Späte Genugtuung für Medienopfer

Vor sechs Jahren löste der Blick mit Berichten über ein «Foltercamp» in Spanien ein riesiges Medienecho aus. Fünf Monate später wurde die Akte geschlossen. Heute entschuldigt sich die Boulevard-Zeitung auf ihrer Frontseite bei einem der damals Angeschuldigten. Für ihn hatte der angebliche Skandal verheerende Folgen.

Beat Dünki zeigte Kampfgeist – es hat sich gelohnt. (Bild: Nils Fisch)

Vor sechs Jahren löste der Blick mit Berichten über ein «Foltercamp» in Spanien ein riesiges Medienecho aus. Fünf Monate später blieb von den Vorwürfen nichts mehr übrig, die Akte wurde geschlossen. Heute entschuldigt sich die Boulevard-Zeitung auf ihrer Frontseite bei einem der damals Angeschuldigten. Für ihn hatte der angebliche Skandal verheerende Folgen.

Beat Dünkis Kampf hat lange gedauert, aber er war nicht umsonst. Der Ringier-Verlag, der den «Blick» herausgibt, entschuldigt sich an prominenter Stelle auf der Frontseite der Zeitung und lässt Dünki zudem eine Schadenersatzzahlung zukommen.

Wie hoch diese ist, will Dünki zwar nicht bekanntgeben, darüber sei Stillschweigen vereinbart worden. Aber sie muss beträchtlich sein. Denn soviel verrät Dünki: «Ich überlege mir, eventuell eine Ferienwohnung zu kaufen.» Dort sollen Sozialbedürftige, die Kinder der heilpädagogischen Grossfamilie, die Dünki einst leitete, «und alle Menschen, die während der ‘Blick’-Kampagne solidarisch mit mir waren, kostenlos Ferien machen können». Was war geschehen?

Anfangs April 2006 erscheint «Blick» mit einer Geschichte über fünf Schweizer Jugendliche in einem Erziehungscamp an der spanischen Costa Brava, die «in Wildschwein-Käfigen wie Tiere gefangen» gehalten würden, wenn sie gegen die Hausregeln verstossen hatten. «Sie erlebten die Hölle», so «Blick», und: «Folter pur!»

Man habe die Jugendlichen regelmässig mit Eisenstangen geschlagen, ihnen nur Cornflakes zu essen gegeben. Einer der Jugendlichen, dem die Flucht gelungen sei, hatte der Polizei vom Foltercamp berichtet, worauf diese eine Razzia veranlasste und die Betreiber des Camps – ein Schweizer Paar und einen Franzosen – verhaftete. Der «Blick»-Artikel schlägt ein wie eine Bombe.

Wilde Geschichten

Sämtliche Schweizer Medien greifen die Geschichte auf. Die Kampagne ist lanciert. Während die zurückhaltenderen Publikationen die Qualitätsüberprüfung von sozialen Institutionen hinterfragen, liefert «Blick» – federführend ist der inzwischen beim «Sonntag» angestellte Reporter Beat Kraushaar – ständig neue Details.

Ausführlich lässt die Zeitung die inzwischen in die Schweiz zurückgekehrten «Opfer» und deren Eltern zu Wort kommen: über den Campleiter, «genannt die Laus»; über seine Freundin, die als Bardame im nahen Figueras gearbeitet habe; über Prostituierte aus der Ukraine, die mit dem Leiter Partys gefeiert hätten. Die Rede ist von Zwangsarbeit, Schlägen, Hunger und so weiter. Nur ein Vater äussert öffentlich den Verdacht, die ganze Sache könnte eine Intrige der Jugendlichen sein. «Blick» geht nicht weiter darauf ein.

Stattdessen folgt ein Bericht über den Vermittler «Beat D.» und seine Institution «Time-out», der das Zürcher Sozialamt «blauäugig 4000 Franken pro Teenager und Monat bezahlt» habe. Dazu ein Bild von D.s Wohnhaus sowie eines von ihm selbst mit schmalem schwarzem Balken über den Augen. «Jeder, der mich nur ein bisschen kannte», sagt Beat Dünki, «wusste, dass es sich um mich handelte.»

Privat und geschäftlich erledigt

Nun konzentrieren sich die Medien auf ihn und das Zürcher Sozialamt, respektive die damalige Amtsvorsteherin Monika Stocker. Inzwischen ist bekannt geworden, dass der Campleiter selbst Sozialhilfe bezieht. Und Beat Dünkis «Time-out» – ein Netzwerk von Gastfamilien – gerät immer mehr ins Visier der Kritik. Geschichten über seine angeblich dubiosen Geschäftstätigkeiten werden ausgebreitet.

