Schon 1000 Basler Primarschüler können programmieren

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit lernen Primarschülerinnen und Primarschüler in der Region Basel programmieren. Doch das Projekt ist gefährdet.

Schülerinnen und Schüler im Primarschulhaus Fraumatt in Liestal beim Primalogo-Unterricht im September 2016.

(Bild: Gabriel Brönnimann)

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit lernen Primarschülerinnen und Primarschüler in der Region Basel programmieren. Doch das Projekt ist gefährdet.

Bleich, asozial, männlich: Die Klischees über Informatiker sind so einfältig wie veraltet. In einem der erwähnten Punkte nicht: Wie Eurostat unlängst für das Jahr 2014 herausgefunden hat, sind in der Schweiz weniger als fünf Prozent der Beschäftigten in Informatik-Berufen Frauen.
 
Informatiker sind gefragte Berufsleute. Je nach Schätzung werden der Schweiz im Jahr 2020 bis zu 25’000 Fachkräfte auf dem Gebiet fehlen. Und trotzdem ist Programmieren als  Schulfach in der obligatorischen Schule bislang kaum verbreitet. 

«Programmieren hat nichts mit Word-Kenntnissen zu tun»

Und trotzdem: Fast unbemerkt von der grösseren Öffentlichkeit können mittlerweile schon 1000 Fünft- und Sechstklässler aus 45 verschiedenen Basler und Baselbieter Primarklassen besser programmieren als viele Erwachsene.

Lesen Sie auch die Reportage zum Thema: Ein Schulbesuch in Liestal

Grund dafür ist das Primalogo-Projekt, das am Lehrstuhl für Informatikdidaktik an der ETH Zürich erarbeitet wurde. Die Schülerinnen und Schüler erhalten im Rahmen dieses Projekts Informatikunterricht. Und zwar richtigen: «Word- und Excel-Anwendungskenntnisse haben nichts mit Informatik zu tun», sagt Informatik-Professor Thomas Vetter vom Departement für Mathematik und Informatik der Universität Basel.

Was ist Informatik dann? Vetter lächelt. Diese Frage habe er schon sehr oft beantwortet. Doch einfacher werde es deswegen nicht: «Es geht ja eigentlich darum, zu vermitteln, dass Programmieren keine Hexerei ist, sondern eine Abfolge von einzelnen Befehlen.»

Einerseits sei Informatik «primitiv», sagt Vetter: «Wie komme ich mit 100 kleinen Schrittchen voran? Darum gehts. Gleichzeitig ist die Informatik etwas Kreatives, denn die einzelnen Schritte sind zwar einfach – aber es gibt unterschiedliche Wege, ans Ziel zu kommen.»

Alles dreht sich um eine Schildkröte

Und das sollen schon Primarschüler bewerkstelligen können? Hier kommt die extra für Kinder im Primarschulalter entwickelte Programmiersprache Logo zum Zug.

Im Zentrum des Bildschirms ist eine kleine Schildkröte. Um sie dreht sich alles in der einfachen Entwicklungsumgebung namens xLogo4Schools, in der die Schülerinnen und Schüler ihre ersten Programmier-Befehle schreiben lernen und ihre ersten Funktionen erstellen.
 
Ein bestechend einfaches Konzept: Gibt man im Programm den Befehl «fd 100» ein, dann bewegt sich die Schildkröte 100 Punkte nach vorne – und hinterlässt dabei einen schwarzen Strich, zeichnet also ihren Weg auf. Mit dem Befehl «rt 90» dreht sich das Pixel-Tier um 90 Grad nach rechts. Mit der Befehlsreihe

fd 100 rt 90
fd 100 rt 90
fd 100 rt 90
fd 100 rt 90

zeichnet die kleine Schildkröte auf dem Bildschirm also ein Quadrat. Erfolg ist sofort sichtbar, Fehler können die Schüler durch die schrittweise Ausführung des Programms einfach beheben. Spielerisch und ohne es zu merken, programmieren sie – und verinnerlichen grundlegende Konzepte des Programmierens. Ein Kinderspiel.




