Soziale Netzwerke: Ist Ello das neue Facebook?

Seit vergangener Woche verzeichnet das soziale Netzwerk Ello einen sprunghaften Anstieg der Nutzerzahlen. Das Anti-Facebook ist werbefrei, kennt keinen Klarnamenzwang, trackt keine Daten und filtert die Timeline nicht, sagen die Entwickler.

Das soziale Netzwerk Ello wächst rasant. Hat es das Zeug dazu, Facebook abzulösen? (Bild: www.ello.co)

Das soziale Netzwerk Ello verzeichnet seit vergangener Woche einen sprunghaften Anstieg der Nutzerzahlen. Das Anti-Facebook ist werbefrei, kennt keinen Klarnamenzwang, trackt keine Daten und filtert die Timeline nicht, sagen die Entwickler.

Im März ging das soziale Netzwerk Ello online. «You are not a product», stellten die Entwickler in einem Manifest klar. Kein Klarnamenzwang, keine Werbung, viel Privacy versprechen sie. Das klingt attraktiv, interessierte bisher aber nur wenige. 

Seit vergangener Woche gibt es Neuanmeldungen im fünfstelligen Bereich – pro Stunde. Diesen Anstieg verdankt Ello ausgerechnet einer Facebook-Regel: Wegen der strengen Kontrolle der Klarnamenpflicht wandte sich zuerst die Queer-Community Ello zu. Andere Nutzer zogen nach.

Ello hat ansprechende Eigenschaften: Frei von Werbung und transparent soll die Plattform sein. Nutzerdaten sollen lediglich anonymisiert und zu eigenen Zwecken ausgewertet werden. Und selbst das kann man abstellen. Ein Rolle dürfte auch spielen, dass der Betreiber «explizite Inhalte» nicht löscht, sofern sie gekennzeichnet werden.

Wie kommt man hin?

Ein Nutzerprofil bei Ello bekommt man derzeit nur durch Einladung. Einen sogenannten Invitecode kann bei Angabe einer E-Mail-Adresse von jedem verschickt werden, der bei Ello schon einen Account hat. Mehrere Blogs, Twitteraccounts und Facebook-Seiten bieten an, Einladungen zu verschicken. Es werden sogar Einladungen auf Ebay versteigert.

Und wie sieht es nun aus, das neue Netzwerk?

Beim ersten Einloggen kann man feststellen: Hier hat sich jemand viel Mühe gegeben. Ello legt Wert auf Design. Die Seite ist schlicht, klar und fast ausschliesslich in Schwarzweiss gehalten. Auf dem Schirm sind nur wenige Elemente, getrennt durch viel Weissraum. Ein angenehmer Kontrast zum bunten und mittlerweile vierspaltigen Facebook-Layout. Was ausserdem auffällt: es ist ziemlich still. Das Posten von selbstabspielenden Soundfiles und Videos ist nicht möglich, ausser per Link.

Was Ello alles kann, ist im Moment noch schwer zu sagen. Die Software ist beta, das heisst: noch in der Entwicklungsphase. Viele Funktionen sind angekündigt, aber (noch) nicht vorhanden. Es gibt nur wenige davon, die sich schnell finden lassen. Aber reichen die auch aus?

Ausgerechnet auf Emojis muss niemand verzichten

Zunächst zu dem, was es gibt. Profile sind entweder öffentlich oder privat, das kennt man von anderen sozialen Netzwerken. Auch ein anderer gewohnter Bestandteil ist vorhanden, das Eingabefeld: ganz oben auf der Seite als Sprechblase «Say Ello…». Die Funktion ist etwas gewöhnungsbedürftig, da jedes Element in einem separaten Kasten angezeigt wird, der sich innerhalb des Posts bewegen lässt.

