Le Pen verliert die Stichwahl, doch Knackeboul träumt trotzdem schlecht: Er sieht die Menschheit unterwegs in finstere Zeiten.
Oui! Die neoliberale Pflaume hat gewonnen, nicht die Frontisten-Tante. Die Niederlage Le Pens gibt einem etwas Hoffnung für Europa – wenn man mal ignoriert, dass Millionen Franzosen für die Front-Frau der Rechtsextremen gestimmt haben.
Ein grosser Teil unserer Zeitgenossen scheint sich trotz aller Vorzüge der Gegenwart nach einem Mittelalter 2.0 zu sehnen. Sie nehmen soziale Ungerechtigkeit, Antisemitismus, Homophobie und Rassismus in Kauf, nur um die guten alten Zustände wiederherzustellen, die es nie gegeben hat. Sie sagen: «Ja klar, Le Pen ist radikal, aber die Linke hat halt keine Konzepte. Darum wandern alle Wähler zu den Populisten ab.»
Neulich bei der Hexenverbrennung
Manchmal frage ich mich, ob man in früherer Zeit bei einer Hexenverbrennung auch so geredet hat:
Kluge Frau: «Das ist ja furchtbar, was sie dieser Frau antun!»
Dummer Dude: «Klar ist das krass, aber den Fortschrittlichen haben halt die Gegenkonzepte gefehlt!»
Kluge Frau: «Wie wärs damit: Man sollte keine unschuldigen Frauen bei lebendigem Leibe verbrennen, weil man glaubt, sie hätten durch Sex mit dem Teufel die Pest ausgelöst!»
Dummer Dude schweigt, isst die Blüte einer Kartoffel und startet einen Veitstanz.
Diesen zwei Mittelalter-Menschen haben wir einiges voraus. Wir wissen inzwischen ein paar Dinge: dass die Erde rund ist, dass man vom Onanieren nicht blind wird und dass man Kopfweh nicht beheben kann, indem man ein kleines Löchlein in die Schädeldecke bohrt.
Wir müssen die «Ängste des Volkes» nicht ernst nehmen, wir müssen sie aber anscheinend hinnehmen.
Ich habe es satt, Leuten mit rassistischem, homophobem oder ganz einfach paranoidem Gedankengut die Deutungshoheit zu überlassen. Man muss mit solchen Menschen nicht auf Augenhöhe diskutieren. Man kann nicht – denn was ihre Augen und Ohren wahrnehmen, ist viel schwächer als das, was sie gern glauben wollen oder halluzinieren.
Wir müssen die «Ängste des Volkes» nicht ernst nehmen, wir müssen sie aber anscheinend hinnehmen. Die Linke ist nicht schuld, dass viele Menschen in eine Art Wahn verfallen und wieder an sprechende Schlangen, böse Zauberer, die Zeichen an den Himmel malen, und an die zionistische Weltverschwörung glauben.
Wer sagt, man müsse diese Menschen ernst nehmen, hat vergessen, wie der Laden läuft. Der läuft nämlich so:
Eine kleine Gruppe von Menschen treibt die menschliche Entwicklung mit wissenschaftlichen Errungenschaften, philosophischen Erkenntnissen, spektakulärem Handwerk und subversiven Kunstwerken voran in eine rosigere Zukunft.
Der andere, grössere Teil betet Götzen und Götter an, versucht die Gleichberechtigung zu torpedieren und scheisst paranoide Hasscomments unter Berichte über die Notwendigkeit des Impfens.
Wenn der Puffer kippt
Das ist kein Problem, das können wir handlen. Ein Richard Branson reicht, um Hunderttausende Klimawandel-Leugner zu kompensieren. Dumm ist nur, wenn die Leute kippen, die den Puffer bilden zwischen den zukunftsträchtigen Vorwärtsstrebern und den Intrigen-Witterern mit Mikro-Globuli im Bauch, bilden.
Wenn die gut gebildeten und sozialversicherten Puffer-People aufhören, in der Airbnb-Wohnung «Rick and Morty» auf Netflix anzugucken. Wenn sie auf einmal den Verschwörungstheoretiker Alex Jones verstehen, Ganser-Wasser trinken und Bernd Höcke gar nicht mal so daneben finden. Dann entsteht ein gefährliches Ungleichgewicht.
Wenn das geschieht, dann bröckelt die Zivilisation und torkelt Reich-wärts. Deshalb sollten wir aufhören, über die Berechtigung vertrollter Weltbilder nachzudenken.
Mad-Max-Szenario
Wir dürfen gerne ein bisschen überfordert sein mit der LGBTQ-Buchstaben-Abfolge. Wir dürfen gerne die Wirtschaftspolitik der EU hinterfragen und das Glockengebimmel im Lande dem Ruf des Muezzins vorziehen.
Aber deswegen dem süss-schizoiden Trollentrunk zu verfallen kann keine ernsthafte Option sein. Also reissen wir uns am Riemen. Ich hab inzwischen schon Albträume orwellschen Ausmasses.
Ich sehe ein Mad-Max-Szenario für die Zukunft der modernen Welt. Die Weltbilder von Stadt und Land haben sich darin so sehr voneinander entfernt, dass die Städte zu futuristischen Hochburgen der Bildung und des technischen Fortschrittes werden und das Land zu einer von Trolls bevölkerten No-Go-Zone.
Ein Städter, der aufs Land fährt, riskiert, als Chemtrail sprühender Impf-Dämon auf eine Handyantenne gespiesst zu werden.
Die Städte entwickeln sich zu mehrschichtigen Riesengebilden, um die Dienstleistungsdrohnen schwirren, während die Stadtbewohner in solarbetriebenen Flugautos (dannzumal: Flauto) aus dem 3D-Drucker zu ihrem 30-Prozent-Job fliegen. Auf dem Land hingegen herrschen Stammeskultur, Lynchjustiz und Sektierertum.
Wenn ein Städter sein Grosi auf dem Land besuchen will, dann muss er dies in einem eskortierten Konvoi tun. Nur so kann verhindert werden, dass er von einer der rivalisierenden Sekten für einen Chemtrail sprühenden Impf-Dämon gehalten, auf einer verrosteten Handyantenne aufgespiesst und auf einem Haufen brutzelnder Modems öffentlich verbrannt wird.
Albtraum von einer Freakshow
Uff. Wahrscheinlich bin ich schon etwas zu lange in den Staaten unterwegs. Dieses Land ist wie Europa auf Crack. Moment… Dieses Land ist Europa auf Crack! Man fahre nur einmal durch den Bible-Belt. Eigentlich entspricht dieser Landstrich ziemlich genau meinem Albtraum. Ein Cola-getränkter, klimatisierter Mustang-Albtraum von einer Freakshow.
Ich melde mich wieder, wenn ich sicher in New York angekommen bin. Schaut ihr mir währenddessen in Europa drüben, dass nicht zu viele Hurensöhne Mannheims auf dem Ganser-Naidoo Trip hängen bleiben. Miss you. XX