Nach einigen Lektionen wenden Schülerinnen und Schüler ihre Kenntnisse bereits kreativ an – hier etwa ein T-Shirt-Design aus einer Basler Schule. (Bild: Primalogo)


 
Finanziert wird das Projekt nicht etwa von den Kantonen, sondern von der Hasler Stiftung, welche die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie fördert. Der Fachbereich Informatik der Universität Basel fungiert seit Januar 2015 als regionale Koordinationsstelle für die Durchführung des Primalogo-Projekts in der Nordwestschweiz.
 
«Die Logo-Projekte in den Schulen dauern 20 Lektionen», erklärt Projektkoordinatorin Antonia Bertschinger. «Diese werden zumeist in fünf mal vier oder zehn mal zwei Lektionen aufgeteilt.» In Basel seien die Schulen bereits mit Klassensätzen von Laptops ausgerüstet, im Kanton Basel-Landschaft sei die Infrastruktur je nach Gemeinde unterschiedlich.

Informatikstudentinnen und -studenten als Pädagogen

Da die Lehrpersonen noch nicht für den Programmier-Unterricht geschult sind, übernehmen das in der jetzigen Phase Studentinnen und Studenten des Fachbereichs Informatik der Universität Basel. Gemeinsam mit den Klassenlehrpersonen führen sie den Unterricht durch.

Mit Erfolg, wie Projektkoordinatorin Nadine Fröhlich vom Fachbereich Informatik der Universität Basel erzählt: «Die Nachfrage ist innerhalb nur eines Jahres regelrecht explodiert, wir haben 1000 Kinder in 45 Klassen betreut. Nach den Herbstferien sind 13 neue Klassen gestartet.»

Funktioniert denn der Unterricht? «Es ist ganz toll: Die Feedbacks sind super, und auch alles, was ich persönlich erleben durfte, hat mich sehr positiv gestimmt», sagt Fröhlich. «Viele Kinder, die vorher eher als unauffällig galten, blühen plötzlich auf. Bei den Mädchen und bei den Jungen, genau gleich.»

Und die Fantasie der Kinder werde ebenfalls gefördert: Die Programmiersprache und der Unterricht seien so aufgebaut, dass auch Zeit und Raum für Experimente vorhanden seien. So entstünden auch mal spezielle Designs, wie Fussball-Shirts oder Fahrräder. Dinge, welche die Schüler von Grund auf selbst entworfen hätten.

Ein Rennvelo aus einer Basler Primarschule, programmiert von einem Basler Primarschüler.

Ein Rennvelo aus einer Basler Primarschule, programmiert von einem Basler Primarschüler. (Bild: Primalogo)

Finanzielle Sorgen – trotz Erfolg

Finanziell gesehen ist Primalogo allerdings laut den Basler Projektverantwortlichen Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Wie es auf der Website des Projektes heisst, neigt sich das Geld dem Ende: 9480 Franken sind übrig (Stand 17.10.2016).

Das Projekt wurde von der Hasler Stiftung im Rahmen des zehnjährigen Programms «Fit in Informatik» gefördert, für das die Stiftung insgesamt 20 Millionen Franken aufgewendet hatte. 2015 wurde dieses Programm offiziell abgeschlossen. Zwar profitieren erneut 13 Klassen in der Region Basel vom Projekt – aber bis auf Weiteres können sich «aus Kapazitätsgründen» keine weiteren Klassen anmelden.

Doch besteht weiter Hoffnung. Einerseits bestehe seitens des Erziehungsdepartements Basel-Stadt grosses Interesse am Projekt, sagt Antonia Bertschinger: Ab Januar 2017 werde das Pädagogische Zentrum Basel-Stadt die Weiterbildungsworkshops für Klassenlehrpersonen, die zu jedem Primalogo-Projekt gehören, als Teil des regulären Weiterbildungsangebots für Primarlehrer anbieten.

Andererseits hat die Hasler Stiftung diese Woche mitgeteilt, noch einmal Geld zu sprechen – die Finanzierung sei damit auch für das Jahr 2017 gesichert, sagt Projektleiterin Antonia Bertschinger. Allerdings sei die weitere Finanzierung damit nach wie vor nicht geregelt, weshalb die Zukunft des Programmierens in Basler Primarschulen in der Luft hänge.
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Lesen Sie hier, wie es zu- und hergeht, wenn Primarschülerinnen und Primarschüler programmieren lernen: Die TagesWoche hat den Unterricht in Liestal besucht.

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