Nach ein bisschen Rumprobieren ist das aber sehr angenehm. Text kann fett oder kursiv formatiert und mit Links hinterlegt werden. Praktisch auch: Bilder, Videos und Gifs lassen sich durch Ziehen einfügen. Eine Einbettungsfunktion gibt es (noch) nicht. Ausgerechnet auf das Garnieren von Post mit Emojis, von denen es eine kleine Auswahl gibt, muss niemand verzichten. Bemerkenswert dabei: das wohl beliebteste Emoji, das Augenzwinkern, fehlt.

So sieht die Ello Timeline aus.

So sieht die Ello Timeline aus. (Bild: www.ello.co)

Etwas mühsam: die Suche nach Freunden

Bemerkbar machen kann man sich auf Ello also schon mal. Auf der Suche nach Freunden muss man – wie bei den restlichen Funktionen – etwas Geduld haben. Mit «Discover» lässt sich Ello nach anderen Profilen durchsuchen. Die Suchfunktion arbeitet aber leider nicht sehr zuverlässig und ist den Benutzermengen wohl derzeit nicht gewachsen. Das Zusammensuchen des engeren Bekanntenkreises kann ein paar Stunden dauern.

«Friend» oder «Noise»?

Ein gefundenes Profil lässt sich dann einer von zwei Gruppen zuordnen. Die heissen, wenig erklärungsbedüftig, «Friends» und «Noise». Keine Ordner und Listen – das dürfte erfahrenen Social-Media-Nutzern weniger gefallen. Dazu kommt: Wer drin ist, ist drin. Eine Funktion wie «entfolgen» oder «blockieren» gibt es nicht. Optisch bewegt sich die Timeline dann zwischen Facebook und Twitter.

Plattform ohne Favs und Shares

In Sachen Interaktion müssen sich Facebook- und Twitter-Nutzer umgewöhnen. Es gibt keine Möglichkeiten der schnellen Bewertung wie Plusses oder Favs, auch das Teilen von Inhalten anderer Nutzer wie Retweets oder Shares ist nicht möglich. Beides ist aber geplant. Bis es so weit ist, bleibt Copy&Paste die einzige Möglichkeit, Inhalte weiterzuverbreiten.

Bleibt also nur, Gefallen oder Missfallen per Kommentarfunktion kundzutun. Private Mitteilungen gibt es nicht. Eine interessante Einschränkung, die für mehr Interaktion sorgen könnte.

Kurze Erklärungen über die Ello-Funktionen gibt es beim Ello-Nutzer @WTF, da steht zum Beispiel auch, wie man Emojis zum Text hinzufügt. Eine Schnellanleitung für Einsteiger gibt es zum Beispiel bei readwrite.com.

Geld verdienen durch Specials

Geld verdienen will die neue Plattform durch den Verkauf von Special Features, die in regelmässigen Abständen für «einen sehr kleinen Betrag» vom Nutzer hinzugefügt werden können. Ob das ausreicht?

Wie ernst zu nehmen die Versicherungen der Ello-Macher sind, daran gibt es bereits Zweifel. Der Grund: ein Teil der Investionsgelder, die zum Aufbau von Ello benötigt wurden, sind Venture-Kapital. Und das wird, so die Vermutung, nicht ohne Gegenleistung zu haben gewesen sein.

Zieht die Karawane nun weiter?

Hat Ello nun ein «Facebook-Moment»? Schwer zu sagen. Soziale Plattformen gibt es einige. Mein Fazit nach einem kurze Rundgang: Ein vielversprechender Anfang. Schön und schlicht kommt die neue Plattform daher, aber noch etwas simpel. Ob die Karawane dorthin ziehen wird, hängt wohl am ehesten davon ab, wie viele Nutzer sich bei Ello engagieren.

Auch die TagesWoche hat einen Account bei Ello. Und damit die Möglichkeit, andere Nutzer einzuladen. Schreiben Sie uns eine Mail an «community at tageswoche punkt ch» und wir melden uns bei Ihnen. Unser Kontingent ist auf 20 beschränkt, insofern gilt: First come, first served.

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