Smart Cities sind eine dumme Idee

Gegen das Smart-City-Konzept regt sich Widerstand. Rem Koolhaas argumentiert, dass die smarten Städte nicht nur ästhetisch schwach sind, sondern auch politisch: Sie entmündigen ihre Bewohnerinnen und Bewohner.

Sauber, nachhaltig, politisch gedimmt: Smart Cities wie das südkoreanische New Songdo machen aus Menschen Manövriermasse. (Bild: Jansoli)

Gegen das Smart-City-Konzept regt sich Widerstand. Rem Koolhaas argumentiert, dass die smarten Städte nicht nur ästhetisch schwach sind, sondern auch politisch: Sie entmündigen ihre Bewohnerinnen und Bewohner.

Klimaanlagen, die automatisch ausgehen, wenn man das Gebäude verlässt. Apartment-Einheiten, die im Brandfall die Feuerwehr alarmieren. Autonome Fahrzeuge, die selbstständig Parkplätze finden und per App ausparken. So könnte die smarte Stadt von morgen aussehen, und so sieht sie zum Teil schon heute aus. In Südkorea wurde die Planstadt New Songdo aus dem Boden gestampft. Im Wüstensand von Masdar in den Vereinigten Arabischen Emiraten entsteht in den nächsten Jahren eine intelligente Stadt. Smart Cities boomen. Indiens neuer Premier Narendra Modi kündigte an, 100 neue smarte Städte zu bauen – als Antwort auf die Bestrebungen in China.

Es gibt mittlerweile eine regelrechte Lobby für Smart Cities: Siemens bietet Konferenzen an, IBM das nötige Know-how, es gibt sogar eigene Studiengänge wie in London. Und es klingt ja auch gut: Der Stadtverkehr, einfach und vernetzt, sauber und leise wie in der Werbung. Die Stadt ist ökologisch nachhaltig. Die Strassen werden durch nutzerorientierte LED-Laternen gedimmt oder ästhetisch im neuesten «urban design» erleuchtet. Bürgersprechstunden erledigen sprachbegabte Roboter, die bestens über die persönliche Situation des Bürgers informiert sind.

Doch ist die smarte neue Welt wirklich so intelligent, wie sie vorzugeben scheint? Der Architekt Rem Koolhaas hat in einem Thesenpapier für die Europäische Kommission ein paar interessante Gedanken entwickelt. «Wenn wir die visuelle Sprache betrachten, durch die die Smart City repräsentiert wird, ist es typischerweise mit vereinfachenden, kindlich runden Ecken und hellen Farben.» Doch Smart Cities sind für Koolhaas nicht nur ästhetisch eine Enttäuschung. «Die Bürger, denen die Smart City zu dienen vorgibt, werden wie Kinder behandelt. Wir sind gefütterte, niedliche Icons des urbanen Lebens, integriert mit harmlosen Geräten, kohärent in angenehmen Diagrammen, wo die Bürger und Geschäfte von mehr und mehr Dienstleistungen umgeben sind, die Kontrollblasen kreieren.»

Bürger als Avatare

Die unterschwellige Befürchtung ist, dass die Bürger in der datenumhüllten Stadt ihre Subjektivität verlieren und zu Avataren ihrer selbst degenerieren: glattgeschliffene, saturierte Statisten, die lediglich ein Rad im Getriebe sind. In der Smart City ändert sich die Beziehung zwischen Bewohnern und der «built environment». Über Smartphones stehen wir in ständigem Austausch mit Gebäuden. Geschäfte, an denen wir vorbeigehen, senden uns via Beacons Rabatte auf unser Handy. Google Glass lotst uns zum nächsten Strassencafé. Und smarte Stores erkennen per Gesichtserkennung, wer sich gerade im Laden aufhält. Mit der Algorithmisierung unseres Alltags wird auch das Stadtgeschehen vorhersagbarer. Ein Traum für jeden City-Manager.

Was fehlt, ist die Reflexion über das Gemeinwesen. Koolhaas identifiziert eine merkwürdige Ungleichzeitigkeit. «Die Stadt triumphiert zu einem Zeitpunkt, in dem man aufgehört hat, über die Stadt als solche nachzudenken.» In dieses Vakuum tritt die Smart City. Das Problem ist, dass sich die Städteplaner gar keine Gedanken über die Bewohner machen. Städte sind ja keine technischen Systeme, wo ein Operator in einem Kontrollzentrum das Gemeinwesen optimiert – so wie das beim Project Cybersyn im sozialistischen Chile Anfang der 1970er angedacht war. Nein, Städte sind organisch, unstet. Koolhaas stört sich an der technisierten Vision einer Stadt, die jeden Winkel – vom Gebäudemanagement bis zum Verkehr – optimieren will.

«Warum bieten smarte Städte nur Verbesserung an?», fragt der Architekt. «Wo bleibt die Möglichkeit der Übertretung?» In der smarten City gibt es keinen Raum für Transgression, weder normativ noch faktisch – alles läuft wie geschmiert, in vorgegebenen Bahnen. Nahe Porto entsteht das Plan IT Valley, eine smarte Stadt, deren «Betriebssystem» schon in der Formel 1 zum Einsatz kam. Über 100 Millionen Sensoren sammeln Daten.

Bei Porto soll eine Stadt entstehen mit einem Betriebssystem aus der Formel 1.

