Seitensprung in Blech

Die Handy-Generation weiss: Fotos können Ehen zerstören. Doch das ist ein nicht ganz neues Phänomen.

(Bild: Staatsarchiv Basel)

Die Handy-Generation weiss: Fotos können Ehen zerstören. Doch das ist ein nicht ganz neues Phänomen.




(Bild: Staatsarchiv Basel)

Die hier reproduzierte Porträtaufnahme ­eines Paars findet sich in den Straf- und Polizei­akten des Staatsarchivs Basel. Aufgenommen wurde sie mit einem der ersten Fotoautomaten, die 50 Jahre nach der Erfindung der Fotografie die Welt eroberten, dem «Photographie Automaten Bosco». Diesen hatte der Hamburger Conrad Bernitt konstruiert und 1890 patentieren lassen. Die Markenbezeichnung Bosco spielte auf den seinerzeit bekannten italienischen Salonmagier Bartolomeo Bosco (1793–1863) an.




(Bild: Staatsarchiv Basel)

Zu unserer Aufnahme erzählt man sich eine Geschichte, die sich nicht verifizieren lässt. Die Frau sei verheiratet gewesen, allerdings nicht mit dem Mann, der mit ihr in die Kamera blickt. Als ihr Ehemann das Bild zu sehen bekam, habe er sich scheiden lassen.
Bosco-Bilder sind «Blechbilder», sogenannte Ferrotypien. Als Schichtträger für das nasse Kollodium wurde ein schwarz lackiertes Eisenblech verwendet. Die Ferrotypie ist ein Direktpositivverfahren, bei dem ein knapp belichtetes Negativ vor einem dunklen Hintergrund positiv erscheint. 
Bosco-Bilder sind Unikate. Der Rand des Blechs war ein wenig erhöht und konnte die Entwicklungs- und Fixierflüssigkeit fassen. Der Verarbeitungsprozess dauerte drei Minuten. Danach musste das sehr kratzempfindliche Bild noch an der Luft getrocknet werden. Dem fertigen Werk diente der Blechrand als Rahmen; oft war er mit einem goldfarbenen Aufdruck verziert. Zu der Fotografie im Format von 60 × 83 mm wurde ein passendes Etui aus Pappkarton mitgeliefert. 
Bernitts Automaten waren bis in die 1920er- Jahre an Jahrmärkten und in Kaufhäusern im Einsatz. Die mit ihnen aufgenommenen Bilder sind heutzutage eine Rarität. Oft wanderten die Plättchen in den Müll, nach einigen Jahren Licht sind die Bilder fast nicht mehr zu erkennen und vielmals zerkratzt.
Die Ferrotypie ist laufend weiterentwickelt worden, Fotokünstlerinnen und -künstler arbeiten damit noch heute

Hier sieht man die attraktive Verpackung eines Boscobildes: Und hier eine grandiose modernere Form dieses Wet-Plate-Verfahrens:  

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 08.11.13

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