Steht dort nicht dieser Turm?

Heute vor 500 Jahren hat die Stadt Basel Bettingen für 800 Gulden gekauft. Bettingen feiert seine Vereinigung mit Basel – in der Stadt hingegen interessiert dies kaum. Nicht einmal die Regierung.

Für die meisten Städter wohl das Einzige was sie von Bettingen kennen: Die Sendestation St. Chrischona. (Bild: Alexander Prejobrajenski)

Bettingen feiert seine Vereinigung mit Basel – in der Stadt interessiert dies kaum. Nicht einmal die Regierung.

Schaut man von Basel aus Richtung Bettingen, sieht man einen Turm. Oder eine Rakete (je nach Vorstellungsvermögen). Mit der Kenntnis um diese architektonische Auffälligkeit erschöpft sich aber das Wissen der Stadtbasler über Bettingen – immerhin die einzige Dorfgemeinde (nein, Riehen gilt als Stadt) des Kantons – bald einmal. Allenfalls hat man noch den Höhenunterschied vom St. Chrischona hinunter ins Tal schlittelnderweise zurückgelegt.

Klar ist: Unten in der Stadt ist das Interesse an Bettingen mit seinen rund 1200 Einwohnern bescheiden. Das ist keine böse Absicht, das ist schlimmstenfalls Unachtsamkeit. Eigentlich wäre der Zeitpunkt ideal, sich als Städter mit der Dorfgemeinde auseinanderzusetzen. Denn am 2. März jährt sich ein historisches Datum in der Beziehung zwischen Basel und Bettingen zum 500. Mal. Im Jahr 1513 hat die Stadt das Dorf (damals noch «Beticken») für den Preis von 800 Gulden von den Grossgrundherren Truchsess von Wolhusen gekauft (Näheres zur Geschichte Bettingens in der Infobox). Gefeiert wird das ganze Jahr, Höhepunkt ist eine Festwoche im August mit Open-Air-Konzert und einem Sternmarsch aus den umliegenden Gemeinden.

Guy Morin hat kein Interesse, sich zu Bettingen zu äussern

Dass wir hier unten nichts von dem Jubiläum mitbekommen, liegt nicht zuletzt auch an der Regierung. Bisher hat sich beispielsweise Regierungspräsident Guy Morin kaum zu den bevorstehenden Festivitäten und dem historisch wichtigen Datum geäussert. Seine bislang einzige Äusserung findet sich in Form einer Grussbotschaft in der «Riehener Zeitung» vom 25. Januar. Deren Grossauflage wurde zu diesem Anlass eigens zur «Bettinger Zeitung» umbenannt. Ausserdem wird die Jubiläumsfestwoche im Sommer von der Regierung mit 100’000 Franken aus dem Swisslos-Fonds unterstützt. Damit hat es sich.

In seiner Botschaft an die Bettinger streicht Morin insbesondere den Naherholungswert des Dorfes hervor und verkündet, dass im Jubiläumsjahr «das kleinste Dorf des Kantons zu einem grossen Ereignis» werde.

Die regierungsrätliche Zurückhaltung bezüglich des Jubiläums ärgert den einzigen Grossrat aus Bettingen, Helmut Hersberger («aktives Bettingen», FDP). Schliesslich sei es keineswegs selbstverständlich, dass eine «Untertanengemeinde» ihr Kauf­datum als positives Ereignis feiere, sagt er. «Deshalb wäre eine lautstarke Goutierung vonseiten der Regierung sehr begrüssenswert.» Für die kleinste von drei Gemeinden sei es ein regelrechter Kampf, politisch Gehör zu finden. Die eingangs erwähnte «Unachtsamkeit» sei in der parlamentarischen Arbeit immer wieder zu beobachten und durchziehe sämtliche politischen Chargen, erzählt Hersberger.

Gerne hätten wir dem Regierungspräsidenten einige Fragen zu Bettingen gestellt, mehrere solche Anfragen blieben jedoch unbeantwortet.

Ein Stausee im Bettinger Wald

Beispielsweise als letztes Jahr dieser «unsägliche» Anzug im Rat diskutiert worden sei, der vorschlug, den Bau eines Speicherkraftwerkes auf dem Land der Gemeinde Bettingen zu prüfen. Für den Stausee hätten riesige Flächen des Waldes gerodet werden müssen. «Die Initianten dieses Anzuges haben uns Bettinger nicht einmal nach unserer Meinung zum Vorschlag gefragt», sagt Hersberger. Und für sein Votum in der Ratssitzung habe sich auch kaum jemand interessiert.

Der Wald ist neben dem Schlittelhang das beliebteste Ausflugsziel in Bettingen. Und wohl auch ein Grund dafür, dass Basel sich vor 500 Jahren entschied, das Dorf zu kaufen. Man kann vom Dorfplatz aus in jede Richtung gehen, früher oder später steht man inmitten von Bäumen (meist in sattem Grün, in unserem Fall zugegebenermassen etwas kahl und knorrig, was sich aber in keiner Weise auf den von Guy Morin besungenen «Naherholungswert» ausgewirkt hat).

