«Vor der Morgenröte»: Der Untergang des Abendländers

Ein grossartiger Josef Hader («Brenner») spielt den österreichischen Schriftsteller und überzeugten Europäer Stefan Zweig, der vor der Barbarei des Nationalsozialismus in den Tod flüchtete.

Brasilien, Argentinien, USA und wieder Brasilien: Das Drama «Vor der Morgenröte» über den «Schachnovelle»-Autor Stefan Zweig (1881–1942) erzählt die Flucht des österreichischen Schriftstellers vor dem Nationalsozialismus in den Suizid in wenigen, aber raffinierten Zügen.

Offen bleibt in Maria Schraders Lebens- – oder besser – Sterbensverfilmung, wie zwingend dieses Ende war: Er halte es mit seiner «schwarzen Leber» nicht mehr aus, sagt ein formidabler Josef Hader («Kommissar Brenner») als Zweig mehrmals und benennt damit die Melancholie eines in seinem Stolz verletzten Intellektuellen, der seine geistige Heimat an die Barbarei der Nazis verloren hat.

Überzeugter Pazifist

Dabei blüht die Leinwand zu Beginn, wenn der weltberühmte Autor zu einem reich geschmückten Bankett geladen wird und von Brasilien als dem Land der Zukunft schwärmt, in dem Menschen aller Hautfarben friedlich miteinander leben. Dass die farbigen Bediensteten zuvor den Festsaal verlassen müssen, entgeht der Kamera nicht.

Zweig erhielt auch nur deshalb ein Dauervisum für das diktatorisch – und antisemitisch – regierte Land, weil er ein Buch über Brasilien verfasste. Der jüdische Autor war in der Wahl seines Exils nicht gerade zimperlich, aber Schrader hütet sich davor, Zweigs Entscheid aus der historischen Distanz zu tadeln.

Darin spiegelt der Film die reservierte – Kritiker zu Zweigs Lebzeiten behaupteten: feige – Haltung des überzeugten Pazifisten zu den Zeitgeschehnissen. Wie Zweig am Rand eines PEN-Kongresses in Buenos Aires 1936 gegenüber den Journalisten erklärte, sei jede im sicheren Exil geäusserte Pauschalverurteilung des Naziregimes nur leeres Geschwätz. «Ich würde nie gegen ein Land sprechen, und ich mache keine Ausnahme.»

Bedingungslose Liebe

Wir begegnen Zweig auch abseits des von ihm verabscheuten Öffentlichkeitsrummels, wie er sich in einem Zuckerrohrfeld verirrt und die ungelenken Ehrerbietungen eines Provinzpolitikers über sich ergehen lässt, oder wie er in einem froststarrenden New York auf seine erste, ebenfalls geflohene Ehefrau Friderike (Barbara Sukowa) trifft.

Im Gegensatz zur gespenstischen Leere des Interieurs ist diese Episode dicht gedrängt mit den Namen derjenigen, die es anders als der privilegierte Autor nicht aus Europa geschafft haben und ihn nun schriftlich um Hilfe bei der Beschaffung einer Aufenthaltsbewillung bitten. Das Namedropping wirkt auf Dauer ermüdend, doch anders lässt sich das Ausmass des Elends – ohne auf klischierte Kriegsbilder zurückzugreifen – kaum darstellen.


Es muss wohl Liebe sein: Lotte (Aenne Schwarz) und Stefan (Josef Hader).

In New York begenet Friderike auch Zweigs zweiter Ehefrau Lotte (Aenne Schwarz), die sich im Film wie im historischen Rückblick kaum fassen lässt: Was die jüngere Frau dazu veranlasste, ihrem berühmten Ehemann bedingungslos in den Tod zu folgen, bleibt ihr Geheimnis. Es muss wohl Liebe gewesen sein, wenn sich auch nicht sagen lässt, in welchem Masse sie erwidert wurde.

Was nicht heissen soll, dass Zweig im Film der bärbeissige Grantler wäre, den Josef Hader als Kommissar Brenner so trefflich spielt, im Gegenteil: Der österreichische Schauspieler weiss mit weltläufigem Charme zu bezaubern, was die Seelenqual der Figur in ihren dunklen Momenten nur noch stärker herausstellt. «Wir können uns nicht beklagen», bemerkt Zweig einmal inmitten einer paradiesischen Landschaft und fügt mit versteinertem Gesicht an: «Wie sollen wir das nur aushalten.»

Abschied von Europa

Die schwärzeste Stunde der Verzweiflung zeigt uns Maria Schrader nicht, und auch das von einem Polizeifotografen ikonografisch eingefrorene Bild des eng umschlungenen Paares nach dem Gifttod ist nur als Spiegelung in einer Schranktüre zu sehen. Das Publikum bleibt mit sich und seinen Fragen allein – wie frei ein Freitod wirklich ist, und was «Vor der Morgenröte» für die eigene Gegenwart bedeutet, in der wieder Millionen von Menschen auf der Flucht sind: «A Farewell to Europe» heisst der Film im internationalen Verleih.

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