelebrierten einige schöne Ausblender – die Erdbeerfelder oder Diamantenhimmel klingen nach, als seien sie ein Teil der Unendlichkeit.

Das liegt nicht nur am Genie der Fab Four, sondern offenbar in der menschlichen Natur: Forscher der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover untersuchten das Phänomen wissenschaftlich und fanden heraus: «Ein Fade-out verursacht so etwas wie einen ‹emotionalen Nachhall› in unserer Wahrnehmung, bei dem der Puls der Musik in unserer Vorstellung noch einige Sekunden nach dem physikalischen Ende des Stücks weiterläuft.»

Sanfterer Übergang

Das funktioniert allerdings nur, wenn dem Fade-out Stille folgt. Und das ist dort, wo die Musik auf Funktionalität getrimmt ist, nicht der Fall. Nehmen wir die Tanzmusik: Ob Discohits aus den 70ern oder das elektronische Bumm-Bumm der Gegenwart: Musik, die für DJs gemacht ist, kommt kaum einmal zu einem abrupten Schluss, denn da müsste der Plattenleger ja gespannt warten, um ja den Anschluss nicht zu verpassen. Ausgeblendetes ist da viel gutmütiger: Einfach was Neues einblenden, merkt eh keiner.

Musikpsychologen plädieren allerdings dafür, diese Praxis vieler Radiosender und Clubs zu überdenken. Denn das Abwarten der originalen Ausblendung, so die Wissenschaftler, könnte für Hörer eine neue und angenehme Musikerfahrung werden, da sie einen sanfteren Übergang in den nächsten Track oder zurück in die Alltagswelt ermöglicht und auch dem menschlichen Verhalten entspricht, angenehme Zustände möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Interessante Forschungsperspektiven dieser Studie ergeben sich in Sachen «Ohrwurm». Denn die Statistik beweist, dass Songs mit einem Fade-out-Ende durch die imaginäre Fortsetzung im Hirn des Zuhörers ein höheres Ohrwurm-Potenzial besitzen als Songs mit einem kurzen harmonischen Schluss ohne Fade-out-Ende.

Ja wenn das so ist …, dann dürfen gern noch mehr Stücke mit Fade-out in meine Musiksammlung eingehen.

Nächster Artikel