Beschönigender Bericht zum Katastrophenschutz stellt die Atombehörde vor Probleme.
Nach dem Atomunfall in Fukushima war man auch in der Schweiz beunruhigt. Mit einer solchen Katastrophe hätte nicht einmal die Atombehörde gerechnet. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) reagierte – und begann abzuklären, welche Gefahren auch in der Schweiz unterschätzt worden waren. Und inwiefern der Katastrophenschutz verbessert werden müsste. Eine der wichtigsten Fragen betraf die Wasserversorgung des Landes.
Ein Bericht voller Fehler
Zweieinhalb Jahre nach Fukushima hat das Ensi den entsprechenden Bericht nun vorgelegt. Das Fazit klingt beruhigend: «Die bestehenden Abläufe und Massnahmen sind geeignet, um die Menschen und die Umwelt zu schützen.» Selbst bei einer radioaktiven Verseuchung von Aare und Rhein könnten die Menschen in den betroffenen Gebieten über eine längere Zeit mit Trinkwasser aus anderen Quellen versorgt werden. Mit Blick auf die Region Basel zum Beispiel sprach das Ensi von 175 Tagen, in denen zumindest eine Notration Wasser vorhanden sei.
Schon sehr viel beunruhigender sind dagegen die Schlüsse, die die Vereinigung Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) aus der Publikation zieht: Das Ensi habe oberflächlich gearbeitet, sein Bericht sei voller Fehler.
Die Liste der Trinkwasserbezüger entlang von Aare und Rhein; die Wassermenge, die den beiden Flüssen entnommen wird; die nach den Erfahrungen in Fukushima erstmals hochgerechnete Menge an radioaktivem Wasser, die aus einer AKW-Ruine strömen kann: alles falsch. Und vor allem verharmlosend.
Von wegen 175 Tagen
Die Liste gefährdeter Gemeinden und Städte – unvollständig. Die für die Trinkwasserproduktion benötigte Menge an Flusswasser: massiv untertrieben. Der bis heute andauernde Ausfluss an verseuchtem Wasser in Fukushima – auf ein paar wenige Wochen kleingerechnet. Ganz vergessen ging im Ensi zudem, dass das Rheinwasser in der Muttenzer Hard auch für den sogenannten Grundwasserberg abgepumpt werden muss, der die Trinkwasserbrunnen vor den Giften aus den nahegelegenen Chemiemülldeponien schützt.
Von wegen 175 Tage. Nach einem halben Jahr wären die Brunnen wohl schon längst vergiftet. Womit 230 000 Menschen in der Region Basel auf dem Trockenen sässen. Wahrscheinlich hatte das Ensi bei seiner fragwürdigen Studie vor allem eines im Sinn: die Menschen zu beruhigen. Erreicht hat die Atombehörde aber eher das Gegenteil, wie die Reaktionen von linken und grünen Politikern zeigen.
Eine ganze Reihe von Vorstössen
In Bern hat der Solothurner SP-Nationalrat Philipp Hadorn einen Vorstoss eingereicht, in Basel-Stadt die grüne Grossrätin Mirjam Ballmer, im Baselbiet der grüne Landrat Jürg Wiedemann, in Solothurn SP-Gemeinderat Reiner Bernath. Und sie alle stellen die gleichen Fragen: Was halten die Regierungen in Bundesbern, in den beiden Basel und in der Stadt Solothurn von den beschönigenden Darstellungen des Ensi? Welche Gefahren drohen unter realistischen Annahmen? Welche Vorkehrungen wären tatsächlich nötig? Was liesse sich im Notfall noch ausrichten?
Es sind Fragen, die schwierig zu beantworten sind. Fragen, bei denen die Regierungen möglicherweise sogar kapitulieren müssen. Denn was kann man noch tun, wenn die Wasserversorgung in ganzen Landesteilen längerfristig ausfallen würde?
Die Regierungen der beiden Basel kommen noch aus einem weiteren Grund in Erklärungsnot. Wiedemann und Ballmer wollen von ihnen wissen, warum sie sich trotz der Probleme mit dem Trinkwasser mit einer «Billigsanierung» der Chemiemülldeponie Feldreben zufrieden geben.
Druck auf Pharma steigt
Der Baselbieter Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber (SVP) hatte vor wenigen Wochen bekanntgegeben, dass nur ein kleiner Teil der Grube ausgehoben werden soll. Die Grünen fordern schon seit Längerem eine sehr viel weitergehende Sanierung auf Kosten von BASF, Novartis und Syngenta – neuerdings auch mit Hinweis auf den Grundwasserberg, der etwa nach dem Störfall in einem AKW in sich zusammenbrechen könnte.
Eine radikale Lösung fordern auch die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz: die sofortige Abschaltung zumindest der Uralt-Reaktoren in Mühleberg und Beznau, wie AefU-Präsident Peter Kälin sagt: «Die Behörden müssen den Schutz der Bevölkerung endlich ernst nehmen.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 13.12.13