Selbst den Verdacht des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen, der sich später als absolut ungerechtfertigt herausstellt, muss er sich gefallen lassen. «Ich war erledigt», sagt Dünki. Nicht nur geschäftlich, sondern auch privat: «Mein soziales Umfeld hat sich mindestens um die Hälfte reduziert, viele wollten mit mir nichts mehr zu tun haben.»

In der Öffentlichkeit wie auch in der Politik wird heftig über die zu lasche Kontrolle der Platzierungen von schwierigen Jugendlichen diskutiert. Monika Stocker gerät zunehmend unter Druck. Und trotz eines positiven Untersuchungsberichts zu der Arbeit von «Time-out», den der FDP-Kantonsrat Beat Badertscher im Auftrag des Sozialamts erstellt hat, verkündet das Sozialamt das Ende der Zusammenarbeit mit Beat Dünki.

«Mehr als drei Jahre habe ich zur Zufriedenheit aller Beteiligten mit dem Sozialamt zusammengearbeitet, habe für Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen Gastfamilien vermittelt – und nun liess man mich wie eine heisse Kartoffel fallen.» Das habe ihn sehr verletzt.

Verfahren wird eingestellt

Im September, gut fünf Monate nach dem ersten Bericht im «Blick», stellte die Zürcher Staatsanwaltschaft im Spanienfall das Verfahren wegen Freiheitsberaubung ein. Der Jugendliche, der die Strafanzeige gegen den Campleiter eingereicht hatte, wollte nicht, dass der Fall weiterverfolgt wurde und hatte eine «Desinteresse-Erklärung» unterschrieben. Die Akte wurde geschlossen.

Beat Dünki jedoch war am Boden, seine Existenz futsch, sein Ruf ruiniert. Aber er stand wieder auf. Er beschloss, sich zu wehren. Seine Rechtsschutzversicherung sagte ihm zu, die Verfahrenskosten zu übernehmen. «Das war mein Glück.» Dünki suchte sich einen Anwalt, er wollte einen der besten im Medienrecht.

Er wandte sich sich an Adrian Bachmann, den Zürcher Rechtsanwalt, der schon Patty Schnyders Vater erfolgreich gegen Ringier vertreten hatte. Ringier musste Schnyders Vater aufgrund eines Bundesgerichtsurteils den Gewinn von vier Ausgaben auszahlen.

Nach anfänglichem Zögern, ob er diesen Fall annehmen soll, habe Bachmann nach dem Aktenstudium zugesagt. «Daraus war klar ersichtlich, dass man massiv übers Ziel hinausgeschossen ist», so Bachmann, «dass man Dünki Dinge um der guten Story willen einfach angedichtet hat und ihn so zum Prügelknaben gemacht hat.» Das sah man nun offenbar auch bei Ringier ein.

Bisher nur Prominente

Beat Dünki ist wohl das erste nicht prominente Medienopfer, bei dem sich Ringier hochoffiziell entschuldigt. Die berühmteste Entschuldigung des Medienkonzerns ging vor zehn Jahren an die Adresse des ehemaligen Schweizer Botschafters Thomas Borer wegen einer angeblichen Affäre mit einer Berliner Kosmetikerin, 2007 folgte eine weitere spektakuläre Entschuldigung beim Rieter-Pensionskassenverwalter Jürg Maurer.

Letzterem hatte «Blick» im Zusammenhang mit der Bankenfusion von Swissfirst und Bellevue dubiose Machenschaften vorgeworfen. «Auch wenn ein solches Ergebnis eine grosse Ausnahme ist», sagt Rechtsanwalt Bachmann, der Fall von Beat Dünki zeige, dass sich sein Stehvermögen und seine Geduld gelohnt habe. Eigenschaften, die, so hofft Dünki, einen möglichen Arbeitgeber beeindrucken könnten.

Denn: Mit der letztlich errungenen Genugtuung wird der Schaden, den Beat Dünki hinnehmen musste, nicht wiedergutgemacht. Eine Tätigkeit in seinem früheren Bereich könne er vergessen, sagt er 58-jährige ehemalige Lehrer und Erwachsenenbildner, aber er habe nun die Kraft, etwas Neues anzupacken. «Und nach dieser Entschuldigung fühle ich mich soweit rehabilitiert, dass ich jemanden, der wegen dieser Geschichten meine Rolle hinterfragt, darauf hinweisen kann.»

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