Die smarte Stadt mündet für Koolhaas notwendigerweise in ein Kontrollregime. Die Sicherheitsbeamten in Rio de Janeiro sehen in einem riesigen Kontrollzentrum, was gerade in der Metropole passiert. Auf den Monitoren blinken Streifenwagen, Feuerwehr und Krankenwagen in Miniaturansicht, Einsatzorte leuchten rot auf, Verkehrsstaus, Unfälle – eine Stadt wie im Computerspiel. Mit intelligenter Software («Predictive Policing») soll die Kriminalität vorhergesagt werden. Im Idealfall sind die Polizeieinheiten schon vor Ort, bevor der Täter zuschlagen kann. Bei der Polizei in Los Angeles laufen Daten aus über 1000 Überwachungskameras in das Lagezentrum ein, die in Echtzeit analysiert und mit Statistiken abgeglichen werden. Wo bahnt sich der nächste Einbruch an? Die Cops haben alles im Blick.

«Wenn die Stadt immer mehr ein verständiges Überwachungssystem ist, verwandelt sich das Haus in eine automatisierte, responsive Zelle», fährt Koolhaas fort. Das Zuhause als Befehlsempfänger, das ausführt, was die Algorithmen diktieren. Die Fenster öffnen sich zu bestimmten Uhrzeiten, der Thermostat reguliert die Temperatur, und der sensorenbewehrte Fussboden registriert die Bewegungen des Bewohners – zu welchem Zweck auch immer. Es gibt eine innere und äussere Logik der Überwachung. Und wir können ihr nicht entkommen. Koolhaas schlägt einen «Faraday’schen Käfig» vor, an dem die digitale Sensorik abprallt.

Wer regiert?

Die Kritik am Konzept der Smart Cities ist freilich nicht neu, sie wurde bereits vom amerikanischen Urbanisten Adam Greenfield – wenngleich radikaler – in seinem Traktat «Against the smart city» vorgetragen. Mit der Intervention von Koolhaas bekommt die Debatte aber nochmals einen ganz neuen Drive. Und Gehör. Der niederländische Architekt hat die Auswertung wissenschaftlicher Daten selbst zum Teil des Entwurfsprozesses gemacht.

Umso glaubwürdiger klingt die Kritik. Koolhaas entwickelt gewissermassen die Gegenthese zu Benjamin R. Barber, der in seinem Buch «If Mayors Ruled the World» die Ansicht vertritt, dass Metropolen die neuen Macht- und Kraftzentren der Globalisierung werden. Für Koolhaas ist das Konzept der Smart City ein Container, der mit hohlen Phrasen über «Creative Class» und «Innovation» gefüllt wird. «Da die Smart-City-Bewegung in ihren Erklärungen apolitisch ist, müssen wir fragen, welche Politik hinter der angebotenen Verbesserung steht», schreibt er.

Bei Lichte betrachtet, sind smarte Städte eine reine Privatveranstaltung, vom Entwurf bis zum «Management».

Die entscheidende Frage ist: Wer regiert die smarten Städte? Gewiss, eine Smart City braucht einen Bürgermeister und eine Verwaltung, die aus Wahlen hervorgehen. Doch die zugrundeliegende Infrastruktur befindet sich im Besitz von Tech-Giganten wie Google oder IBM. Wie der Verkehr geleitet wird, wo Parkplätze zur Verfügung gestellt werden oder welche Gebäude auf Karten verzeichnet werden, das entscheiden letztlich die Entwickler. Es sind zwar nur regulatorische Fragen, doch sie haben einen politischen Gehalt. Wem gehört die Smart City? Gibt es eine Abgrenzung von Privateigentum und öffentlichem Raum? Oder löst sich alles in einer digitalen Hyper-Community auf?

Auf diese Fragen haben die Ingenieure bislang keine Antwort. Bei Lichte betrachtet, sind smarte Städte eine reine Privatveranstaltung. Vom Entwurf bis zum «Management». In Asien werden reihenweise «private Städte» verkauft. Im indischen Lavasa entsteht eine «private City», die vom Betreiberkonsortium, der Lavasa Inc., faktisch verwaltet wird. Auch Songdo City ist im Grunde eine private Stadt.

Legitimatorische Leerstelle

Koolhaas schreibt: «Wenn man sich das Silicon Valley anschaut, sieht man, dass die grössten Innovatoren im digitalen Feld eine fade suburbane Umgebung errichtet haben, die zunehmend exklusiv wird, seine Technik-Blasen (sind) isoliert von der öffentlichen Sphäre.» Was wir hier beobachten, ist eine Entkopplung. «Smarte Städte und die Politik haben sich getrennt, sie wachsen in separaten Welten.» Glasklar entwickelt Koolhaas die Schlussfolgerung seiner Schrift. Die Smart City ist depolitisiert, jedem Diskurs entwachsen. Die Welt der Smartphones und Sensoren hat sich verselbstständigt, hier regieren Facebook und Co. Wo einst Bürger abstimmten, entscheiden heute Algorithmen. Tim O‘Reilly hat dafür den Begriff der «Algorithmic Regulation» geprägt.

Es ist schon bezeichnend, dass die Stadt, die Keimzelle der Demokratie (man denke an die Anfänge der Stadtstaaten in Athen), zu einem mechanischen, blutleeren Raum verkommt, bei dem es nur darum geht, Probleme wegzuoptimieren. Die smarte Stadt ist nach Koolhaas’scher Logik stupide, weil sie auf dem sozialen Auge blind ist. Es klafft eine legitimatorische Leerstelle. Koolhaas fordert darum, dass die beiden Sphären – Smart City und Politik – wieder zusammengeführt werden. Es ist ein Weckruf an uns alle: Die smarte Stadt entmachtet uns! Nur eine Stadt der Mitbestimmung ist auch wirklich smart.

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