Ein stolzes Volk

Die Bettinger sind stolze Zeitgenossen. Sie wissen, was sie haben, ob es die Städter dort unten interessiert, ist ihnen egal. Patrick Götsch verkörpert ihn, diesen selbstbewussten Bettinger. Götsch («aktives Bettingen») ist der Gemeindepräsident und empfängt uns zwischen zwei Sitzungen. Er spricht mit Herzblut und kennt seine Gemeinde mit all ihren Facetten. Während des Gesprächs springt er immer wieder auf und zeigt auf einer Wandkarte, wovon er gerade redet.

Natürlich gebe es immer wieder Situationen, in denen Bettingen vergessen gehe. Beispielsweise letzten Herbst, als Götsch mit den beiden Bettinger Grossratskandidaten ins Kongresszentrum am Messeplatz ging, um gemeinsam die Wahlergebnisse zu sehen (er kannte die Ergebnisse natürlich längst, Bettingen hatte bereits am frühen Nachmittag fertig ausgezählt). Und dann wurden die Wahlkreise einzeln ausgewiesen auf der grossen Leinwand. Nur Bettingen nicht. Was dazu geführt hat, dass Bettingen auch in den Zeitungen vergessen ging. So etwas ärgert sogar den selbstbewussten Götsch.

Viel lieber als über Dinge, die ihn ärgern, spricht Götsch aber über die Erfolge seines Bettingens. Und über die guten Beziehungen, die man habe zu den Nachbargemeinden. Zu Riehen natürlich, wegen der gemeinsamen Schule. Oder zum anderen Dorfteil, der evangelikalen Kirchgemeinde St.  Chrischona. Diese ist nicht bloss räumlich von Bettingen getrennt. Während der untere Dorfteil weltlich geprägt ist, befindet sich oben ein theologisches Institut, wo rund 150 Anhänger der Freikirche leben, arbeiten und die Bibel studieren. Die Chrischona-Gemeinde lebt autark, gehört politisch aber zur Gemeinde Bettingen. Das kleine Dorf umfasst etwas mehr als ein Dutzend Gebäude. Dazu gehören ein Bauernhof, mehrere Werkstätten, Wohnhäuser und ein grosses Konferenzzentrum.

Eine abgekapselte Glaubensgemeinschaft auf dem Berg

Bei einer Besichtigung des «Berges», wie die Bewohner ihr Miniatur-Dorf selber gerne nennen, zeigt uns «Bergführer» Wolfgang Binniger die Kirche, das eigentliche Zentrum von St. Chrischona. «Hier hat alles begonnen, als der Gründer der heutigen Pilgermission damit anfing, in seiner Bibelschule Handwerksburschen zu Missionaren auszubilden», sagt Binniger. Und noch heute werden auf dem «Berg» aus jungen Menschen Glaubensträger.

Nicht allen Bewohnern Bettingens behagt der Gedanke, in der Nachbarschaft einer etwas abgekapselten Glaubensgemeinschaft zu wohnen. Der dortige Marketingleiter Roland Krähenbühl sieht den Grund für dieses Unbehagen in der Vergangenheit, als einige Studenten ihre missionarischen Fähigkeiten gleich vor der Haustüre beweisen wollten. «Aber das ist längst vorbei.» Heute sei die Zusammenarbeit, beispielsweise auch anlässlich der 500-Jahr-Feier, bestens, sagt Krähenbühl. Auch Gemeindepräsident Götsch ist überzeugt, dass die Skepsis gegenüber dem oberen Dorfteil nur wenige Bettinger teilen. «Im praktischen Alltag und in der Gemeindearbeit beobachte ich keinerlei Schwierigkeiten oder Differenzen mit den Bewohnern von St. Chrischona.»

Bei unserem Ausflug nach Bettingen konnten wir natürlich den Turm nicht auslassen, zu reizvoll erschien der Perspektivenwechsel. Doch leider liess uns das Wetter im Stich, die Sicht nach Basel war getrübt. An schönen Tagen sieht man den Gipfel des Säntis in 130 Kilometern Entfernung ebenso klar wie die am Fusse des Turmes liegenden Gebäude der Chrischona-Gemeinde.

In einem Punkt aber wurde unser Horizont als Städter erweitert. Während unten in Basel-Stadt alles grau war, präsentierte sich uns die Landschaft auf rund 650 Metern ü. M. im besten Licht. Die Stadt lag unter einer Decke von Dunst, zusammen mit ihrem Lärm und ihren Problemen.

500 Jahre Bettingen bei Basel
Mit dem Kauf durch die Stadt Basel wurde Bettingen gleichzeitig auch Teil der Eidgenossenschaft. Zuvor war das Dorf politisch und kirchlich nach St. Chrischona und Grenzach ausgerichtet.
Bis ins 19. Jahrhundert war Bettingen ein armes Bauerndorf, erst danach ermöglichten Steuereinnahmen die Übernahme einzelner Gemeindeaufgaben. In ihrer heutigen Form gibt es die Gemeinde Bettingen erst seit der neuen Kantonsverfassung.
Einen Meilenstein erlebte Bettingen am 2. Dezember 2008, als die Stimmberechtigten erstmals überhaupt in einer Gemeindeabstimmung souverän entscheiden durften. Anlass war das neue Raumplanungsgesetz.

Mehr Dorfgeschichte enthält eine neue Bettinger-Chronik mit dem Titel «Bettingen – Geschichte eines Dorfes»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13

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