In der Eingliederungsstätte Baselland, Arbeitsplatz von über 400 Menschen mit Behinderung, wird nicht nur betreut und begleitet, sondern auch gerappt. Boxitos nennt sich die Combo. Am Samstag feierte sie die Taufe ihrer Debütplatte.
Als Pit a.k.a. Peter Stöcklin die Bühne betritt, ist der Konzertsaal in der Eingliederungsstätte Baselland (ESB) in Liestal gerammelt voll. Gewöhnlich finden hier Sitzungen statt, Präsentationen und Schulungen. Doch wenn Pit und seine Mannen von der Freiburger Band «Otto Normal» vor Publikum treten, wird es wortwitzig, rhythmisch und laut.
Seit einem Jahr haben «Otto Normal», die auch das Musik-Förder-Projekt Musik macht Schule aus der Taufe gehoben haben, gemeinsam mit ehemaligen und aktiven Lehrlingen der Eingliederungsstätte geprobt: Musiker und Menschen mit geistiger Behinderung mit Liebe zur Musik, dazu Projektleiter Andreas Gerber vom Atelier für Körpermusik.
Das Resultat heisst «Kickeria», 13 Songs auf einer CD, vom schnulzigen Kuschelrock bis zum fetzigen Partykracher, dazwischen Reggae-Klänge und allgemein Melodiöses. Alles unter einem gemeinsamen Dach: Boxitos – das ist Sprechgesang mit Handicap. Yo!
Träume gehen in Erfüllung
Ein Traum ist am Samstag wahr geworden: Simon – von der Eingliederungsstätte Baselland – singt ein Liebeslied. (Bild: Lucas Huber)
«Magie isch das, wo zellt, chum mit in mini Wält», heisst es da im sehnsüchtigen «Traum vo Afrika»: auf der Bühne ein Potpourri an Instrumenten, Schlagzeug und Gitarre, Ngoni und Ukulele, Pandrum und Percussion.
Im Viertelkreis sitzen die, um die es geht, Simon und Pascal, Alexandra und Jonas, Vera und Manuel. Elf insgesamt, umrahmt von den Musikern von «Otto Normal».
Zusammen sind sie die Boxitos. Die Texte kommen von den Handicapierten, ehrliche, tiefblickende, witzige, vor allem aber persönliche Worte. Über das Abhängen mit Freunden, das Streben nach schönen Momenten, die Liebe zum FCB oder schlicht die Wichtigkeit, angehört zu werden.
Es sind Träume, die hier in Erfüllung gingen am Samstag: draussen Regen, drinen ein Hexenkessel. Einmal auf der Bühne stehen, einmal vor Publikum singen, reimen, musizieren. Simon träumte davon, ein Liebeslied zu singen. Und Pascal träumte davon, ein paar Minuten lang ein Rockstar zu sein.
Simon, der seinen eigenen Fanclub samt Transparent in Leintuchgrösse mitgebracht hatte, sang sein Liebeslied. Und Pascal sah aus wie ein Rockstar, als er die Faust in den Himmel reckte und hochsprang, die Baggy-Jeans in den Kniekehlen.
Davor war er beim Versuch, ein Rad zu schlagen, von der Bühne geplumpst und dabei unverletzt geblieben, was ihm einen Extraapplaus einbrachte. «Geil», jubelte er nach dem Konzert. Der Stolz war gross, als ihn die Familie in die Arme schloss.
Die CD ist noch erhältlich
Eigentlich hätten die Verantwortlichen gern noch viel länger auf der Bühne musiziert, Alexandra mit ihrer Klarinette, Jonas am Gong. Und Pit als perfekter Bandleader und geduldiger Pädagoge, der seine Boxitos ermunterte, ihnen immer wieder unter die Arme griff und jeden verpassten Einsatz überspielte.
Doch der Samstag war ohnehin prall gefüllt, ein Programmpunkt jagte den nächsten, denn die ESB, erbaut 1975, feierte mit der Öffentlichkeit ihr 40-Jahres-Jubiläum.
ESB-Leiter Matthias Müller war der Stolz ob «seiner» Musiker anzusehen. Und er freute sich über den Stolz der Boxitos ob deren erfolgreichen Bühnendebüts, die mal die kleinen Dinge im Leben ins Zentrum rückten, mal die Sinnfrage stellten. Im namensgebenden «Kickeria» ging es nämlich um die Frage nach dem Huhn und dem Ei, was zuerst dagewesen sei – aber das sei, kam man sich überein, doch einerlei.
Viel wichtiger ist nämlich der Hahnenkampf im Hühnerstall und – selbstredend – Chicken Nuggets. Derweil sass Projektleiter Gerber Andreas selig lächelnd vor der Bühne. Später verkündete er ein «Halleluja» und freute sich, «dass ein derartiges Projekt heute überhaupt noch möglich ist». Und die CD? Die ist noch nicht ganz ausverkauft und bei der ESB in Liestal erhältlich.
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Die Eingliederungsstätte Baselland, kurz ESB, wurde 1975 erbaut, im vergangenen Jahr fand ein grosser Umbau statt. Heute umfasst die Institution rund 100 Wohnplätze und 430 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung.